Kiez ohne König

von Sabine Voss 9. März 2012

Der Streit um den Kulturabbau zeigt noch etwas anderes: Dem Bezirk fehlt es an einer starken Stimme, die agiert statt reagiert.

Er verweigerte den Anschluss an die Zentralheizung, ist nach eigenem Bekunden auf ganztägigen Streifzügen im Kiez unterwegs und trägt den Weihnachtsbaum nach „Spiegel“-Angaben noch selbst nach Hause. Wolfgang Thierse war sieben Jahre lang der zweite Mann im Staate. Er fing an, Dreiteiler zu tragen und staatsmännische Reden zu halten. Und er begann, von sich als „Urgestein von Prenzlauer Berg“ zu sprechen. Seinen Wahlkreis Pankow hat er zwar beim letzten Mal nicht direkt gewonnen. Trotzdem taucht er immer wieder mal da auf, wo es gerade brennt im Kiez: Ob bei sanierungsbedrohten Altmietern in der Belforter Straße oder bei verängstigten Kulturschaffenen im Thälmannpark. Thierses Protest ist sicher da.

Thierse ist immer noch ein Markenzeichen von Prenzlauer Berg. Welches Kapital man daraus schlagen könnte, ein Berliner Kiezkönig zu sein, das machen seit Jahren die Beispiele Buschkowsky (Neukölln) und Ströbele (Kreuzberg) vor. Nun passt Thierses etwas verschrobene Art nicht unbedingt zur marktschreierischen Präsenz der Neukölln-Kreuzberger Kiezgrößen. Das ist auch nicht schlimm und es ist wahrscheinlich gar nicht notwendig. Doch Thierses Art, Lokalpolitik zu machen, steht für etwas anderes, für ein systematisches Problem.

 

Politik nach Art trotziger Jugendlicher

 

Thierse reagiert, er agiert nicht. Er gehört als Bundestagsvizepräsident immer noch zu den herausragenden Vertretern seiner Partei, der SPD. Doch wenn es um lokale Politik in Prenzlauer Berg und Pankow geht, dann handelt der Präsident wie ein trotziger Jugendlicher: Nein, mit mir nicht! Nein, so nicht! Diese Haltung ist nicht Thierses persönliches Problem, sie umreißt auch, wie im Bezirk insgesamt Politik gemacht wird.

Bezirksbürgermeister Matthias Köhne (SPD) hatte dem Senat zu Beginn der Debatte um den Kulturabbau bescheinigt, er habe „nicht alle Tassen im Schrank“. Jetzt lässt er in einer Pressemitteilung verbreiten, dass er von den Bezirksverordneten erwarte, dass sie Korrekturen und Umstrukturierungen am Kürzungshaushalt vornehmen. Es ist tatsächlich das vornehmste Recht der Bezirksverordneten, den Haushalt zu verabschieden – und doch trägt Köhnes Appell Züge von Verantwortungslosigkeit. Von Beginn an war es die Strategie der Bezirkspolitik, die Öffentlichkeit gegen Kürzungen im Bezirkshaushalt in Stellung zu bringen. Die Frage ist aber, ob die Öffentlichkeit dieses Spiel mitspielt, das durchaus einige Gedankensprünge erfordert. Schließlich sieht sie auch ihren Bezirksbürgermeister, sie sieht ihren Bundestagsvizepräsidenten in der politischen Verantwortung. Das kann sie erwarten, dafür werden beide bezahlt. Köhnes wie Thierses Strategie klingt eher danach: Sollen die da oben und die da unten doch schauen, wie sie das gelöst bekommen, was sie da gerade anrichten.

 

Bezirks-SPD gegen Landes-SPD – was ist davon zu halten?

 

Dass ein eigentlich florierender Bezirk wie Pankow nun auf einmal vor so gravierenden Problemen steht, dass er Hals über Kopf fast sein gesamtes Kulturprogramm einstellen muss, kann eigentlich von seinen führenden Lokalpolitikern nicht übersehen worden sein. Sicherlich gibt es bei der Aufgabenverteilung Senat/Bezirk ein Problem in Berlin. Wenn aber hauptamtliche Bezirkspolitiker versuchen, die Öffentlichkeit gegen eine Landesverwaltung in Stellung zu bringen, die auch noch von den selben Parteien kontrolliert wird, dann weiß die Öffentlichkeit nicht, welche Rolle sie hier eigentlich spielt.

Was Pankow bräuchte, das wären zwei, drei profilierte Köpfe, die in der Landesverwaltung so vernetzt sind, dass sie die Interessen des Bezirks schon in die Verwaltungs- und Parlamentsabläufe einbringen, bevor das Kind in den Brunnen gefallen ist. Neuerdings sitzt sogar wieder eine Pankowerin am Senatstisch von Klaus Wowereit: Die Bildungssenatorin Sandra Scheeres. Zum Kulturabbau hat man von ihr bis jetzt noch nichts gehört. Ein Fehler. 

 

 

 

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