Pankow plant die Revolution mit dem I-Gitt

von Thomas Trappe 26. Oktober 2011

Der Bezirk steigt genervt aus dem Berliner System der Lebensmittelkontrolle aus. Und bringt ein nicht nur technisch erneuertes System auf den Weg. Es soll bundesweit Schule machen.

Der Bezirk Pankow gilt als Vorreiter effektiver Lebensmittelkontrollen. 2009 wurde hier vom Stadtrat Jens-Holger Kirchner (Grüne) das vielbeachtete Smiley-System in der Lebensmittelkontrolle eingeführt, verbunden mit den sogenannten „Ekel-Listen“. Umso mehr musste es Restaurantbesucher in Prenzlauer Berg in den vergangenen Wochen überraschen, dass bei der inzwischen in ganz Berlin auf Pankower Initiative durchgesetzten Internetseite „Sicher essen“ unter anderem ein Bezirk gar nicht aufgelistet war: Pankow. Warum der Hygiene-Vorreiter zum Hygiene-Säumling wurde, klärte Stadtrat Kirchner nun auf: Der Bezirk hält das Berliner System für ineffektiv, höchst lückenhaft und insgesamt für einen „faulen Kompromiss“. Und deshalb will man jetzt im Alleingang ein neues System einführen. Vor ein paar Minuten ging es online. 

Die Berliner Liste, an der vier Bezirke nicht teilnehmen, gibt es seit Sommer dieses Jahres. Dort wird mittels einer Gesamt-Punktzahl im Internet verkündet, wie die Hygiene in einem Restaurant von den Lebensmittelkontrolleuren bewertet wird. Kirchner monierte bereits mehrmals, und das durchaus im Einklang mit Restaurant-Betreibern und Gastro-Verbänden, dass diese Punktzahl keine Aussagekraft habe, da zum Beispiel die Morgendusche der Köchin genauso bewertet wird wie die bauliche Beschaffenheit des Lagerraums.

Solche Details, es sind elf, werden beim Pankower System jetzt einzeln aufgelistet. In Unterkategorien wird das bisherige Verhalten des Gastronomen (zum Beispiel Mitarbeiterschulung), die Verlässlichkeit der Eigenkontrollen (Temperatureinhaltung) und das Hygienemanagement (Personalhygiene, Schädlingsbekämpfung) bewertet. Maximal 80 Minuspunkte werden vergeben.

 

Schamfrist soll abgeschafft werden

 

Gleich mehrmals verwies Kirchner darauf, „dass wir inzwischen im 21. Jahrhundert leben“. Ein Umstand, der ihm erinnernswert schien, da er auf Senats-Ebene dies nicht ausreichend berücksichtigt sieht. Um Pankows zehn Lebensmittelkontrolleure deshalb effizienter arbeiten zu lassen, werden die Kontrollen ab sofort mit Hilfe von Tablet-Computern, Stückpreis 800 Euro, durchgeführt. Noch vor Ort werden die Ergebnisse der Kontrollen ins System eingepflegt. Sofort abrufbar sind sie dann allerdings nicht. Schließlich muss der Bezirk nach derzeitigen Rechtsstand  den betroffenen Gastronomen vier Wochen Zeit geben, sich zu äußern.

Diese Schamfrist, daraus machten Kirchner und der Chef der Pankower Lebensmittelkontrolle Lutz Zengerling keinen Hehl, soll es bald nicht mehr geben. Dazu müsste aber erst das Verbraucherinformationsgesetz auf Bundesebene geändert werden. Entsprechende Beratungen stehen in den kommenden Wochen an.

Viel gravierender als die technische Neuerung ist wohl allerdings, dass wesentlich mehr Lebensmittelhändler als bisher aufgelistet werden. Wurden auf der Internetseite „Sicher Essen“ in Pankow bis jetzt nur rund 2.500 Betriebe ausgewertet, wird sich die Zahl bei dem neuen Pankower Angebot auf rund 6.500 erhöhen. So sind nicht nur mehr gastronomische Betriebe im Visier, sondern auch Kioske, der Einzelhandel und alle anderen Betriebe, in denen Lebensmittel verkauft werden.

 

Dänisches Modell ist weiter Ziel

 

Kirchner geht davon aus, dass der Pankower Vorstoß auch für ganz Berlin Folgen haben wird. „Ich denke, das wird ein Modell, vielleicht auch für die ganze Republik.“ Fast sicher sei hingegen, dass das Berliner Modell scheitern werde, da zu viele Kritikpunkte seitens der Wirte schlicht berechtigt seien und der Verbraucher nicht mal einen Nutzen habe. Die Pankower Kontrolleure werden ab November an den neuen Geräten geschult. Bisher gibt es auf der Liste nur 24 Betriebe. Sie soll aber stetig und vor allem schnell wachsen, kündigte Kirchner an.    

Als Kirchner vor zwei Jahren seinen ersten Vorstoß wagte, wurden den Berichten über besonders schlimme Restaurants noch Fotos beigefügt. Von dieser Praxis hat man beim neuen Modell Abstand genommen, da es laut Amtschef Zengerling zu zeitaufwändig ist. Rechtliche Bedenken spielen aber offenbar auch eine Rolle: So wurden die Fotos auf der noch online zugänglichen Ekel-Liste inzwischen anonymisiert. An der Idee, nach dänischem Vorbild Hygiene-Smileys an den Fenstern der Restaurants anzubringen, hält Kirchner aber weiter fest.

 

In einer früheren Version des Artikels stand geschrieben, dass die Kontrollen ausgeweitet werden. Das ist falsch – es erhöht sich nur die Anzahl der aufgelisteten Betriebe. Wir bitten den Fehler zu entschudligen.

 

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