Städter, Städter, du musst wandern

von Cosima Lutz 17. März 2011

Manuel Andrack ist der Extremist unter den Gemütlichkeitssportlern. Mit Bier und Pulli las der Rheinländer aus seinem neuen Wander-Buch und machte den Berlinern ein unerwartetes Humor-Kompliment.

Was wurde in den letzten Jahren nicht schon alles erwandert, erpilgert und erlaufen: Der Jakobsweg (Hape Kerkeling), das deutsche Mittelgebirge (Manuel Andrack), ja sogar das eigene Selbst, mit mehr oder weniger großem Erfolg (Joschka Fischer). Das Thema Stadtwanderung dagegen, sagen wir mal: die Prenzlauer Bergwanderung zur Selbstfindung, Erleuchtung oder auch nur zur geselligen Ertüchtigung, hat sich als Breitensport noch nicht durchgesetzt. Völlig zu Unrecht! 

 

Der „Wanderpapst“ entdeckt die Stadt

 

Hilfe und Anregung naht. Und zwar vom „Wanderpapst“ höchstselbst: Manuel Andrack hat, nach „Du musst wandern“ (2005) und „Wandern“ (2006), ein neues Buch über diese wiederentdeckte Fortbewegungsart geschrieben. Es heißt „Das neue Wandern“ und trägt den fast kerkelingesken Untertitel „Unterwegs auf der Suche nach dem Glück“. Am Dienstag las der einstige Sidekick von Harald Schmidt in der Clinker Lounge (Backfabrik) in der Saarbrücker Straße. Die Adresse sei genannt, weil der gebürtige Kölner seit Ende 2008 in Saarbrücken wohnt. Ein Zufall, der zum Konzept passt: Das Ziel, also das Glück, ist bei Andrack immer schon dem Weg eingeschrieben. Und im neuen Buch liegt es eben auch inmitten einer europäischen Metropole, in diesem Fall Paris. 

 

Aber wer will schon auf den Eifelturm

 

Und so enthält „Das neue Wandern“ neben allerlei Grenzerfahrungen wie Extrem- (82 Kilometer am Stück!) oder Wüstenwandern (in der Westsahara), was Andrack jeweils nicht zu Wiederholungen animierte, auch die Andracksche Kür: die Feier des Normalen, Naheliegenden, des Mittleren. Paris als Metropole liegt ja – außer Berlin – nahe, wenn man denn schon in Europa hauptstadtwandern will. Der Eifelturm wird nicht bestiegen, Andrack mag keine Aussichtstürme, er wandert unten durch. Anders als in freier Flur muss er das Tempo dem Fußgängerstrom und den Ampelphasen anpassen, was er mit Gleichmut erträgt. Er überquert zweimal die Seine und Parks wie den Bois de Boulogne, wobei Andrack besonders gefällt, dass französisch „bois“ (Wald) und die Aufforderung „bois!“ (trink!) ein und dasselbe Wort ist. 

 

Für mehr Geruhsamkeit!

 

Im Gegensatz zur üblichen Gangart durchs Urbane, im Unterschied also zu Arbeitsweg-Bewältigung, Sightseeing, Shoppen und Museums-Schieben, genügt beim Metropolenwandern „gehen und schauen“: ein völlig anderes Zeitgefühl stellt sich ein und ermöglicht damit einen neuen, ruhigen Blick auf Menschen, Gebäude und Straßen.

 

In „Das neue Wandern“ belässt es Andrack aber nicht bei Befindlichkeiten und zarten Hinweisen auf sein junges, sich anbahnendes Eheglück („Beim Wandern kann man sich auch verlieben“ sind die letzten Worte des Buches). Er hat auch soziokulturell recherchiert: über den Unterschied zwischen Wandern, Pilgern und Wallfahren (Wanderer wollen genießen, Pilger und Wallfahrer neigen zu Selbstgeißelung) und über „wanderige“ (ein Lieblingswort) Erkenntnisse der Glücksforschung. Als Pflanzen-Nichtversteher bleibt er sich aber auch in seinem neuen Buch treu.

Und wenn der Eindruck nach der Berliner Lesung nicht täuscht, muss Andrack bald auch hier unbedingt wandern gehen. Das Prenzlauer Berger Publikum, deutlich ab Andracks Jahrgang aufwärts, war in kleinen, ausflugslokalerprobten Grüppchen erschienen, sah mehr oder weniger wettergegerbt und grund-gutmütig aus. Es wurde viel gelacht, zur Erleichterung Andracks, der traumatische Lese-Erfahrungen vor verstocktem Publikum ausgerechnet in Köln gemacht hat, wie er sagt. Nein, die Berliner erwarten kein quasireligiöses Erweckungserlebnis, und das passt: „Die spirituelle Komponente“ gehe ihm völlig ab, betont Andrack.  

 

Her mit den urbanen Wandervorschlägen

 

Das bringt uns auf eine Idee. Wenn das Ziel, also das Glück, auf dem Weg liegt, dann nehmen wir doch die Straßen hier in Prenzlauer Berg als Zielaufforderung. Gewandert wird in Berlin bereits fleißig und sogar in organisierter Form: Es gibt zum Beispiel den Berliner Wanderclub und den Berliner Wanderverband. Was unseres Wissens fehlt, sind Touren unter dem Motto „Von der Prenzlauer Allee nach Prenzlau“, was ja wirklich ein sehr schönes Städtchen ist, „von der Danziger nach Danzig“ oder wenigstens erst mal „Von der Choriner nach Chorin“. Man würde Berlin ganz neu im Zusammenhang sehen. Das „Neue Wandern“: Wenn es schon aus der Mitte der Gesellschaft kommt, muss die Bewegung ja doch wohl von Prenzlauer Berg ausgehen. Man hat hier schließlich einen Ruf zu verteidigen.

 

Manuel Andrack: Das neue Wandern. Unterwegs auf der Suche nach dem Glück. Berlin Verlag, 280 Seiten, 9,95 Euro 

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