Fußgänger

Ein Gehweg muss zum Gehen da sein

von Katharina Angus 9. September 2022

Sie sind die größte Gruppe im Straßenverkehr und doch oftmals machtlos: Die Fußgänger*innen in Berlin. Roland Stimpel, Landessprecher des Fuss e.V., über Zebrastreifen, Fahrradstraßen und das Versäumnis der Verkehrsministerin.


 

Herr Stimpel, wie sind Sie persönlich zu Fuss E.V. gekommen?

Ich war schon als Student in einer Initiative, die eine Stadtautobahn verhindert hat. Sie wäre unter anderem durch den heutigen Gleisdreieckpark verlaufen. Einige von meinen Mitstreiter*innen damals haben später Fuss E.V. gegründet und mich kontaktiert.

 

Warum brauchen Fußgänger*innen eine Lobby?

Fußgänger*innen stellen die größte Gruppe im Stadtverkehr. In Berlin werden zu Fuß mehr Wege zurückgelegt, als mit allen anderen Verkehrsmitteln. Die anderen Verkehrsteilnehmer haben auch alle ihre Lobbys und Verbände. Deswegen ist auch eine Interessenvertretung für die größte Gruppe nötig.

 

Würden Sie die Lage für Fußgänger von Bezirk zu Bezirk verschieden beurteilen?

Man kann den Prenzlauer Berg natürlich nicht mit Heiligensee oder Zehlendorf vergleichen, aber gerade in der Innenstadt ballen sich die Probleme, weil die Stadt immer voller wird und damit auch immer enger. In Prenzlauer Berg leben viele Zugehörige der beiden Gruppen, die den höchsten Anteil der Fußgänger ausmachen: Schulkinder und Ältere.

___STEADY_PAYWALL___

Warum werden in den Medien Fußgänger*innen so wenig thematisiert, wenn man sie beispielsweise mit Radfahrer*innen vergleicht, denen viel mediale Aufmerksamkeit zuteilwird?

Die Fahrradaktivist*innen haben einen Vorsprung. Uns, die Fußgängerlobby, gibt es zwar als Verein seit dreißig Jahren, aber es war lange nur ein kleiner Expert*innen-Verband, der im eignen Saft geschmort hat. Die Fahrradlobby hat es früher geschafft, stärker ins Gespräch zu kommen. Jetzt ist das Fahrradfahren ein Modethema, das von mancher Seite als Allheilmittel für alle Verkehrsprobleme behandelt wird. Da kommen Fußgänger*innen weniger vor, aber die Sichtbarkeit bessert sich zunehmend. Vor ein paar Jahren hat das Thema noch niemanden interessiert. Mittlerweile wächst es.

 

Wie gestalten Sie eine erfolgreiche Fußgänger*innen Lobbyarbeit, ohne die verschiedenen Gruppen im Verkehr gegeneinander auszuspielen?

Ich gehöre auch zu den ältesten Fahrradaktivisten dieser Stadt. Im Jahr 1980, als Student, habe ich den ersten Westberliner Fahrradatlas gemacht. An besonders gefährlichen Stellen waren Totenköpfe eingezeichnet, aber auch schöne grüne Routen. Es geht absolut nicht darum, eine Gruppe gegen die andere auszuspielen, sondern es geht darum, dass gemeinsame Interessen auch gemeinsam vertreten werden. Aktionen, wie Mahnwachen für Opfer des Straßenverkehrs, führen wir beispielsweise auch mit Fahrradaktivist*innen durch. Aber natürlich gibt es Fälle, in denen wir uns streiten, etwa um Flächen im öffentlichen Raum. Auch Wegkreuzungen sind oft ein Streitthema. Prominentes Beispiel ist die Friedrichstraße, wo eine Flaniermeile versprochen wurde, die als Fahrradstraße geendet ist.

Fußgänger

Roland Stimpel setzt sich für Fußgänger*innen ein / Foto: Silke Reents

 

Warum werden bei der Planung von Fahrradstraßen Fußgängerübergänge nicht beachtet?

Bislang hält sich die naive Vorstellung, das Fahrrad sei wegen seiner relativ geringen Geschwindigkeit und seinem zarten Gerüst flexibler und für Fußgänger leichter zu passieren. Für fitte junge Menschen mit viel Mut mag das gelten. Leider unterschätzt diese Annahme das Problem, das viele Leute damit haben, Abstände korrekt einzuschätzen, wenn Fahrräder in dichter Folge von beiden Seiten kommen. Man kann sich nicht sicher sein, ob die Fahrenden bremsen. Aus der Verkehrspsychologie wissen wir außerdem, dass die meisten Menschen Entfernungen besser einschätzen können als Geschwindigkeit. Das bedeutet, dass, auch wenn ein Fahrrad ganz langsam fährt, es für die zu Fuß gehende Person noch immer als Hindernis wahrgenommen werden kann, obwohl man es schaffen würde, die Straße zu überqueren. Das liegt zum einen an der Wahrnehmung, zum anderen verstärken respektlose Fahrradfahrer*innen das Problem, wenn sie Fußgänger*innen anschreien, die ihnen „in den Weg“ laufen. Besonders benachteiligte Gruppen, wie Blinde, haben es sehr schwer, solche Straßen zu überqueren. Hier ist unsere Forderung: Ein vorgestreckter Blindenstock soll dieselbe Wirkung haben wie Zebrastreifen. Wer quer fährt, muss anhalten.

 

Braucht auch der Zebrastreifen ein neues Image? In Berlin wird er doch oft ignoriert.

Wenn der Zebrastreifen nicht mehr genügend Wirkung zeigt, könnte man sich bauliche Maßnahmen überlegen, beispielsweise eine kleine Erhöhung der Fahrbahn, um deutlich zu machen, dass hier die Fußgänger*innen Vorfahrt haben. Sie müssten dann auch nicht auf die Fahrbahn hinunter gehen, sondern ihr Übergang bliebe eben und somit barrierefrei.

 

Sollte man, Ihrer Meinung nach, eine Geschwindigkeitsbegrenzung für Fahrräder einführen?

Ohne Tacho ist es schwierig, die Geschwindigkeit nachzuvollziehen, als Signal könnte eine solche Begrenzung aber sinnvoll sein, weil viele auf dem Fahrrad einfach unterschätzen, was sie anderen für Probleme und auch für Angst machen. Für einen selbst mag unlimitiertes Radfahren ein Gefühl der Leichtigkeit erzeugen, für andere ist es ein Hindernis. Mit der Elektrifizierung der Fahrräder hat diese Problematik noch zugenommen.

 

Was steht in nächster Zeit auf Ihrer Agenda für Berlin?

Das Mobilitätsgesetz, das hier verabschiedet wurde, ist ein wunderbarer Zielkatalog. Wenn die Welt so wäre, wie sie danach sein soll, wären alle glücklich. Um all das umzusetzen fehlt es aber derzeit an Personal, Etat und bei vielen auch am Bewusstsein, denn letztlich prallen hier verschiedene Interessengruppen aufeinander. In einer echten Verkehrswende sollten sich die Schnelleren den Langsameren anpassen.

 

Was halten Sie von den Elektrorollern, die überall durch Berlin rasen?

Das Fahrzeug als solches ist ja ähnlich wie ein Fahrrad. Solange es auf der Fahrbahn vorbeikommt, ist es angenehmer als ein Auto, weil es leise und abgasfrei ist. Verheerend ist aber das Verleihgeschäft, weil es vor drei Jahren, auf Veranlassung des damaligen Verkehrsministers Andreas Scheuer (CDU), möglich gemacht wurde, damit auch auf Gehwegen zu fahren. Das funktioniert nicht. Ein Gehweg muss zum Gehen da sein. In Berlin wären strengere Regeln für den E-Scooter-Verleih möglich gewesen, weil noch vor der Neuwahl 2021 das Straßengesetz geändert wurde. Seit dem 01. September dieses Jahres braucht der Verleih von E-Scootern und E-Mopeds eine Genehmigung. Verkehrssenatorin Bettina Jarasch (Grüne) hat diese Genehmigungsregeln zwar sehr präzise gestaltet, aber sie sind nicht kontrollierbar und Verstöße werden fast nie geahndet. So wird in Berlin das E-Scooter-Chaos bleiben. Für die Fußgänger*innen-Lobby ist es sehr enttäuschend, dass die Senatorin hier gezeigt hat, dass ihr ein paar zehntausend Spaßfahrer*innen wichtiger sind, als drei Millionen Fußgänger*innen. Wir sehen das als Affront gegen alle, die zu Fuß gehen.

Titelbild: jiangxulei1990 / Unsplash

Das könnte Dich auch interessieren

Hinterlasse einen Kommentar