Lucia

Auf der anderen Seite des Glühweinstandes

von Sonja Koller 13. Dezember 2021

Glühwein trinken kann jeder. Aber was bedeutet es, auf dem Weihnachtsmarkt zu arbeiten? Wir haben in der Kulturbrauerei ausgeholfen.


„Hallo, sprechen sie Dänisch?“, es ist nicht das erste Mal, dass die blonde Clara so von Kunden begrüßt wird. Doch obwohl sie am Lucia Weihnachtsmarkt dänischen Glögg verkauft, ist nichts an ihr dänisch. Die Studentin ist an diesem Tag meine Kollegin, gemeinsam mit der gut gelaunten Svenja, die selbstständig in der Veranstaltungsbranche arbeitet. Beide tragen dicke Pullover und tauschen sich darüber aus, wo man die wärmste Wolle auf dem Weihnachtsmarkt bekommt. Direkt neben dem Kino in der Kulturbrauerei steht der Stand, an dem die Frauen die skandinavische Version von Glühwein ausschenken. Und für ein paar Stunden begleite ich sie dabei.

 

Glögg verkauft sich auch ohne Handschuhe

Ich packe meine Taschen und ziehe an: ein T-Shirt, meinen wärmsten Winterpulli, eine gefütterte Jacke, Kuschelsocken, eine dicke Stoffhose und einen großen Schal. Bestimmt muss man sich für die Arbeit am Weihnachtsmarkt gut einpacken, denke ich. Auf dem Weg in die Kulturbrauerei merke ich, dass ich meine Handschuhe vergessen habe. Ich kann mich nicht daran erinnern, wann ich einen Weihnachtsmarkt das letzte Mal bei Tageslicht gesehen habe. Wochentags machen die Stände hier, am Lucia Weihnachtsmarkt, schon um 15 Uhr auf. Manchmal, so erzählt mir Svenja, klopfen sogar schon um halb drei Kunden an, die unbedingt mittags mit dem ersten Glögg starten wollen.

Überraschend voll ist es an diesem Freitag um die Zeit schon. Kinder stehen staunend um das Karussell, auch die Glühweinstände sind gut besucht. „Bis 18:00 sind vor allem Familien hier, danach sieht man keine Kinder mehr“ verrät mir Svenja. Auch Toni, der den Glühweinstand der Alten Kantine betreibt, beschreibt das ähnlich und sagt, dass es erst ab 19:00 richtig voll werde auf dem Markt.

Die Schicht im Glögg-Stand beginnt entspannt. Im gelben Container, der mit Holzregalen ausgestattet ist, ist es nicht so kaltwie vermutet. Steht man vor der Lüftung, ist es sogar angenehm warm. Die fehlenden Handschuhe fallen mir an diesem Nachmittag kaum auf. Auf der anderen Seite des Glühweinstandes ist es viel gemütlicher, als erwartet. Was fehlt: die Weihnachtsmarkttassen mit kitschiger Verzierung und Schriftzug. Weil man bis zur letzten Sekunde zittern musste, ob der Weihnachtsmarkt stattfinden kann, war nur noch Zeit, um einfache, durchsichtige Tassen zu besorgen.

 

Was ist dieser Glögg nochmal?

„Ich dachte bis zum Tag davor, dass das nichts wird“ sagt Svenja. Immer wieder sprechen auch Kunden sie auf die Corona-Lage an, und ob sich der Verkauf denn rechne. Denn in diesem Jahr dürfen viel weniger Besucher als sonst auf das Gelände, maximal 1800 Personen sind erlaubt. Gedrängelt wird an diesem Freitag selten, unangenehm voll ist es nie. Svenja und Toni vom Glühweinstand der Alten Kantine sind sich einig: Die Leute sind zwar vorsichtiger, aber froh, dass wieder etwas passiert. Und auch ich merke an diesem Nachmittag, wie freundlich die Menschen ihren Glühwein bestellen. Niemand wirkt gestresst, viele dankbar.

„Glögg, das ist ja mit Alkohol, oder?“ fragt eine ältere Dame mit dickem Schal. Ja, ist es. Überraschend wenige Besucher fragen an diesem Nachmittag, was Glögg sei. Clara aber hat das Gefühl, „Dass die Leute das mit dem Glögg“ nicht so richtig verstanden haben. Mit einem Lächen stellt sie den Kunden die immer gleichen Fragen: „Rosine und Mandeln rein? Mit oder ohne Schuss?“ Die meisten Besucher am Stand wollen ihren Glühwein einfach so, ohne Schuss. Und wenn, dann sind es vor allem ältere Herren, die einen Schuss Rum zum „aufwärmen“ bestellen. Frauen bevorzugen Amaretto, wie Clara erzählt. Es ist eine bestimmte Klientel, die es sich leisten kann, sich am Weihnachtsmarkt zu betrinken. Torkelnde oder Lallende Gäste sehe ich keine.

Denn ein Glögg kostet nicht nur vier Euro, er enthält bei diesem Stand auch deutlich weniger Alkohol als vermutet. 6 Prozent sind es, erzählt Barchefin Svenja. Im Supermarkt ist durchschnittlicher Glühwein mit 12 Prozent zu haben. Trotzdem versucht mancher Teenager, am Weihnachtsmarkt die ersten Tropfen Alkohol zu erstehen. Häufig schickt Svenja junge Kunden weg, die ihren Ausweis „vergessen“ haben.

Lucia

Foto: Sonja Koller

 

Warum ein Skandinavischer Weihnachtsmarkt?

Toni aus dem Stand der Alten Kantine verkauft nicht nur Glühwein mit oder ohne Schuss, auch Kirschbier wird bei ihm angeboten. Am besten geht aber doch der Glühwein weg, wie er mir erzählt. Das ist das Besondere am Lucia Weihnachtsmarkt: 35 verschiedene Sorten von Heißgetränken gibt es hier. Das behauptet zumindest Michael Wiegner, der den Markt veranstaltet.

Er ist dem Gelände tief verbunden, wie er sagt. Zu DDR-Zeiten hat er hier den Franz Klub gegründet, jetzt betreibt er zudem das Kesselhaus und die Alte Kantine. Aber am wichtigsten: Er weiß, warum hier ausgerechnet ein skandinavischer Weihnachtsmarkt steht. „Es gibt über 80 Weihnachtsmärkte in Berlin, da wollten wir etwas Besonderes machen. Und da ich privat auch Skandinavien-Fan bin…“

Der nördliche Touch ist nicht nur Fassade. Viele Verkäufer*innen kommen tatsächlich aus Skandinavien. Wiegner hat dafür extra Händler*innen aus Island, Norwegen, Schweden und Finnland angesprochen. So auch Pirkko. Die blonde Frau lebt 365 Kilometer nördlich des Polarkreises und verkauft an ihrem Stand gegenüber des Karussells Felle, Mützen und Handschuhe. Seit 20 Jahren fährt die Finnin in der Weihnachtszeit schon durch Europa, um auf Weihnachtsmärkten dabei zu sein. In den letzten Jahren war sie in Rostock, Kassel und Brüssel. Sie ist nicht die einzige, die mir erzählt, dass sie die vergleichsweisen kurzen Öffnungszeiten davon überzeugt haben, hier zu verkaufen. Aber ihr Klientel, die kaufkräftige ältere Generation, fehlt. Genauso wie die Dänen.

Denn Wiegner erzählt, dass er einfach keine dänischen Verkäufer für den Weihnachtsmarkt gefunden habe. So entschließt er sich selbst einen dänischen Glögg-Stand aufzumachen. Den, neben dem Kino, in der Kulturbrauerei, in dem heute Clara und Svenja arbeiten. Und ich, ein bisschen zumindest.

 

Weihnachtszauber für heute vorbei

Um 22:00 ist Schluss mit Weihnachtsmarkt. Eigentlich. Michaela schließt den Stand, in dem sie Wollprodukte verkauft, pünktlich. Pullis, Mützen, Decken. Je später es wird, desto uninteressanter wird der Verkauf für sie. „Die Menschen sind an Ladenöffnungszeiten gewöhnt. Sie kommen, wie sie zum Einkaufen programmiert sind“ erzählt die erfahrene Weihnachtsmarktverkäuferin. Jahrelang hat sie am Frankfurter Weihnachtsmarkt teilgenommen, in diesem Jahr ist sie das erste Mal in Berlin.

Vor den Glühweinständen sieht es anders aus. Svenja und Clara fahren die Heckklappe bis zur Hälfte hinunter. Weil die Tassen in diesem Jahr individuell von jedem Stand selbst ausgegeben werden, müssen sie für den Pfand auch an die Bude zurückgebracht werden, an dem der Glögg gekauft wurde. Um den Stand, an dem heute Toni Glühwein ausgibt, sammeln sich die, die noch nicht genug Weihnachtsstimmung aufgesaugt haben. Weil die Bude zur Alten Kantine gehört, darf sie besonders lange offen haben.

Eine halbe Stunde Galgenfrist haben die Gäste noch, dann macht Svenja die Klappe zu. Morgen muss sie wieder dafür sorgen, dass die Glühweinfässer aufgefüllt werden und der Amaretto bereitsteht. Am 23. Dezember wird sie es sein, die mit ihrem Mann die Buden abbaut und für das nächste Jahr herrichtet.

Text: Sonja Koller
Titelbild: Clara und Svenja verkaufen Glögg auf dem Weihnachstmarkt in der Kulturbrauerei / Foto: Sonja Koller


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