Bremsen ist nicht sein Ding

von Sarah Schaefer 3. September 2019

Mal wieder ein paar Fußgänger*innen in Gefahr gebracht? Macht nichts. Hauptsache, die Funktionskleidung sitzt. Eine Polemik über rücksichtslose Radfahrer.


Ja, Stefan-Thomas. Jetzt freust du dich. Schaffst den Weg ins Büro in 19 statt in 20 Minuten – auf dem Fahrrad, versteht sich. Dass du dafür auf deinem Weg eine Radfahrerin und einen spazierenden Senioren fast in den Tod gerissen hast? Hast du nicht mal bemerkt, bremsen ist nicht so dein Ding.

Stefan-Thomas ist der Mann, den ich regelmäßig auf Radwegen treffe. Oder eher: Der in einem ungesunden Tempo an mir vorbei rast. Stefan-Thomas hat ein teures Fahrrad, trägt oft einen Helm und Funktionskleidung. Und Stefan-Thomas fährt so, als gehörte der Radweg ihm. Ihm allein. Dabei ist er natürlich im Recht, denn er ist Radfahrer: Er tut etwas für die Umwelt! Stefan-Thomas könnte auch eine Frau sein, das habe ich aber noch nicht erlebt.

Ich schreibe diesen Text unter dem frischen Eindruck einer Begegnung mit einem Stefan-Thomas. Er zog an einer Stelle, die unübersichtlich war und die sich Radfahrer*innen mit Fußgänger*innen teilen müssen, so dicht an mir vorbei, dass nur eine kleine Bewegung mit dem Lenkrad gereicht hätte, und es hätte uns beide mitsamt unseren Rädern nach unten gerissen. Gleich darauf umfuhr er ebenso dicht zwei Fußgänger, darunter einen älterer Mann. Ich sah Stefan-Thomas dann von Weitem, wie er davon raste in seiner doofen neongelben Funktionsjacke, der nächsten brenzligen Situation entgegen. 

 

Einfach mal das Tempo drosseln? Och nö.

Um das klar zu stellen: Natürlich gibt es rücksichtslose Autofahrer*innen, die für andere Menschen im schlimmsten Fall eine weitaus größere Gefahr darstellen als ein rasender Radfahrer. Ich habe auf dem Fahrrad Situationen mit Autos erlebt, die man guten Gewissens als lebensbedrohlich beschreiben kann. Wer eine Umfrage unter Autofahrer*innen in Berlin macht und wissen möchte, ob sie den holländischen Griff anwenden, wird in vielen Fällen in fragende Gesichter blicken.

Aber: Ich verbringe relativ viel Zeit auf Radwegen, die zwar schmal und mies asphaltiert, doch immerhin deutlich vom Autoverkehr getrennt sind. Dank Stefan-Thomas erscheint mir aber auch das mittlerweile gefährlich.

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Mehr Beispiele gefällig? Nur einen Tag vor der Begegnung mit dem neongelben Stefan-Thomas – ich stand auf der Abbiegespur eines Radwegs, die natürlich viel zu schmal war – raste ein anderer Radfahrer so dicht an mir vorbei, dass er meinen Rucksack streifte. Einfach mal das Tempo drosseln, wenn es eng wird auf dem Radweg? Och nö, das würde ihn ja ganze zehn Sekunden kosten.

 

Bei grün über die Straße – sehr naiv

Besonders lebendig ist meine Erinnerung an zwei Erlebnisse an der U-Bahn-Haltestelle Warschauer Straße – dort, wo man über eine Ampel zur Haltestelle der M10 geht. Ich war so naiv zu glauben, dass man als Fußgängerin einfach bei grün die Straße überqueren kann. Heute weiß ich es besser. Ein Radfahrer kam im vollen Tempo angeschossen. Die rote Ampel galt für alle anderen, nicht für ihn. Er hat mich nur deswegen nicht über den Haufen gefahren, weil er im allerletzten Moment sehr scharf gebremst hat.

Für ihn, dachte ich später, ist das wahrscheinlich ein Beweis seiner Fahrkünste. Dabei weiß jeder, der etwas vom Radfahren versteht, dass man grundsätzlich so vorausschauend fahren sollte, dass eine Vollbremsung nur in Ausnahmen nötig wird. Rote Ampeln sind da ein sinnvoller Hinweis.

Wenige Tage später, dieselbe Stelle, dieses Mal war es eine Touristin, die so naiv war zu glauben, dass man als Fußgängerin einfach bei grün die Straße überqueren kann. Der Radfahrer – es war wieder ein Mann –  fuhr sie nur deswegen nicht über den Haufen, weil sie in allerletzter Sekunde zurückwich. Sie schrie erschrocken auf. Sie dachte, es sei ihr Fehler gewesen.

 

Bessere Radwege allein reichen nicht

Jetzt kann man natürlich sagen: Die Infrastruktur ist schlecht. Gerade in Prenzlauer Berg wissen wir: Radwege sind zu schmal, oft uneben und nicht ausreichend gekennzeichnet. Autos, Fahrräder, Fußgänger*innen und neuerdings auch E-Scooter kommen sich zu oft in die Quere.

Es besteht kein Zweifel daran, dass sich das dringend ändern muss. Seit meinen Begegnungen mit den vielen Varianten des Stefan-Thomas ist mir allerdings klar geworden, dass bessere Radwege allein die Lage nicht entspannen. Dafür braucht es etwas, das rasende Radfahrer offensichtlich lästig finden: Rücksicht.

Wir stellen uns vor: Ein schöner, breiter Radweg, so breit wie eine oder – lasst uns träumen – zwei Autospuren. Vom Autoverkehr deutlich getrennt, sichtbar markiert, guter Bodenbelag. Ein Traum eines jeden Fahrradpendlers und auch machbar für Menschen, die sich sonst nicht radfahrend in den Berliner Straßenverkehr trauen: Kinder etwa oder ältere Leute.

Die Radwege würden voller werden, das ist ja auch das Ziel: mehr Leute aufs Rad zu bringen. Und dann lassen wir auf diesen schönen und vielbefahrenen Radweg Stefan-Thomas los. Den Krieg gegen die Autofahrer*innen muss er hier nicht mehr führen, aber es gibt ja noch genug andere Verkehrsteilnehmer*innen, denen er zeigen kann, wo der Hammer hängt. Die einfach nur ein Hindernis sind, wenn er sich mal wieder beweisen muss, dass er es in unter 20 Minuten ins Büro schafft. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das für alle anderen lustig wird. 

 

Foto: Sarah Schaefer

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