Wohnung

Ich habe heute leider keine Wohnung für dich

von Isabella Caldart 30. Juli 2019

Als ihm die Wohnung gekündigt wird, beginnt für Jan Brandt die Odyssee der Wohnungssuche, die er in seinem neuen Buch dokumentiert – und zugleich die Gelegenheit nutzt, auf seine ersten Berliner Jahre Ende der Neunziger in Prenzlauer Berg zurückzublicken.


Die Wohnungsnot ist in der Literatur angekommen. Schriftsteller Jan Brandt, bekannt für seine stark autobiografischen Texte, beschreibt in Eine Wohnung in der Stadt die fast ein Jahr lang andauernde Odyssee seiner Wohnungssuche. Nachdem ihm wegen Eigenbedarfs in Kreuzberg gekündigt wird, versucht er nachzuweisen, dass dieser unberechtigt ist, indem er den Sohn des Vermieters beschattet. Zugleich fühlt er am eigenen Leibe, wie schwierig es ist, eine bezahlbare Bleibe innerhalb des S-Bahn-Rings zu finden – vor allem als Freiberufler. Obgleich Jan Brandt bekannt ist (immerhin stand sein Debütroman Gegen die Welt 2011 auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises), kann er gegenüber den Vermietern nicht genügend „Sicherheiten“ vorweisen. Nicht zuletzt stellt sich die Frage: Wie konnte der Immobilienmarkt in Berlin so explodieren? In Eine Wohnung in der Stadt findet Brandt Antworten darauf.

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Künstlerleben in Prenzlauer Berg

Erstmals nach Berlin verschlägt es Jan Brandt im Jahr 1998; er zieht in „eine Ruine“ in der Pasteurstraße. „Stahlstreben stützten die Balkone, darunter waren Netze gespannt, damit keine Brocken auf die Fußgänger herabregneten.“ 1100 DM kostet die Miete für 100 Quadratmeter, ziemlich teuer für damalige Verhältnisse, wie er viel später erkennt. Der damals 24-jährige Jan macht sich an die Arbeit, streicht Gasrohre und Fensterrahmen, tapeziert und verlegt Kabel – schließlich soll Berlin eine Heimat werden, so das große Vorhaben.

Es sind Zeiten, zu denen Berlin „ein Versprechen, eine antikapitalistische Utopie“ ist, und man in der Großstadt leben kann, „ohne sich verbiegen zu müssen“. Langsam findet Jan Brandt Zugang zu den Kreisen der Schriftsteller*innen und Lyriker*innen, die fast alle in Prenzlauer Berg wohnen. Sie hängen ab in Wohnungen in der Sredzkistraße, Choriner Straße oder Immanuelkirchstraße, fallen durch die Kneipen der Stadt wie das Schwarzen Café, Schokoladen oder die Brotfabrik, gründen eine Zeitschrift – und wenn Berlin sich doch mal zu klein anfühlt, springen sie ins Auto und fahren nach Prag.

Natürlich machen diese Erinnerungen noch mehr Spaß, wenn man weiß, wer die erwähnten Autor*innen Björn, Daniela und Jan sind (kleiner Tipp: Im Anhang gibt es ein kleines Quellenverzeichnis mit vollständigen Namen). Aber auch ohne dieses Hintergrundwissen vermittelt Brandts Rückblick in Eine Wohnung in der Stadt gekonnt, was für ein Lebensgefühl damals vorherrschte – selbst wenn er verklärt sein mag, wie er selbst sagt: „Mein erstes Jahr in Berlin habe ich positiver in Erinnerung, als es in Wirklichkeit war.“

 

Wohnung

Jan Brandt / (c) Anika Buüssemeier

 

140.000 Wohnungen verkauft

Ende der Neunziger geht Jan Brandt, wohnt in München, in London, bevor er 2005 zurückkommt und eine Wohnung in Kreuzberg für 570 Euro bezieht – das Jahr des Umschwungs, wie sich herausstellen wird; das Jahr nämlich, ab dem die Bevölkerung Berlins zu wachsen beginnt, während schon ab 2004 nach und nach 140.000 landeseigene Wohnungen an private Investoren verkauft wurden. Ein klarer Marker für die Gentrifizierung Berlins.

Auch wenn die neuerliche Wohnungssuche nach geschlagenen elf Monaten für Jan Brandt doch gut ausgeht, so ist die Sicherheit, wirklich angekommen zu sein, dahin:

 

„Ich hatte zwar etwas gefunden, aber ich lebte immer noch in Alarmbereitschaft, die Alarmbereitschaft war zum Dauerzustand geworden: Die Angst, meine neue Wohnung jederzeit wieder verlieren zu können, hielt an. Berlin war keine Heimat, sondern ein Provisorium geworden, ein Ort des Übergangs.“

 

 

Die Provinz wird gesichtsloser

Jan Brandts aktuelles Buch ist von zwei Seiten lesbar: Dreht man es um, hat man Ein Haus auf dem Land. Gemeint ist Ostfriesland, die Region, aus der Jan Brandt stammt. In Ihrhove, 60 Kilometer westlich von Oldenburg gelegen, steht ein 150 Jahre altes Gutshaus, das einst seine Vorfahren errichtet haben und das den Gemischtwarenladen des Dorfes beherbergte. Jetzt ist es verkauft und soll abgerissen werden. Keine überraschende Entwicklung auf dem Land, weichen doch schon seit Jahren die kleinen Krämerläden den Discountern. Die Provinz wird gesichtsloser.

Brandt entdeckt eine Seite an sich, mit der er nicht gerechnet hätte: Er entwickelt eine Sehnsucht nach der Heimat, besinnt sich auf seine dörflichen Wurzeln und will plötzlich mit aller Macht dieses Haus retten – parallel zur endlosen Wohnungssuche in Berlin. Die Entwurzelung ist also doppelt: Nicht nur die Kreuzberger Wohnung ist weg, auch dieses Haus, das, obgleich schon lange nicht mehr in Familienbesitz, doch einen wichtigen Teil von Geschichte und Identifikation der Brandt’schen Familie ausmacht, ist akut bedroht. Das reißt ihm den Boden unter den Füßen weg.

Hier verrennt sich Jan Brandt ein wenig. Ein Haus auf dem Land ist an einigen Stellen langwierig, zu groß ist der Drang des Autors, alles akribisch dokumentieren zu wollen. Das gibt er selbst zu: Da das Haus nicht zu retten ist, will er „jetzt wenigstens die Geschichten, die sich darin zugetragen hätten“ bewahren. Und die sind nicht unbedingt uninteressant, haben aber nur dann ihren wirklichen Reiz, wenn man die Szenerie und die beschriebenen Menschen kennt. Es liest sich streckenweise wie ein Tagebuch, das eigentlich nicht für ein breiteres Publikum gedacht ist.

 

In weniger als zehn Jahren zum „Bionade-Biedermeier“

WohnungDiesen leichten Längen zum Trotz ist das Doppelbuch, in dem Brandt zugleich Empörung wie Pragmatik zeigt, fesselnd geschrieben und zudem, wenn man so will, das Buch unseres Zeitgeists. Und obwohl der Verlust der Wohnung in Kreuzberg und der Abriss des Hauses in Ihrhove mehr Raum in dem Buch einnehmen, kann nirgends besser die Gentrifizierung besser abgelesen werden als an in dem Teil, der die Künstlerszene Prenzlauer Bergs beschreibt.

Wie schnell die Gentrifizierung voranschritt, lässt sich an einer weiteren Jahreszahl messen: Jan Brandt und seine Freund*innen lebten 1998, 1999 in maroden Wohnungen mit offenen Wänden, Kohleöfen und Toilette auf halber Treppe für teilweise 400 DM. Und nur wenige Jahre später, im November 2007 um genau zu sein, prägte Henning Sußebach in der Zeit den Begriff „Bionade-Biedermeier“, der ebendas gentrifizierte Prenzlauer Berg beschreibt, wie wir es heute kennen. Eine rasante Entwicklung, die sich innerhalb eines Jahrzehnts abgespielt hat.

Jan Brandt ermöglicht uns mit Eine Wohnung in der Stadt eine Reise zurück zu einem Leben, das so nur an einem ganz konkreten Ort während eines kleinen Zeitfensters möglich war – und das, obwohl gerade einmal 20 Jahre her, wie aus einer ganz anderen Epoche wirkt.

 

Jan Brandt
Ein Haus auf dem Land/Eine Wohnung in der Stadt
DuMont Buchverlag, Köln
424 Seiten mit 40 farbigen Abbildungen, 24 Euro.

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