Touristen, verteilt euch!

von Victoria Scherff 25. Februar 2019

Wie sollen sich Touristen und Anwohner in Prenzlauer Berg künftig vertragen? Über stadtverträglichen Tourismus, Besucher-Rekorde und Kultur-Geheimtipps im Kiez.


Die wichtigsten Hashtags für Prenzlauer Berg? Das sind #prenzlauerberg #prenzelberg #mauerpark #kulturbrauerei #kollwitzkiez #helmholtzkiez und #ernstthälmannpark, sagt das offizielle Hauptstadtportal berlin.de. „Prenzlauer Berg ist vor allem für seine Altbaukieze und eine hohe Dichte an Restaurants und kleinen Geschäften bekannt“, heißt es weiterhin über das größte Gründerzeit-Altbaugebiet Deutschlands.

„Prenzlauer Berg ist ein Gesamtkunstwerk“, meint Stefanie Gronau. Sie leitet seit 2004 das Tourist Information Center (tic) Pankow und kennt sich bestens aus im Kiez. Wenn es nach ihr ginge, sollten die Touristen auch die Angebote abseits von Mauerpark, Kollwitzplatz und Kulturbrauerei entdecken: Etwa die vielen Theaterbühnen, Galerien, kleinen Ausstellungen, die Museumswohnung in der Dunckerstraße oder das Auerbach‘sche Waisenhaus in der Schönhauser Allee. „Es lohnt sich auch, weiter nach Norden zu gehen, etwa zum Schloss Schönhausen oder in den Naturpark Barnim“, schwärmt Gronau.

So viele Gäste wie in Dortmund

Die Touristen abseits der klassischen Pfade in die weniger bekannten Kieze leiten – mit ihrer Idee folgt Gronau dem Berliner Tourismuskonzept 2018+, das eine Entzerrung der Tourismusströme vorsieht. „Das Ziel ist nicht mehr ein stetiges, möglichst hohes Mengenwachstum der Nachfrage, sondern eine stadtverträgliche, nachhaltige und damit für alle Nutzergruppen gerechte Tourismusentwicklung in der Stadt“, heißt es im Konzept.

Und bei den Besuchern ist Berlin beliebter denn je: Letztes Jahr kamen mit 13,5 Millionen Besucher so viele Touristen wie noch nie, teilte das Amt für Statistik Berlin-Brandenburg am Freitag mit. Nach Pankow kamen über eine halbe Million Gäste und somit laut Berlins offizieller Marketingagentur visitberlin ungefähr so viele wie in die Städte Dortmund, Potsdam, Karlsruhe oder Regensburg.

Karaoke im Mauerpark

Karaoke im Mauerpark

Die Pankow-Touristen blieben 2018 durchschnittlich 2,8 Tage – etwas länger also als der durchschnittliche Berlin-Besucher, der 2,4 Tage bleibt. Nur in Marzahn-Hellersdorf bleiben die Touristen mit durchschnittlich 2,9 Tagen am längsten.

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Prenzlauer Berg unter den Top 3 bei Airbnb

Touristen bedeuten für Berlin einen stetigen Geldsegen: Durchschnittlich lässt jeder Berlin-Besucher pro Tag über 200 Euro in der Stadt, Übernachtung mit einberechnet. „In Prenzlauer Berg ist der Tourismus enorm wichtig, zum Beispiel für die ganzen kleinen Läden mit neckischen Dingen und besonders für die Gastronomie“, bestätigt Gronau.

Die Pankower Touristen übernachten laut Tourismuskonzept Pankow am liebsten in Ferienwohnungen und Ferienhäusern: 51 Prozent waren es im Jahr 2017, in Hotels nächtigten nur 22 Prozent. Das Tourismuskonzept Pankow 2018 (pdf) wurde im Auftrag des Bezirksamts und der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) entwickelt. Nach wie vor ist Prenzlauer Berg der Touristen-Hot-Spot im Bezirk: Mehr als Dreiviertel der Übernachtungsmöglichkeiten befinden sich hier.

Bei den Touristen wegen der Authentizität beliebt, in der Branche nicht so gern gesehen: „Die Hotellerie beklagt einen Wettbewerbsnachteil gegenüber Airbnb“, sagt Gronau vom tic. In Pankow gibt es ungefähr 570 Unterkünfte bei Airbnb, davon befinden sich die Mehrheit mit 54 Prozent in Prenzlauer Berg sowie 33 Prozent in Weißensee. Neben Mitte und Friedrichshain-Kreuzberg übernachten die Berliner Airbnb-Touristen laut visitberlin am liebsten in Prenzlauer Berg.

Streit Pankow Airbnb (Foto: Constanze Nauhaus)

Wohnen wie die Einheimischen: Airbnb macht es möglich. (Foto: C. Nauhaus)

New Urban Tourism: rein in die Nebenstraßen 

Und was sagen die Prenzlauer Berger dazu, dass ihr Stadtteil bei Touristen so beliebt ist? 23 Prozent der Befragten fühlen sich durch den Tourismus eingeschränkt oder gestört, so das Ergebnis einer Umfrage von visitberlin unter knapp 4.000 Hauptstädtern im Jahr 2018. 63 Prozent der Berliner fühlen sich laut der Umfrage von Touristen weder eingeschränkt noch gestört. Aber 40 Prozent sagen auch, dass Berlin von Touristen überlaufen ist.

Den Zustrom an Touristen besser verteilen, statt auf ewiges Wachstum pochen, das hat auch der Bezirk Pankow vor: „Aufgrund von bereits bestehenden punktuellen Überlastungserscheinungen in zentrumsnahen Quartieren wird ein zusätzliches Wachstum der Besucherzahlen derzeit nicht weiter angestrebt“, heißt es im Tourismuskonzept Pankow 2018. Vielmehr sollen die Besucher so gelenkt werden, dass sie auch unbekanntere Ortsteile wie Karow oder Weißensee entdecken. „New Urban Tourism“ heißt das Phänomen, wenn Touristen statt in den Mauerpark in die Nebenstraßen von Pankow strömen. Auf der Suche nach dem authentischen Berliner Leben.

„Tourismus sollte im Einklang mit Anwohnerinteressen stehen“, sagt Tourismusexpertin Gronau. Die geplante Verteilung von Besucherströmen weg von den Hotspots wie Kollwitzplatz und Kastanienallee in unbekanntere und weniger touristische Gebiete in Pankow ist auch ein Versuch, Anwohner und Touristen miteinander zu versöhnen. Denn volle Plätze und Verkehrsmittel, Vermüllung, Verschmutzung und Zweckentfremdung von Wohnraum – es gibt laut Tourismuskonzept Pankow einige Punkte, welche die Einwohner am Touristenstrom stören.

Keine Boom-Problematik

Also nicht mehr Tourismus für Pankow? Doch, denn das Tourismuskonzept spricht auch von einem „bedarfsgerechten weiteren Wachstum im Sinne eines stadtverträglichen Tourismus“. Das neue Pankower-Bezirksteam bei visitberlin will „bisher ungenutzte Potentiale touristischer Entwicklungen erkennen“. Für Pankow wären das beispielsweise das Schloss Schönhausen, Weißensee und Buch mit Kombination aus Kultur und Natur. Die App Going Local führe bereits seit drei Jahren Berlin-Besucher zu weniger bekannten Sehenswürdigkeiten im Kiez.

Und warum braucht Pankow eigentlich mehr Wachstum? „Qualität geht vor Quantität, aber natürlich wollen wir auch ein gesundes quantitatives Wachstum. Die Gastro-Betriebe am Radweg hätten z.B. gerne mehr Umsatz und auch der Einzelhandel in den kleinen Straßen braucht die Einnahmen durch die Touristen“, sagt Gronau. Schließlich könnten die Prenzlauer Berger nicht wöchentlich neue Taschen aus LKW-Planen kaufen. „Wir haben hier keine Boom-Problematik, unter anderem weil wir keine großen neuen Hotelbauten haben“, fügt Gronau hinzu.

Und was sind die Geheimtipps der Tourismusexpertin in Prenzlauer Berg? „Die Musikbrauerei in der Greifswalder Straße – und das historische Stummfilmkino Delphi nebenan in Weißensee“, verrät sie. Das sei auch etwas für Einheimische – schließlich könne man ja auch Tourist in der eigenen Stadt sein.

Titelbild: Sarah Schaefer

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