Verschwinden die schwulen Kneipen?

von Isabella Caldart 26. Juli 2018

Prenzlauer Berg hat eine eigenständige schwule Szene – und das sogar schon seit DDR-Zeiten. Ich wollte herausfinden, wo heute noch das schwule Kiezleben tobt. Eine Kneipentour.


Waren die schwulen Kneipen, die Szene hier früher lauter, bunter und vor allem: revolutionärer? Ist das aufrührerische, subversive Moment vorbei, jetzt, da Homosexuelle (zumindest in einigen Teilen der Gesellschaft) in der Mitte angekommen, ja, mitunter sogar das Aushängeschild für konservative Parteien geworden sind? Ich wollte wissen, wie die Szene in den Neunzigern aussah, wie vor der Wende und wie sie sich verändert hat und bin dafür mit einem um die Häuser gezogen, der es wissen muss: Walter Stumvoll.

Die Liebe war der Grund, damals nach Berlin zu ziehen, erzählt mir Walter bei unserem ersten großen Bier. „Allerdings hatte ich mich nicht in einen Mann aus Berlin verliebt, sondern wollte vielmehr so viel Abstand wie möglich bekommen!“ 1995 war es, als Walter von München nach Berlin zog. Kreuzberg, Neukölln, Friedrichshain – in allen szenigen Vierteln war er zu Hause, bis er 1999 nach Prenzlauer Berg zog und wohnen blieb. In der hiesigen schwulen Szene kennt man Walter vor allem aus Kneipen wie dem Café Anal oder dem Rauschgold, beide in Kreuzberg, und später seinem Café Fog, das sich in der Gleimstraße befand. Inzwischen arbeitet er in der Bar Privatleben. Ganz klar: Walter ist mein Mann für diesen Abend. Wir trinken uns durch die schwulen und queeren Kneipen in Prenzlauer Berg und reden dabei über die Schwulenbewegung des Viertels vor Ort.

 

Urig: Bärenhöhle

Unsere erste Anlaufstelle ist die Bärenhöhle, eine Bar, die wie eine urige Eckkneipe rüberkommt und bei deren Namen man zweimal überlegen muss, bis die schwule Komponente deutlich wird. Klischees wie Poster von nackten Boys, Lametta oder rosa Getränke ziehen hier nicht. Es wird Bier getrunken und geraucht, vielleicht noch einen Whiskey dazu, fertig. Das Publikum ist älter, etwas gesetzter, man kennt sich seit Jahren. Und das Bärchen-Thema konsequent durchgezogen: In jeder Ecke hängen Bärenbilder, Teddybären, Regenbogenbären – die verspiegelte Decke komplementiert das Ambiente.

„Ich habe in Berlin nie Diskriminierung erlebt“, erzählt mir Walter, als ich danach frage. „Und auch von meinen Gästen höre ich so gut wie nichts Negatives, nicht mal von denen, die besoffen auf dem Heimweg Heteros anquatschen.“ Die Community achte aufeinander. „Ich weiß nicht, wie es in der Darkroom-Szene ist, aber bei uns wissen wir immer Bescheid, wie es wem geht.“

Aus München habe ihn nicht nur der Abstand zur Ex-Liebe vertrieben, sondern auch die Sperrstunde, die es in den Neunzigern noch gab – nach ein Uhr war alles zappenduster. „Das sah in Berlin natürlich anders aus, es gab mehr Miteinander, alles war bunter.“ Seit 23 Jahrem ist Walter hier inzwischen unterwegs und hat einiges gesehen und die Veränderungen der Szene mitbekommen. Aber zunächst: Unterscheiden sich die Szenen der Viertel überhaupt? „Nun, Schöneberg hat mehr Fetisch und mehr Sex, auch mehr Stricher und ist insgesamt touristischer, während Kreuzberg trashiger ist.“ Marno Selke, Inhaber der Bärenhöhle, bestätigt diesen Eindruck: „In Schöneberg gilt mehr sehen und gesehen werden.“

Seit 19 Jahren gibt es die Bärenhöhle bereits, erzählt Marno stolz, genau genommen seit dem 29. Oktober 1999. Trans, Punks, Lesben, Heteros, Stricher, alle sind hier willkommen: „Die Tür steht jedem offen, von der alten Dame bis zur größten Diva“, betont er. Marno findet wie Walter, dass sich die Szene gewandelt hat: „Früher gab es viel mehr Kneipen und Orte für Schwule. Die Leute haben heute weniger Geld und weniger Zeit, gehen also auch weniger in Kneipen.“ Zudem habe das Internet viel geändert: Um andere Männer kennenzulernen, musste man früher ausgehen, jetzt gibt es dafür Apps. „Außerdem gehen junge Schwule lieber in Clubs, und da ist das Publikum gemischter, offen, eher queer als gay.“ Marno, Walter und die Stammgäste schätzen das familiäre Ambiente der alteingesessenen schwulen Kneipen in Prenzlauer Berg, vor allem die Durchmischung des Publikums wird öfter erwähnt.

Die Bärenhöhle wird bleiben, Gentrifizierung hin oder her, verspricht Marno. Er macht sich keine Sorgen, plant viel mehr die Zukunft: „Nächstes Jahr feiern wir Zwanzigjähriges, und das wird richtig groß!“

Bärenhöhle, Schönhauser Allee 90

 

Kollektiv: Sonntags-Club

Groß ist das Stichwort und Walter und ich trinken noch ein Bier, bevor wir uns auf den Weg machen. Wenige Gehminuten von der Bärenhöhle entfernt liegt der Sonntags-Club, der sage und schreibe 45 Jahre auf dem Buckel hat. 1973 von der Homosexuellen Interessensgemeinde Berlin in Mahlsdorf gegründet, traf man sich zunächst privat in Wohnzimmern, bevor es ab den Achtzigern unter dem harmlos anmutenden Tarnnamen „Sonntags-Club“ auch in öffentliche Räume ging. 1990 zog der Club, inzwischen ein eingetragener Verein, zunächst in die Rhinower, später in die Greifenhagener Straße, wo er auch heute noch zu finden ist.

„Wir sind kein kommerzielles Café, alle Mitarbeiter arbeiten ehrenamtlich“, erzählt Patrick Gugelberger, der sich schon so lange im Sonntags-Club engagiert, dass er kaum mehr die Jahre zählen kann. „Wir werden durch den Bezirk gefördert und haben dadurch die Freiheit, uns offeneren Konzepten zu widmen.“ Offene Konzepte, das bedeutet: Jede Woche treffen sich Gruppen querbeet, ob das Trans*-Selbsthilfeteam, schwule Ex-Alkoholiker oder die BDSM-Gruppe, alle sind willkommen. Dazu gibt es Filmabende, Buchvorstellungen, Diskussionsrunden… „Die Veranstaltungen sind sehr offen und manchmal nur in sehr weitem Sinne queer“, so Patrick. Auch die Architektur des Cafés weist auf den Wunsch nach Austausch und Transparenz hin. Walter macht mich auf die großen Glasfronten aufmerksam, die das Café zu einem offenen Ort machen. Patrick bestätigt: „Wir haben ein sehr gemischtes Publikum, neben queeren Menschen trifft sich auch die gesamte Nachbarschaft.“

Nach der Zeit vor der Wende befragt, fallen Patrick mehrere legendäre Locations für schwules Publikum ein: „Es gab das Café Schönhauser, die Schoppenstube und den Burgfrieden“, zählt er auf. „Der Film Coming Out wurde in diesen Kneipen gedreht“, weiß Walter zu berichten. Und das war ein wahrer Meilenstein: Coming Out (Regie: Heiner Carow) war der einzige Film mit zentral schwuler Thematik, der in der DDR je produziert wurde – im November 1989 kam er in die Kinos. Auch (Ost-)Berlins bekannteste Trans*-Person, Charlotte von Mahlsdorf, ein Name, der im Laufe des Abends häufiger fällt, hatte eine Rolle in Coming Out.

Hat sich seit der Wende denn etwas geändert? Stammgast Peter wirft ein: „Damals wurden schwule Cafés oft von Heterofrauen geführt.“ Das ist heute selten der Fall, und auch das Publikum ist, wie in der Bärenhöhle, durchmischter. „Es braucht nicht mehr den geschützten Raum wie früher“, erklärt Patrick. „Außerdem ist heute alles eher queer als schwul. Man kann darüber streiten, ob diese Öffnung gut ist oder nicht. Ich neige dazu, sie gut zu finden.“

Sonntags-Club, Greifenhagener Straße 28

 

Ruhig: Stiller Don

Viel gehe er nicht mehr aus, sagt Patrick vom Sonntags-Club, aber im Stillen Don sei er immer noch Stammgast. Da trifft es sich, dass die Kneipe, „ein fester Bestand im Kiez“, wie Walter verspricht, der nächste Punkt auf unserem Rundgang ist. Der Stille Don macht seinem Namen alle Ehre: Als wir vorbeischauen, ist es ziemlich ruhig. Hinter der Theke in der eher rustikalen Bar mit dunklen Holztischen und roten Wänden arbeitet Laura Edelhoff, die den Laden seit zwei Jahren zusammen mit ihrer Mutter Silvia führt. „Der Vorbesitzer ist mein Onkel“, verrät Laura. Auch der Stille Don blickt auf eine lange Karriere zurück: Eröffnet wurde die Kneipe im Februar 1991 und ist somit, wenn man den Sonntags-Club als Verein ansieht, die offiziell älteste schwule Kneipe des Viertels.

Auch hier wieder: Das Publikum ist bunt gemischt und sehr nachbarschaftlich. Dass so viele Kneipen offen für alle sind, hat viele positive Effekte, wie Walter findet, denn: „Dadurch werden schwule und queere Menschen allgemein nicht ghettoisiert.“

Stiller Don, Erich-Weinert-Straße 67

 

Unter sich: Greifbar

Nach einem Schwätzchen mit Laura tauchen wir mit der nächsten Bar tiefer ein in das schwule Nachtleben. Durchmischt ist in der Greifbar das Publikum nämlich nicht – Walter musste vorher um Erlaubnis bitten, mich mitzubringen. Die Barriere ist nicht nur unsichtbar: Um einzutreten zu können, muss geklingelt werden. Marcel, der knapp bekleidete Barkeeper, kommt auf uns zu. „Du darfst dich hier vorne aufhalten und auf Toilette gehen“, erklärt er mir, „aber nicht in den Darkroom.“ Und dann schenkt er uns zu den großen Pils zwei spanische Kräuterlikör ein, das Donnerstagabend-Special der Greifbar.

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Walter und ich setzen uns ans kürzere Ende der L-förmigen Theke und haben somit den dunklen, bläulich erleuchteten Vorderbereich, der mit offenen Wänden und hohen Decken im Industrialdesign gehalten ist, gut im Blick. Immer wieder geht der Türsummer, die Bar füllt sich schnell. Lange bleiben wir aber nicht – auch wenn auf der Website angekündigt ist, dass Frauen in Männerbegleitung die Bar betreten dürfen, bin ich die einzige offensichtlich weibliche Person im Raum. Die skeptischen Blicke, die ich ernte, lassen erahnen, wie selten es vorkommt, dass Frauen die Bar betreten.

Zu einer weiteren Lokalität habe ich gar keinen Zutritt: Im Stahlrohr 2.0, ganz ums Eck von vom Privatleben, in dem Walter arbeitet, sind definitiv keine Frauen zugelassen. Um eine Ahnung davon zu bekommen, was das Standbein des Stahlrohrs ist, muss ich mir mit den Illustrationen auf der Website vorliebnehmen.

Greifbar, Wichertstraße 10 und Stahlrohr, Paul-Robeson-Straße 50

 

Fadeout: Privatleben

Inzwischen ist es irgendwann zwischen zwei und drei Uhr nachts, Walter und ich sind also mehr als sieben Stunden schon unterwegs und haben – kurz überschlagen – pro Kopf fünf große, ein kleines Bier und einen Likör getrunken. Da soll nochmal einer mit dem Vorurteil kommen, Schwule und Frauen seien nicht trinkfest!

Als letztes peilen wir, einen Katzensprung vom ominösen Stahlrohr entfernt, das Privatleben an. Seit drei Jahren arbeitet Walter hier, und auch im Privatleben ist das Publikum sehr gemischt, etwa „50-50“, wie er sagt. „Das finden wir alle gut, denn so hat man auch mal andere Gespräche.“ Und so versacken wir mit seinen Arbeitskollegen am Tresen. Übrigens: am 8. September gibt es anlässlich des Zehnjährigen eine große Party!

Auf unserer Tour fehlt uns nur noch eine Kneipe, die wir uns fürs nächste Mal aufheben: das Trauerspiel. Ein wenig runzelt Walter über diesen Namen die Stirn. Aber den Namen hat die Bar nicht ohne Grund: „Hinter der Theke hängen unzählige Fotos von verstorbenen Musikern und Schauspielern. Und immer, wenn ein weiterer stirbt, wird er prominent platziert.“ Das schauen wir uns definitiv bald an. Doch irgendwie ist es plötzlich sechs Uhr geworden und während andere ihren Freitagmorgen einleiten, hüpfen wir noch eine Weile betrunken vor dem Jahn-Sportpark hoch und runter und schleppen uns in unsere Wohnungen.

Privatleben, Rhinower Straße 12 und Trauerspiel, Milastraße 7

Einmal der Rundgang, bitte!

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Fotos © Walter Stumvoll, Isabella Caldart

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2 Kommentare

Lesbian Anal Swingeren 18. August 2018 at 17:39

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Verschwinden die schwulen Kneipen? – Prenzlauer Berg Nachrichten – Gay Dream World 8. März 2019 at 6:46

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