Gleimstraße 56 Mietende

Vorkaufsrecht für die Gleimstraße 56?

von Kristina Auer 12. Juli 2018

Nächste Chance für den Milieuschutz: Das Haus in der Gleimstraße 56 wurde gerade verkauft. Schafft es der Bezirk diesmal, das Haus über das Vorkaufsrecht zu kaufen?


„In unserem Treppenhaus kann man noch sehen, welche Bands vor 30 Jahren beliebt waren“, sagt Andreas Hartung. Seit 2005 wohnt er in der Gleimstraße 56, einem der letzten unsanierten Häuser im Kiez rund um den Falkplatz. An den Außenwänden im zweiten Hinterhof sind noch die Einschläge der Granatsplitter aus dem Zweiten Weltkrieg zu sehen. Und die alten Wände im Inneren wissen: „Depeche Mode waren ganz weit vorne und Donnie war der Herzensbrecher bei New Kids on the Block“, lacht Andreas.

 

Durchmischung in Gefahr

In der Gleimstraße 56 wohnen und arbeiten in 30 Wohnungen und zwei Gewerbeeinheiten die unterschiedlichsten Menschen. Der Grafiker Andreas Hartung zum Beispiel, und die Selbständige Anne-Katrin Altmann, die ein Geschäft für Brautkleider am Kollwitzplatz führt. Oder Esther Ewald, die hier im Erdgeschoss die deutsch-spanische Kita mit 22 Plätzen leitet. Es gibt viele weitere: Einen Gitarrenbauer, allein erziehende Mütter, Rentnerinnen und Renter. Eine von ihnen wurde 1952 sogar in dem Haus geboren – in derselben Wohnung im 4.Stock, in der sie noch heute lebt, erzählen Andreas, Anne-Katrin und Esther. Manche ältere Bewohner bezahlen noch niedrige Mieten, weil sie ihre Wohnungen seit Jahren selbst ausgebaut haben, berichten die Mieter. Im Durchschnitt bezahle man in dem Haus um die 7 Euro pro Quadratmeter.

Mit der Musikgeschichte im Treppenhaus könnte es nun bald vorbei sein, ebenso wie mit der durchmischten Nachbarschaft: Das Haus ist vor kurzem verkauft worden, an wen ist noch unbekannt. Seit gut drei Wochen wissen die Mieterinnen und Mieter vom Verkauf, geahnt haben sie es schon vorher: „Hier liefen immer so Grüppchen rum mit Zettel in der Hand, drauf Stand Gleimstraße 56 – da weiß man dann Bescheid“, sagt Anne-Katrin. Jetzt fürchten sie und die anderen Mieter Modernisierungen, Mieterhöhung und Verdrängung durch den neuen Eigentümer. Eine neue Bleibe in Prenzlauer Berg zu finden wäre für die meisten Bewohner schier unmöglich: „Wenn wir hier raus müssten, könnten wir gleich ganz zumachen“, sagt auch Kita-Leiterin Esther. „Es gibt so viele Fälle, in denen das passiert ist“, sagt Andreas, „da wollten wir lieber gleich aktiv werden“.

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Gleimstraße 56 Banner

Mieterprotest mit Humor: „Uffjepasst! Wir schützen hier Miljöh!“, steht an einem Fenster im Innenhof der Gleimstraße 56. (Foto: Kristina Auer)

„Als Vorkaufsfall geeignet“

Deshalb haben die Bewohner kurzerhand einen Verein gegründet und die Bezirksentscheider in ihr Haus eingeladen: Am 28. Juni kam Baustadtrat Vollrad Kuhn (Grüne) mit einigen Amtsmitarbeiterinnen und -mitarbeitern zu Besuch. Auch mehrere Mitglieder der Pankower Bezirksverordnetenversammlung (BVV) waren dabei, berichten die Mieterinnen und Mieter. Das Ziel: Der Bezirk soll versuchen, das Haus mithilfe des Vorkaufsrechts zu kaufen und so die Bewohnerschaft vor Mieterhöhungen zu schützen. Theoretisch möglich wäre es, denn die Gleimstraße 56 liegt im sozialen Erhaltungsgebiet Falkplatz.

Erste Erfolge können Anne-Katrin und ihre Mitstreiter schon verzeichnen: „Man hat uns gesagt, der Bezirk wird unser Haus wohlwollend prüfen.“ Ein Dringlichkeitsantrag der Linksfraktion, der das Bezirksamt genau dazu verpflichtet, wurde auf der Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) am 4. Juli beschlossen. „Das Haus ist als Vorkaufsfall wohl geeignet“, sagt Stadtrat Kuhn. „Wir werden eine Abwendungsvereinbarung anbieten und parallel einen Drittkäufer suchen, der einen Kauf wirtschaftlich darstellen kann.“ Wegen der überhöhten Preise, werde das allerdings immer schwieriger.

 

Nächste Chance: Gleimstraße

Mit einer Abwendungserklärung kann der Bezirk einen Käufer oder eine Käuferin dazu verpflichten, für einen gewissen Zeitraum auf Bauarbeiten zu verzichten, die die Mieten steigern würden. Nur, wenn die Vereinbarung abgelehnt wird, kann der Bezirk das Vorkaufsrecht nutzen und das Haus mithilfe eines Drittkäufers – meistens einer kommunalen Wohnungsbaugesellschaft – kaufen. Die privaten Käufer können allerdings Widerspruch oder sogar Klage gegen das Vorkaufsrecht einreichen.

Wegen der rechtlichen Risiken gilt die Abwendungsvereinbarung in Pankow deshalb als die bevorzugte Variante – auch, obwohl sie Mieterinnen und Mieter nur für einen Zeitraum von einigen Jahren schützt. Bisher hat der Bezirk deshalb noch nie das Vorkaufsrecht angewendet, aber schon mehrere Abwendungen vereinbart. Bei einer möglichen Premiere in der Belforter Straße 16 verließ den Bezirk nach einem Widerspruch des Käufers doch noch der Mut. Zuletzt abgeschlossen wurde eine Abwendungserklärung in der Cantianstraße 23, die ebenfalls im Milieuschutzgebiet Falkplatz liegt. Wie das Bezirksamt vor kurzem stolz vermeldete, hat sich dort der Käufer von insgesamt 47 Wohnungen dazu verpflichtet, für höchstens 20 Jahre keine Balkone und Fahrstühle zu bauen.  Auch die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen soll künftig durch Abwendungsvereinbarungen ausgeschlossen werden. Ein entsprechender Antrag der Pankower SPD-Fraktion in der BVV wird jetzt im Stadtentwicklungsausschuss diskutiert.

„Verglichen mit anderen Leuten sind wir hier im Milieuschutzgebiet ja noch besser dran“, sagt Andreas Hartung. „Aber wenn man sich mal so umschaut: So richtig zu funktionieren scheint das mit dem Milieuschutz ja trotzdem nicht.“ Die politischen Mittel reichten wohl nicht aus, um Mieterinnen Mieter richtig zu schützen, schlussfolgert Andreas. Es gebe in der Umgebung der Gleimstraße 56 eigentlich kein Haus mehr mit einer vergleichbaren Bewohnerschaft. Ob der Bezirk aus früheren Versäumnissen gelernt hat, könnte sich dort bald zeigen.

 

In unserer Schwerpunktwoche beschäftigen wir uns mit dem Thema Vorkaufsrecht in Prenzlauer Berg. Das hier ist Teil 2.

Teil 1: Pankow zieht den Schwanz ein
Teil 3: Podcast – Quo vadis Milieuschutz?

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