Baustelle Schulpolitik

von Susanne Grautmann 28. Dezember 2016

JAHRESRÜCKBLICK 2016: Pankow braucht in den nächsten Jahren Schulen ohne Ende: Es fehlt an Grundschulen, Sekundarschulen und Gymnasien. Der Bezirk wächst seit Jahren, doch der Schulbau hinkt hinterher.

 WIEDERHOLUNG vom 9. Februar 2016:

 

Update vom 14.04.2016

Aus dem Doppel-Einschulungsbericht des Bezirksamts Pankow für die Schuljahre 2014/15 und 2015/16 geht hervor, dass die Zahl der im Rahmen der Schuleingangsuntersuchung in Pankow untersuchten Kinder von 2.907 Kindern in 2007 auf 4.317 Kinder in 2015 gestiegen ist. (Aktualisierung: Susanne Grautmann) 

 

Artikel vom 09.02.2016

Darum geht’s: 

* Die Flächen für Schulen werden knapp

* Schulneubauten lassen auf sich warten

* Besonders angespannt ist die Lage an den Grundschulen 

* Schon jetzt fehlen Lehrer 

* Wir haben uns in vier aktuellen Beiträgen mit der Lage der Schulen beschäftigt

 

Laut der jüngsten Prognose sollen es bis 2030 16 Prozent Bevölkerungszuwachs sein. Damit steht Pankow berlinweit auf Platz eins. Schulstadträtin Lioba Zürn-Kasztantowicz (SPD) zufolge werden deswegen bis zum Schuljahr 2025 neuneinhalb Grundschulen, fünf Gymnasien und dreieinhalb Integrierte Sekundarschulen (ISS) zusätzlich gebraucht. 

In dieser Rechnung ist von dreizügigen Schulen die Rede. In einer einzigen dreizügigen Grundschule sitzen schon rund 470 Kinder. Wenn bis 2025 neuneinhalb zusätzliche Grundschulen gebraucht werden, heißt das also, dass Platz für fast 4500 weitere Grundschulkinder geschaffen werden muss. 

 

Der Bedarf an neuen Schulplätzen ist gigantisch

 

Die Dimensionen des Bedarfs werden deutlich, wenn man sich vor Augen führt, dass der Bestand an Grundschulen und ISS gegenüber dem Schuljahr 2013/14 um rund ein Viertel, der an Gymnasien sogar um rund ein Drittel aufgestockt werden muss. 

Nun ist es aber nicht so, als ob einfach morgen die Bagger losrollen und 18 neue Schulen aus dem Boden stampfen könnten. Das erste Problem: es fehlt an Grund und Boden für die neuen Schulen. Für eine einzige Grundschule werden schon 10.000 qm Fläche gebraucht. Es gibt aber kaum noch Flächen dieser Größe in Pankow, die für den Schulbau zur Verfügung stehen. Deswegen hat der Bezirksschulbeirat in seinem Brandbrief gefordert, dass dringend landeseigene Flächen für Schulen gesichert und zusätzlich private Grundstücke erworben werden müssten. 

Gegenwärtig müssen Schulen nur bei Bauvorhaben, die einem Bebauungsplan unterliegen, von Anfang an mitgeplant werden. In Pankow entstehen aber über 90 Prozent der Bauprojekte ohne Bebauungsplan. Dadurch wächst der Bezirk, ohne dass zeitgleich die nötige Infrastruktur entsteht. Zürn-Kasztantowicz sagt, dass sie im Schulamt mittlerweile Listen über die Bautätigkeit im Bezirk führen, um den Bedarf an Schulplätzen zu errechnen.

 

Ein Schulneubau braucht sieben bis zehn Jahre 

 

Das zweite Problem: Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit, so viel neuen Schulraum zu schaffen. In Berlin vergehen von der Planung bis zur Eröffnung einer Schule zurzeit sieben bis zehn Jahre. Die Bauzeiten für Schulen zu verringern, ist eine weitere Forderung aus dem Brandbrief des Bezirksschulbeirats. Den Schwarzen Peter für die langen Bauzeiten will sich aber keiner zuschieben lassen: Der Bezirk klagt über Personalmangel, die Senatsverwaltung über ausufernde Planungs- und Entscheidungsprozesse  in den Bezirken. 

 

Viele Schulen werden „erweitert“

 

Weil aber Schulen, die in zehn Jahren ans Netz gehen, in der momentanen Lage keinem helfen, setzt die Politik vor allem darauf, bestehende Schulen zu „erweitern“. Diese Erweiterungen können auf unterschiedlichen Wegen erreicht werden. An manchen Schulen wird einfach ein weiterer Zug eingerichtet, ohne dass bauliche Veränderungen erfolgen. Im Ergebnis drängen sich dann wesentlich mehr Schüler auf derselben Fläche. Dafür werden zum Beispiel Teilungsräume geopfert. 

Eine andere Variante besteht darin,die Schulen durch Containerbauten zu erweitern. Diese sogenannten „Modularen Ergänzungsbauten“ (MEBs) lassen sich immerhin innerhalb von eineinhalb Jahren aufstellen.

Ein letzter Baustein besteht in der Sanierung von zuvor geschlossenen Schulstandorten. Auch das geht schneller, als neue Schulen zu bauen. Allerdings kann man darauf nicht mehr lange setzen, weil der Bestand an stillgelegten Schulen nun mal endlich ist. 

 

Grundschulplätze sind besonders knapp

 

Laut Zürn-Kasztantowicz sind die Grundschulen am stärksten von dem Engpass betroffen. „Bei den Grundschulen ist es richtig eng – und das wird auch noch so bleiben in den nächsten Jahren“, sagt sie. Bei dieser Schulform sind die Bezirke in besonderem Maße in der Pflicht, weil Grundschulen „wohnortnah“ sein müssen. Das heißt: Der Bezirk muss für jeden Schulanfänger einen Platz zur Verfügung haben. 

Durch die Erweiterungen der bestehenden Standorte mit Ergänzungsbauten (MEBs) hofft Zürn-Kasztantowicz, sich zumindest schrittweise „an den Bedarf ranarbeiten“ zu können, wie sie sagt. Bis Sommer 2017 sollen insgesamt Kapazitäten für zwölf zusätzliche Grundschulzüge zur Verfügung stehen. In 2018 sollen nach Auskunft von Zürn-Kasztantowicz sieben weitere Züge dazukommen. „Wir aktivieren alles, was nur möglich ist“, so die Schulstadträtin.

Einer offiziellen Erhöhung der Klassenstärken will noch keiner das Wort reden. Allerdings ist das Schulamt nur dafür zuständig, die Klassen in den Jahrgangsstufen eins und sieben entsprechend den Vorgaben einzurichten. Danach entscheiden die Schulen autonom über die Aufnahme weiterer Kinder in ihre Klassen. 

 

 Das Gedränge an den Schulen ist groß

 

Schon jetzt haben viele Pankower Schulen weniger Platz für ihre Schüler als eigentlich vorgesehen ist. Eigentlich sollen für sechs Klassen elfeinhalb Räume da sein (sechs Klassenräume plus fünfeinhalb weitere Räume, zum Beispiel Fach- und Horträume). Manche Schulen sind aber so überfüllt, dass sich sechs Klassen nur noch acht Räume teilen. Wie viele Schulen zurzeit von Überbelegung betroffen sind, teilte das Bezirksamt auf Anfrage nicht mit. 

Die Senatsbildungsverwaltung will im Februar bekannt geben, wie sich die im Januar 2016 deutlich nach oben korrigierte Bevölkerungsprognose der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung auf die Zahlen für den Schulbereich auswirkt. Ihre letzten Daten hat die Senatsbildungsverwaltung im Mai 2015 im Schulentwicklungsplan (SEP) veröffentlicht. Die Zahlen, die darin zu finden sind, sind aber längst überholt. 

 

Maßnahmen werden „geprüft“

 

Für den Grundschulbereich in Pankow werden darin bis 2022/23 Kapazitätserweiterungen um 14.5 zusätzliche Züge aufgeführt, die sich „in der Umsetzungs-/Planungsphase“ befinden. Dazu werden noch eine Handvoll anderer Optionen vorgestellt – allerdings unter der Überschrift „Die Umsetzung folgender Maßnahmen wird derzeit geprüft“. Man wüsste gerne, was die Prüfung ergeben hat. Doch selbst wenn alle dort ins Auge gefassten Maßnahmen realisiert würden, bliebe immer noch eine große Lücke zwischen dem von der Schulstadträtin bezifferten Bedarf und den Planungen.

Das scheint auch der Senatsbildungsverwaltung bewusst zu sein. Fast klingt es so, als würde man sich da schon leise vom Prinzip der wohnortnahen Grundschulplätze verabschieden: „Es kann davon ausgegangen werden, dass auch künftig die wohnortnahe Beschulung der Pankower Grundschüler zu gewährleisten sein wird“, formuliert die Sprecherin der Senatsbildungsverwaltung, Beate Stoffers. Sobald der überarbeitete Schulentwicklungsplan veröffentlicht ist, lest Ihr hier, wie die aktuellen Planungen aussehen. 

 

Sag mir, wo die Lehrer sind 

 

Doch Pankow wird nicht nur mehr Platz, sondern auch sehr viele neue Lehrer brauchen. Schon im Schuljahr 2015/16 waren in Pankow nicht alle Stellen besetzt: Es fehlten 23 volle Stellen. Die Frage, wie hoch der Mehrbedarf in Pankow in den kommenden Jahren ausfallen werde, beantwortet die Senatsbildungsverwaltung nicht. „Für die Folgejahre errechnen wir keine regionsspezifischen Bedarfe, da alle Einstellungskontingente immer ganz Berlin betrachten“, so Stoffers. 

Zweiter Versuch. Ob sich das Problem des Lehrermangels durch den steigenden Bedarf denn weiter zuspitzen werde? Antwort aus der Senatsbildungsverwaltung: „Es bewerben sich Lehramtsanwärter aus dem ganzen Bundesgebiet in Berlin.“ Aha. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. 

  

Weitere Texte zu unserem aktuellen Schwerpunkt „Schule“: 

Schulplatz-Poker: Russisches Roulette, irrsinnig, würdelos. So beschreiben Eltern das Anmeldeverfahren für die Oberschulen in Pankow. In unserer Umfrage zur Schulsituation war der „Übergang“ ein großer Aufreger.

Was nun, Herr Maaz? Wir haben Prof. Dr. Kai Maaz vom Deutschen Institut für Internationale Pädagogische Forschung gefragt, wie er die momentane und die zukünftige Schulsituation in Pankow einschätzt.

School-Leaks: „Ich könnte mich tagelang ereifern.“ Das schreibt ein Teilnehmer unserer Umfrage zur Lage an den Schulen – und spricht damit wohl vielen von Euch aus dem Herzen. Wo der Schuh drückt, lest Ihr hier.

 

Vielen Dank, dass Du diesen Artikel gelesen hast. Bildung und Bildungspolitik sind für uns besonders wichtige Themen, denn sie entscheiden mit über die Zukunft unserer Kinder.

Uns war es wichtig, hier einmal genau hinzuschauen. Deswegen haben wir uns viel Zeit genommen, Gespräche geführt mit Betroffenen, Politikern und Wissenschaftlern, Daten zusammengetragen und eine Umfrage durchgeführt.

Das alles ist möglich, weil unsere Leser uns mit einem Abo unterstützen. 

Bitte informiere Dich hier, werde auch Mitglied und mache diese Zeitung möglich. Vielen Dank!

 

 

Wenn Ihr schon Mitglied seid, könnt Ihr den Link unten im Kasten teilen und diesen Artikel so Euren Freunden zum Lesen schenken.

Das könnte Dich auch interessieren

Hinterlasse einen Kommentar