In der Warteschlange

von Thomas Trappe 16. November 2015

In Teilen des Vivantes-Klinikums in Prenzlauer Berg könnten Flüchtlinge untergebracht werden. Wenn die Senatsverwaltung sich drum kümmern würde. Der Vorgang ist exemplarisch für das Berliner Verwaltungselend in der Flüchtlingskrise.

Einen nachwirkenden Eindruck von der Berliner Versorgungslage für Flüchtlinge bekommt man dann, wenn man als Journalist das Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) besucht, um den sowieso schon verheerenden Eindruck ein paar Wochen später nachträglich mit einer düsteren Gewissheit bestätigt zu bekommen. Es geht um den Eindruck, dass hier gar nichts mehr geordnet läuft, der sich retrospektiv bestätigt, wenn man erfährt, dass just an jenem Tag zu jener Stunde der eigenen Anwesenheit im Lageso ein pädophiler Mörder den Flüchtlingsjungen Mohamed von hier entführte, ins Brandenburgischen brachte, um ihn dort zu quälen und zu töten. Soll heißen: Die Berliner Flüchtlingssituation ist eine, die sehr schnell unmittelbar werden kann und zum Elend in nächster Nähe.

Und deshalb müssen wir über den Standort des Vivantes-Klinikum in Prenzlauer Berg reden. Zuvor nochmal ein Blick aufs Lageso, aktuelle Lage.

Die Zustände dieses, man muss das so sagen, Flüchtlingslagers in Moabit stehen seit Monaten in der Kritik. Flüchtlinge warten hier im Freien und teilweise mit Neugeborenen auf dem Boden sitzend Tage und auch Wochen darauf, sich zu registrieren. In einer improvisierten Krankenstation wissen freiwillige Helfer und Ärzte nicht mehr, wo ihnen der Kopf steht, und in der kürzlich eingerichteten Impfstelle der Kassenärztlichen Vereinigung Berlins mussten Schichten schnell verdoppelt und -dreifacht werden. Von der Schlange vorm Tuberkulose-Mobil ganz zu schweigen. Verantwortlich für das Lageso ist die Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales, und damit maßgeblich Senator Mario Czaja (CDU) . Hat man die Situation vor Ort gesehen, hört die Berichte aus anderen Sammeleinrichtungen und medizinischen Erstversorgungen der Stadt, denkt an die Zeltstädte, die auf dem Tempelhofer Feld entstehen sollen und die zahlreichen belegten Turn- und Messehallen – dann hält man es für einen sehr guten Gedanken, leerstehende Teile oben angesprochenen Vivantes-Klinikums für die Unterbringung von Flüchtlingen zu nutzen. Und zwar schnell, denn es wird wohl bald Winter. Und tatsächlich, den Gedanken mit dem Klinikum gibt es in der Senatsverwaltung. Beeindruckend hier ist vor allem, mit welcher Leichtigkeit er zu nichts führt.

 

Klinik weiß nichts von Klinikplänen 

 

Der Grünen-Politiker Stefan Gelbhaar stellte im August im Abgeordnetenhaus die schriftliche Anfrage, was nun eigentlich mit dem Vivantes-Standort an der Fröbelstraße werden soll, nach der geplanten Abwicklung als medizinische Einrichtung. 2018 sollte der Umzug abgeschlossen sein, antwortete Emine Demirbüken-Wegner (CDU), Staatssekretärin in der Gesundheitssenatsverwaltung. Schon jetzt stünden allerdings 780 Quadratmeter im Haus frei, zwei ehemalige Lagerbereiche. Gelbhaar fragte außerdem, ob es geplant sei, einen Teil des Gebäudes als Flüchtlingsunterkunft zu nutzen und „inwieweit der Gebäudekomplex für diese Nutzung geeignet“ sei. Demirbüken-Wegner erklärte daraufhin, dass dies demnächst geprüft werden sollte. Und zwar „in den kommenden 14 Tagen“. Die Antwort stammt vom 11. September. Das ist zwei Monate her.

Im Oktober folgte eine redaktionelle Anfrage bei der Senatsverwaltung für Gesundheit, wie es nun mit der Begehung ausgegangen sei. Eine Antwort darauf gab es nicht, nur ein mehrmaliger Verweis auf die aktuelle Arbeitsbelastung durch die Flüchtlingskrise. Aufschlussreicher sind die Auskünfte des Vivantes-Klinikums und des Bezirks. Bei Vivantes wird erklärt, man wisse nichts von einer geplanten Begehung oder einer eventuellen Nutzung als Flüchtlingsherberge. Fast Identisches ist zu hören von der zuständigen Stadträtin Christine Keil (Linke). „Im Bezirksamt liegen keine Informationen über eine mögliche Flüchtlingsunterkunft in Teilen des Vivantes-Klinikums vor, auch eine Begehung ist nicht bekannt“, teilte sie mit.

 

Bezirkspolitikerin: Lageso ignoriert unsere Vorschläge

 

Das heißt, es gibt aus Sicht der Senatsverwaltung für Gesundheit in Prenzlauer Berg Räume einer Klinik, die potenziell für Flüchtlinge geeignet wären und leer stehen. Räume, die nicht erst gebaut werden müssen, über Strom und Wasser verfügen und, ganz nebenbei, erstklassig an medizinische Grundversorgung angebunden sind. Was es aber nicht gibt, ist Aktivität der Senatsverwaltung, die über Ankündigungen hinausgeht oder wenigstens die Absprache mit den relevanten Partnern beinhaltet. Warum ist das so?

„Total komplex“, sagt Daniela Billig, die nicht nur die Büroleiterin des Abgeordneten Gelbhaar ist, sondern auch Fraktionssprecherin der Grünen in der Pankower Bezirksverordnetenversammlung (BVV) und Mitglied im dortigen Gesundheits- und Sozialausschuss. Billig beschäftigt sich als Fraktionssprecherin schon länger mit der Frage, wo im Bezirk Flüchtlinge am besten untergebracht werden können, und einer ihrer Eindrücke ist dann gar nicht mal so komplex: „Alle Vorschläge, die aus dem Bezirk kommen, werden vom Lageso komplett ignoriert“, sagt sie. Der Bezirk mache ihres Wissens nach Angebote, sie selbst habe auch schon Vorschläge gemacht, die dann meist im Lande verenden. „Da sehe ich die Hauptverantwortung schon bei Senator Czaja“, so Daniela Billig. Der setze weiter darauf, Provisorien in Zelten oder Turnhallen anzubieten anstatt Lösungen zu suchen, wie sie sich im Vivantes fast aufdrängten.

 

Demonstratives Überfordertsein

 

Dazu muss man wissen, dass Senator Czaja in den vergangenen Monaten kaum einen Auftritt zur Lage der Flüchtlinge absolvierte, in dem er die nicht von der Hand zu weisende Belastung Berlins nahezu überbetonte. Es geht ihm dabei augenscheinlich um ein politisches Signal an die Bundesebene, den Zustrom in die Hauptstadt zu begrenzen. Dass dabei mit Flüchtlingen überfüllte Turnhallen und die damit einhergehenden Frustrationen in der Bevölkerung argumentverstärkend wirken könnten – ja, auf diese Idee könnte man kommen. Oder, wie es Bezirksbürgermeister Matthias Köhne (SDP) kürzlich formulierte. „Die Einschränkung des Schul- und Vereinssportes fördert nicht gerade die Akzeptanz in der Bevölkerung“. Köhne will deshalb auch keine Turnhallen im Bezirk mehr für die Unterbringung von Flüchtlingen zur Verfügung stellen.

„Ohne etwas unterstellen zu wollen“, sagt Jan Schrecker, „habe ich schon den Eindruck, dass da bei Czaja eine Taktik dahintersteckt“. Schrecker sitzt für die Piraten in der Pankower BVV und beschäftigt sich nicht nur hier, sondern auch auf Ebene des Abgeordnetenhauses mit dem Thema. Schrecker hält es ebenfalls für wahrscheinlich, dass Teile des Vivantes-Gebäudes als Unterkunft geeignet wären. „Auch wenn die sanitären Bedingungen nicht die besten sein mögen, besser als eine Turnhalle oder gar ein Zelt ist es allemal“, sagt er. Dass allerdings Senator Czaja alleine stünde mit seiner betonten Zurückhaltung bei der Flüchtlingskoordinierung, das sieht Jan Schrecker nicht. Auch der Bezirk, sagt er, sei alles andere als mit Herzen bei der Sache.

 

Bezirk weist Verantwortung von sich

 

Schrecker bezieht sich nicht zuletzt auf die Antwort der Linken-Stadträtin Keil auf eine Kleine Anfrage Schreckers, in der er kürzlich nach Unterbringungsmöglichkeiten für Flüchtlinge fragte, explizit auch nach dem Vivantes-Klinikum. Keil beeindruckt in ihrer Antwort vor allem mit Detailkenntnis von Verwaltungsvorschriften. Und bügelte die Frage nach Ideen des Bezirks in einem Satz ab: Dafür sei das Lageso zuständig, man könne nicht viel machen. Auch Köhnes Sporthallen-Moratorium findet Schrecker bedenklich. Zwar sei der Frust des Bürgermeisters über die Landespolitik nachvollziehbar, schreibt er im Blog der Pankower Piraten. Aber „wir dürfen die Konflikte auf Landes- und Bezirksebene nicht auf dem Rücken der Geflüchteten austragen. So lange in Spandau noch Zelte stehen, dürfen wir Geflüchteten die Unterbringung in Turnhallen nicht versagen“, so Schrecker.

Kurz nach Fertigstellung des Textes kam dann doch noch ein Anruf aus der Senatsverwaltung, eine neue These für den Text brauchte es danach aber nicht. Niemandem sei in der Senatsverwaltung etwas bekannt von einer möglichen Flüchtlingsunterbringung im Vivantes, wurde erklärt. „Es könnte sein, dass es noch bei einem Sachbearbeiter hängt.“ Wenn in der Klinik Flüchtlinge untergebracht würden, „dann dauert es noch sehr lange“.

 

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