Nachbarn helfen Flüchtlingen

von Saskia Weneit 12. November 2014

Eine Unterstützergruppe für die Asylbewerber in der Straßburger Straße betreut eine Kleiderkammer, richtet eine Krabbelgruppe ein und organisiert ein Fest für die Bewohner und Nachbarn im Kiez.

Aussortiert hatte sie. Die Klamotten in einer Tüte verschnürt und die Treppe zur alten Schule in der Straßburger Straße genommen. Vorbei am rundlichen Mann mit der guten Laune und der Verantwortung für den Eingangsbereich. Weiter ins Büro der Heimleitung. Zusammengewürfelte Möbel, wie auf den Fluren die Wände im kahlen Weiß. Eigentlich wollte Ines Stürmer nur Klamotten für die Flüchtlinge abgeben. Und ist geblieben, quasi. „Als ich vor Ort war, wusste ich: Ich will etwas tun. Diese Menschen sind jetzt hier und brauchen jetzt Hilfe. Für mich war klar, wir machen das im Kiez“, sagt Ines Stürmer, die unweit der Flüchtlingsunterkunft wohnt. So gründete sie mit ihrem Mann den Unterstützer_Innenkreis Straßburger Straße. Jeden ersten Donnerstag im Monat treffen sich die momentan 20 bis 35 Mitglieder, gerade hatten sie ihr viertes Treffen. Auch Vertreter des Trägers der Unterkunft sind jedes Mal dabei.

„Wir freuen uns sehr über das Engagement“, sagt Yvonne Lieske von der Prisod Wohnheimbetriebs GmbH, die die Prenzlauer Berger Notunterkunft leitet (zum Dossier Asylbewerber). Aufgabe der Heimleitung ist es, den Menschen neben einer Grundausstattung aus Essen, Kleidung und Hygieneartikeln auch bei der Integration zu helfen und etwa Sprachkurse zu vermitteln. Vor allem aber: den Flüchtlingen einen sicheren Ort zu geben. Sehr viele Bewohner – auch Kinder – sind traumatisiert, die meisten der derzeit 235 Flüchtlinge kommen aus Syrien. „Sie haben sehr lange Wege hinter sich und kommen mit fast nichts bei uns an außer Angst. Die wollten nicht weg aus ihrer Heimat, hatten aber keine andere Wahl“, sagt Yvonne Lieske.

Schlagzeilen über Gewalt in Flüchtlingseinrichtungen machen die Heimleiterin wütend. „Diese Menschen kommen aus Kriegsgebieten, die flüchten vor Gewalt. Die suchen Schutz, keine neuen Konflikte“, sagt sie. Das Team der Notunterkunft bemüht sich um eine angenehme Atmosphäre, die Bewohner sollen sich wohlfühlen, Vertrauen fassen, zur Ruhe kommen – und mal wieder Lachen. Sie versuchen, menschliche Wärme zu schaffen und vorzuleben in Räumen, die eher karg sind. Gerade wird umgebaut, Ende März 2015 sollen die Maßnahmen abgeschlossen sein. Der große Aufenthaltsraum, in dem die Möbel verlorener aussehen als manche der spielenden Kinder – hölzerne Schulstühle, Tische, eine Tischtennisplatte, an der Wand ein Fernseher – soll mehr Leben bekommen mit einer Regalwand voller Bücher und Spielen. Am liebsten sind die aktuell 90 Kinder aber in der Räuberhöhle, wo sie jeden Tag Hausaufgaben machen, spielen und Deutsch lernen. Die Wände sind bunt und mit selbst gemalten Bildern behangen, von der Decke baumeln gebastelte Flugdrachen.

 

Die Bewohner brauchen die Unterstützung

 

Ohne die gute lokale Vernetzung im Kiez mit Vereinen und Organisationen wären die tägliche Hausaufgabenhilfe, das Spielen auf dem Abenteuerspielplatz des Sportclubs nebenan oder der gemeinsame Lampionumzug zum St.Martinstag mit einer Kirche aus der Nachbarschaft nicht zu stemmen für die Heimleitung. „Wenn sich dann noch private Initiativen wie die um Ines Stürmer und ihren Mann bilden, ist das wunderbar. Für die Bewohner unserer Notunterkunft ist diese Hilfe Balsam für die Seele“, sagt Lieske. Auch der Bezirk weiß um die Relevanz solcher Initiativen. Die Pankower Sozialstadträtin Lioba Zürn-Kasztantowicz (SPD) ist bei jeder Flüchtlingsunterkunft im Kiez darum bemüht, über die Stadtteilzentren Unterstützergruppen anzuregen. „Ich finde es richtig klasse, dass sich da Anwohner zusammentun, um den Flüchtlingen zu helfen”, sagt sie.

Der Kontakt zwischen der Gruppe und der Heimleitung ist von Anfang an gut, man tauscht sich aus, was die Bewohner brauchen und die Mitglieder der Initiative bieten können. Vereinen wie „Moskito e.V., Netzwerkstelle gegen Rechtsextremismus – für Demokratie und Vielfalt“ greifen der neuen Gruppe unter die Arme. Noch immer ist Ines Stürmer erstaunt, wie einfach es war, Menschen zu finden, die bei ihrer Idee mitmachen. Es ist ein bunter Haufen, das Alter schwankt von 20 bis 50 Jahren. „Auch das wollen wir mit unserer Initiative bekannter machen: Es gibt in unserer Zivilgesellschaft engagierte Menschen, die Flüchtlinge willkommen heißen und etwas für Integration und Hilfe machen wollen“, sagt die 50-jährige Bauinformatikerin Stürmer.

Gerade arbeiten sie daran, verstärkt persönliche Kontakte zu den Bewohnern zu knüpfen, um ihnen bei alltäglichen Dingen wie Ämter- und Arztbesuchen oder der Suche nach Wohnungen und Kitaplätzen zu helfen. Mit der Heimleitung haben sie beim jüngsten Treffen vereinbart, sich um die Kleiderkammer zu kümmern, eine Krabbelgruppe einzurichten und Schulmaterialien zu sammeln. Außerdem wollen sie die Hausaufgabenhilfe ausbauen, um den Kindern den Schulstart in den Willkommensklassen im Bezirk zu erleichtern.

 

Pankows BVV bekennt sich zur Verantwortung für die Flüchtlinge

 

So harmonisch es zugeht zwischen den Prenzlauer Bergern und Flüchtlingen der Straßburger Straße, auch Beschwerden von Anwohnern gehören dazu. Vor allem zu Anfang, etwa über Lärm. „Ein Problem war sicherlich, dass die Nachbarn unserer Einrichtung nicht rechtzeitig informiert wurden. Eines Tages waren die Flüchtlinge da – aus heiterem Himmel. Für ein gutes Miteinander müssen die Anwohner informiert und einbezogen werden “, sagt Lieske. Doch für Umfeldarbeit blieb keine Zeit.

Auch Sozialstadträtin Zürn-Kasztantowicz sieht darin ein Problem: „Damals hatten wir keinen Vorlauf, wir haben ja selbst kurzfristig von dem Bedarf einer Notunterkunft erfahren.“ Normalerweise gebe es einen Stufenplan, nachdem die Anwohner rechtzeitig informiert würden. Nachbarn würden eingeladen und erführen, wie die Einrichtung funktioniert. „Und dann läuft es auch relativ gut im Kiez.“ Sie hofft, bei dem kurzfristig geplanten Containerdorf in Buch die Anwohner ins Boot holen zu können. Die Umfeldarbeit laufe bereits, aber bis Februar sei nur noch wenig Zeit. Es gehe um Verständnis für- und Interesse aneinander.

 

Appell der Kommunalpolitik 

 

Dafür werben nun auch die Bezirksparteien der Bezirksverordnetenversammlung (BVV). In einer gemeinsamen Erklärung bekennen sie sich geschlossen „zu unserer Verantwortung, Menschen Schutz zu gewähren, die vor Krieg und Verfolgung fliehen.“ Dazu gehöre auch, geeignete Unterkünfte einzurichten, für die Versorgung, Sprachunterricht und schulische Bildung zu sorgen. Auch wollen sie den Dialog zwischen Pankowern und Flüchtlingen stärken und werben für Unterstützung aus der Zivilgesellschaft.

Das hat die Notunterkunft Straßburger Straße, in der die Flüchtlinge drei bis maximal fünf Monate bleiben, längst nachgeholt – auch mit Unterstützung des Bezirks. „Wir haben sehr viele Gespräche geführt mit den Menschen aus der Nachbarschaft. Unsere Tür ist auch für die Anwohner offen“, sagt Lieske. Inzwischen kommen die Bewohner selten mit Beschwerden – sondern fast täglich mit Sachspenden.

 

Wer helfen möchte, kann dies mit Sachspenden tun: Benötigt wird Kinder- und Winterkleidung, vor allem für Jungs und Männer. Auch Spielzeug, Puzzle und alles, was Kinder anregt, ist willkommen. Am 6.12. plant der Unterstützer_Innenkreis Straßburger Straße ein Gründungsfest in der Fehre6 mit dem syrischen Musiker Abdul Kader Asli und einem Dokumentationsfilm über eine Flucht von Syrien nach Berlin. Bewohner des Kiezes und der Unterkunft sind herzlich willkommen. Und die Gruppe freut sich über weitere Mitstreiter.

Kontakt: u_strassburger@posteo.de

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