„Manches muss bleiben. Wir zum Beispiel.“

von Juliane Schader 25. August 2014

Seit 1896 gibt es in der Stargarder Straße 69 eine Bäckerei. Weder Kirschen-Engpass vor noch Sanierung nach der Wende konnten dem Laden etwas anhaben. Jetzt hätte das fast eine Mieterhöhung geschafft.

Beinahe hätte es auch die Bäckerei Hacker erwischt. Im März war es, als Thomas Hacker die Kündigung im Briefkasten vorfand. Im Sommer 2015 wäre dann Schluss gewesen. Zwar hatte der Vermieter ein neues Angebot gleich mitgeliefert, doch mit dem Verkauf von Brötchen wäre diese Miete nicht mehr zu bezahlen gewesen.

Zu Hackers Glück kam kurz darauf ein neuer Verwalter ins Spiel, der sich für den Erhalt der Bäckerei einsetzte. Vor eineinhalb Wochen wurde der neue Mietvertrag unterschrieben. Seitdem 1896 das Haus in der Stargarder Straße 69 gebaut wurde, befindet sich im Erdgeschoss eine Bäckerei. Bis mindestens 2030 wird das nun so bleiben. „Es ist nicht verkehrt, wenn sich etwas ändert, aber manches muss auch bleiben. Wir zum Beispiel“, sagt Thomas Hacker.

 

Ein Familienbetrieb wie aus dem Bilderbuch

 

Während der Bäckermeister diese Geschichte erzählt, macht er noch eben schnell den Kokoskuchen fertig. Es ist kurz nach elf und er arbeitet jetzt seit gut elf Stunden in seiner Backstube hinter dem Ladengeschäft. Rechts auf einem Gitter stehen fertige Eclairs, an der Wand auf großen Blechen Obstkuchen, auf dem Tisch zudem riesige Bottiche mit eingedickten Kirschen und Mohnmasse, und im zweiten Raum vorne stapeln sich die Splitterbrötchen. „Die sind fast berühmt“, meint Hacker. Etwa 500 gehen davon täglich über die Ladentheke. Das Rezept hat er, ebenso wie alle anderen, von seinem Vater übernommen.

1970 war es, als dieser als Geselle hier in der Bäckerei anfing. Zwölf Jahre später hat er den Laden übernommen, als selbstständiger Handwerksmeister in der DDR. „Die Versorgung der Bevölkerung musste gewährleistet werden, da haben sie uns die Selbständigkeit gelassen“, erklärt Hacker. Er selbst stieg 1985 als Lehrling in den Betrieb ein, seit zwölf Jahren ist er der Chef. Im Hebst kann nun, da die Zukunft gesichert ist, sein Sohn hier seine Lehre beginnen. Natürlich steht Hackers Frau tagtäglich vorne hinter der Theke und verkauft, was hinten aus dem Ofen gezogen wird – ein Familienbetrieb wie aus dem Bilderbuch. Der zudem einen weiteren Bäcker und einen Lehrling beschäftigt.

 

„Nur die Eclairs wurden größer“

 

Hacker stellt den Kokoskuchen in den Kühlschrank. Ja, der sei neu, aber das sei die Ausnahme. Im Wesentlichen habe er alles so erhalten, wie es war. 1970 ist die Bäckerei zuletzt umgebaut werden; aus der Zeit stammen auch der Ofen und die Wandgestaltung: unten Fliesen, wie auch auf dem Boden, oben eine Art Holzpaneele. Überall, wo Platz ist, stehen Säcke mit Mehl und Zucker. Alle zwei Wochen kommt eine neue Lieferung, einen Lagerraum gibt es nicht. Eigentlich seien die 140 Quadratmeter ein wenig klein für den Betrieb. „Aber bei den Mieten geht es nicht anders.“

Der Bäckermeister hievt den großen Topf mit der Mohnmasse auf eine kleine Feuerstelle. Die müsse jetzt schon mal kochen, damit daraus morgen Mohnkuchen werden könne. Dann erzählt er, wie sein Vater früher in Werder Kirschen organisiert hat. Mit einem Anhänger, „so voll wie möglich“, sei er in der Stargarder Straße vorgefahren. „Hier haben wir sie dann entstielt, entkernt und in Milchkannen eingefroren. Heute bestelle ich einen Karton eingefrorene Kirschen und gut ist.“ Die klassischen Rohstoffe – Mehl, Milch, Zucker und Hefe – habe es aber auch in der DDR immer gegeben. „Eigentlich ist alles so wie früher. Naja, die Eclairs sind jetzt etwas größer.“

Schwierig wurde es für die Bäckerei erst nach dem Mauerfall. Zunächst wurde das Haus saniert, was dem Umsatz gar nicht gut tat, dann begannen plötzlich selbst Tankstellen Schrippen zu verkaufen. „Wir hatten damals schon den Gedanken, aufzugeben. Aber irgendwie haben wir weitergemacht.“

 

Kein Flat White, kein Sitzplatz, nur Bäckerei

 

Erst seit drei, vier Jahren gehe es wieder besser. „Die Kunden wollen wissen, woher ihr Brot kommt“, meint Hacker. Statt weiter einfach die billigen Brötchen der Backshops mitzunehmen, habe man die alte Handwerkskunst des Bäckers wieder zu schätzen gelernt. Daher kommen die Kunden auch, obwohl man hier keinen Flat white zum Mitnehmen, kein mit Remoulade beschmiertes Brötchen und auch keine Sitzgelegenheit angeboten bekommt. Dafür gibt es gedeckten Apfelkuchen für 1,20 Euro und für 70 Cent ein Splitterbrötchen – letzteres in Dimensionen, die anderswo als kompletter Hefezopf durchgehen würden. Es sei nicht ausgeschlossen, dass er die Preise noch einmal erhöhen müsse, jetzt, wo der neue Mietvertrag gelte, meint der Bäckermeister. „Aber ich will nicht mit schlechtem Gewissen ins Bett gehen.“

Mittlerweile ist es 12 Uhr mittags geworden und für Thomas Hacker nähert sich endlich der Feierabend. Das sei schon ein seltsamer Rhythmus, in dem er da arbeite, gibt er zu. Aber gelernt ist gelernt. Nachwuchs zu finden sei angesichts dessen aber mittlerweile ziemlich schwierig. „Aber ich habe ja das Glück, das mein Sohn hier im Herbst anfängt. Jetzt, wo wir wissen, dass es weitergeht.“

 

 

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