Der Literatenkiez lebt

von Ute Zauft 2. April 2012

Das Lesen eins Buches ist meist ein einsames Vergnügen, doch das Gespräch über das Gelesene nur mit anderen möglich. Im Literatursalon am Kollwitzplatz wird seit 2004 über das Geschriebene gesprochen.

Man stelle sich eine Typologie der Leseabende vor: Da gibt es den Literaturzirkel, der sich auf dem Parkett einer geräumigen Altbauwohnung trifft. Die Gäste sind elegant gekleidet, die Champagnerschalen gefüllt und der lesende Gast von einem Hauch Exklusivität umweht. Die etwas trockenere aber umso tiefgründigere Variante sind die Gesprächsrunden in den Literaturhäusern der Stadt: Hier werden die Bücher analysiert, zerlegt und bisweilen Bezüge hergestellt, die selbst die Autoren überraschen. Und schließlich gibt es noch die leger-poppigen Lesebühnen, die vor allem darauf setzen, das Publikum zu unterhalten.

Unaufdringlich, aber mit einer in sich ruhenden Souveränität gesellt sich zwischen diese drei Typen des gemeinsamen Lesens und Nachdenkens der Literatursalon am Kollwitzplatz. „Wir bewegen uns zwischen der poppigen Lesebühne und der klassischen Literaturhausveranstaltung“, meint Gastgeber Martin Jankowski. „Das heißt: Wir unterhalten uns durchaus intelligent, führen aber keine akademischen Diskurse.“ Jour-Fixe der Literatur-Liebhaber in Prenzlauer Berg ist der erste Montag im Monat. Am heutigen Montag feiert der Salon mit Wohnzimmeratmosphäre seinen neunten Geburtstag.

 

Weniger Bühne als Werkstatt

 

Mehr als hundert Autorinnen und Autoren sind schon in die Räume der Offbühne „Theater o.N.“ gekommen. Gelesen wird Prosa und Lyrik von deutschen und internationalen Autoren. Zu Besuch war zum Beispiel Ingo Schulze, bekannt für seine leichtfüßigen Episoden-Erzählungen. Die Autorin Ulrike Draesner las hier schon ihre präzisen und zugleich klangvollen Gedichte. Autorin Katja Lange-Müller traf auf den Lyriker Frank Norten. Traditionell treten an einem Salon-Abend zwei Gäste auf, lesen aus ihren Texten und werden anschließend von Gastgeber Jankowski befragt.

Das Publikum ist nah dran, locker gruppiert um die Lesenden unter der Wohnzimmerleuchte. „Oft lesen die Autoren unveröffentlichte Texte, probieren sie erstmals vor Publikum aus. Die Autoren genießen diese Werkstattsituation“, so Jankowski. Meist endet der offizielle Teil des Abends mit einem Überraschungsgast: Autoren, die noch unbekannt, bisweilen noch unveröffentlicht sind. 2005 überraschte die Autorin Uljana Wolf das Publikum, bevor sie nur ein halbes Jahr später mit dem Peter-Huchel-Preis ausgezeichnet wurde.

 

In der Tradition der illegalen Wohnzimmerlesungen der 80er

 

Entscheidend für den Charakter der Salon-Abende ist Gastgeber Martin Jankowski, der selbst freier Autor ist. 1965 in Greifswald geboren, lernte er in den 80er Jahren die staatskritische Literaturszene bei illegalen Wohnzimmerlesungen kennen, allerdings nicht in Berlin, sondern in Leipzig. „In unseren Augen haben sich die Berliner damals nur wichtig gemacht und gequatscht, während wir die Revolution planten“, betont er leicht scherzhaft den Unterschied. Als Martin Jankowski 1996 nach Berlin kam, hatte sich der legendäre Literatenkiez von Prenzlauer Berg zwar schon längst verändert, aber: „Er lebt“, so Jankowski, „nur auf andere Art und Weise.“ Als er 2004 den Literatursalon am Kollwitzplatz startete, war für ihn klar, dass er anknüpfen wollte an die Atmosphäre, die in den 80er Jahren im Kiez unter den Dissidenten bei den illegalen Wohnzimmerlesungen herrschte. Zwar inzwischen mit weniger Rebellion gegen das System, aber genauso zwanglos und in jedem Fall hinterfragend.

 

Politische Poesie unter der Wohnzimmerleuchte

 

Einer der Autoren zum 9. Geburtstag am Montagabend ist der chilenische Dichter Julio Carrasco. Zusammen mit dem Künstlerkollektiv Casa Grande plant der junge Autor gerade ein sogenanntes „Poetry Bombing“ zur Olympiade in London. Im August 2010 hatte die Gruppe bereits in Berlin von einem Hubschrauber aus 100000 Gedichte über Mitte abgeworfen. „Julio schreibt traurig existentialistische Texte, die aber immer einen doppelten Boden haben. Nie kann man sich sicher sein, ob er es ganz ernst mein“, so Jankowski über seinen Gast. Gelesen werden an dem Abend eigens für das Jubiläum des Literatursalons übersetzte Texte von Julio Carrasco. Und anschließend wird auf jeden Fall auch darüber diskutiert, was dahinter steckt, wenn ein Künstlerkollektiv Gedichte statt Bomben abwirft.

 

9 Jahre Literatursalon am Kollwitzplatz mit Judith Luig (Berlin) und Julio Carrasco (Santiago de Chile): Montag, den 02. April 2012, um 20 Uhr im Theater o.N. (Zinnober), Kollwitzstraße 53. Karten: 5,- €/erm. 3,- €, Tel. 030/440 92 14, www.theater-on.com.

 

 

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