Die Angst des Jugendamts vor der Mittelschicht

von Thomas Trappe 8. Februar 2012

Wenden sich Gut-Verdiener an das Pankower Amt, brauchen sie oft intensive Betreuung. Darunter leidet auch der Einsatz für Problemfamilien.

Zur Ruhe kommt Christine Keil (Die Linke) seit Tagen nicht. Seit in Weißensee die zweijährige Zoe, offenbar wegen katastrophaler Betreuung, starb, muss die für Jugend zuständige Stadträtin unablässlich erklären, warum die vom Jugendamt eingesetzte Betreuung der Familie den Tod des Kindes nicht verhindern konnte. Und wie auch immer am Ende die Frage beantwortet werden wird, ob die Verwaltung im Falle Zoes versagte, eines scheint jetzt schon klar: Das Amt arbeitet am Limit. Auch in Prenzlauer Berg.

Die Zahlen: 300 Mitarbeiter hat laut Christine Keil das Jugendamt des Bezirkes Pankow, davon arbeiten 70 in den sogenannten Regionalen Sozialen Diensten (RSD), verteilt auf drei Einsatzgebiete, von denen eines Prenzlauer Berg ist. Theoretisch müssen die 70 Angestellten 60.000 Kinder bis 21 Jahre im Auge haben – von denen freilich nur ein Bruchteil Hilfe braucht. Trotzdem, räumt Keil ein, bräuchte es wesentlich mehr Leute im RSD, um eine optimale Versorgung sicherzustellen. Auch wenn dies nicht hieße, dass mehr Personal den Tod Zoes verhindern hätte können. „Im Jugendamt gab es keine Versäumnisse“, wiederholt Keil, was sie seit Tagen zu Protokoll gibt.

 

Mehr Termine in Prenzlauer Berg

 

Dass der Bedarf in Prenzlauer Berg am Sozialdienst geringer sei als im Rest des Bezirks, „dass kann man sicher nicht sagen“, so Christine Keil weiter. Im Gegenteil, anscheinend ächzen Mitarbeiter des Dienstes gerade unter der Arbeit, die sie mit wohlhabenderen Eltern, häufig Akademiker der Mittelschicht, hätten, so Keil. Auch jene Eltern griffen bei Problemen gerne auf die Hilfe des Dienstes – vor allem, wenn es um Scheidungen gehe – zurück, und dann offenbar intensiver als andere Eltern. Höhere Sensibilität bedeute oft mehr Ansprüche bedeute mehr Termine, so eine häufig anwendbare Formel.

Zudem gebe es in sogenannten Problemfamilien häufig Scheu, auf Behörden zuzugehen, eine Angst, die Eltern aus wohlhabenderen Gegenden wie Prenzlauer Berg seltener plage. Resultat: Der RSD wird zu Eltern gerufen, die vielleicht auch gut alleine zurecht kämen, es fehlt dann das Personal, um auf die problematischeren Fälle aufmerksam zu werden.

 

Jedes Jahr weniger Geld

 

Auch Renate Stark kennt das Problem aus ihrer Arbeit ganz gut. Stark ist Sozialarbeiterin der Caritas in Prenzlauer Berg. Hauptproblem der Pankower Jugendarbeit sei aber sicher nicht die Prioritätensetzung des RSD, betont Stark, sondern vor allem die mangelhafte Finanzierung. Seit vielen Jahren sitzt die 53-Jährige als Bürgerdeputierte im Bezirksverordnetenausschuss für Jugend, „und seit Jahren muss ich mir jedes Jahr aufs Neue anhören, dass wir Geld streichen müssen“. Dass sich daran in diesem Jahr was ändern wird, kann ausgeschlossen werden. Kaum ein Amt im Bezirk bleibt derzeit von Kürzungen verschont.

Heute wird Stadträtin Keil mit Vertretern der Senatsverwaltung für Bildung und Jugend zusammenkommen und eine Dokumentation über den Fall übergeben. Ein Sprecher der Senatsverwaltung erklärte, dass auf dieser Grundlage geprüft werde, „ob es Lücken gibt und ob weitere Maßnahmen möglich sind, um den Schutz zu verbessern. Diese müssten dann ergriffen werden.“

 

 

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