Der braune Eisberg im rechten Sumpf

von Thomas Trappe 16. Januar 2012

Rassistische Überfälle in Prenzlauer Berg provozieren impulsive Reaktionen. Zum Beispiel eine Demo in der Schönhauser. Die Szene im Kiez wird das kaum beeindrucken.

Es war Teil vier einer kleinen Serie über den Kiez. Mit kurzer Ortsbeschreibung und genauen Adressen wurden Orte aufgelistet, die einen Besuch wert sind. Ein Antidiskriminierungsbüro zum Beispiel, ein Gewerkschaftslokal, eine Bibliothek. Auch ein Schwulentreff und ein linkes Café waren aufgelistet. Man soll keine Vermutungen anstellen, aber: Dass bei letzteren beiden irgendwann später Steine ins Fenster flogen und ein Feuer gelegt wurde, wird die Verfasser der Übersicht nicht überrascht haben. Und erschüttert waren die Mitglieder des rechtsextremen Netzwerks „Nationaler Widerstand Berlin“ wahrscheinlich auch nicht, dass es Anschläge auf Treffpunkte gab, die sie zuvor unter Überschrift „Linke Läden in Prenzlauer Berg“ fein säuberlich aufgeführt hatten.

Rechtsradikalismus in Prenzlauer Berg ist Realität. Er findet statt in Kaschemmen abseits der hippen Szenekneipen, in privaten Wohnzimmern und in Foren in den Untiefen des Internets. Und ab und an kommt es zu einer Schlägerei mit fast tödlichem Ausgang wie in der vergangenen Woche in der Schönhauser Allee. Wird die Spitze des Eisberges sichtbar, kann, wie am vergangenen Freitag, eine Demonstration folgen, die breite Empörung ebbt aber bald wieder ab. Doch das Problem bleibt.

 

Hakenkreuze sind das kleinste Problem

 

Eine erste Betrachtung zum Thema verführt zu dem Eindruck, beim Thema Rechtsextremismus gebe es in Prenzlauer Berg nicht viel zu bereden. Die rechtsextreme NPD spielt im Kiez keine Rolle. Rechtsradikale Kleidungsgeschäfte sorgen zwar auch in Prenzlauer Berg für Aufregung, sind aber, zum Beispiel, in Weißensee angesiedelt. Und auch den leicht am Äußeren erkennbaren Neonazi wird man hier selten antreffen – woher auch, gilt der Kiez der Szene doch als Pseudonym für so ziemlich alles, was man in der demokratischen Gesellschaft hasst und meidet. So weit, so trügerisch. 

Die Netzwerkstelle gegen Rechtsextremismus Moskito listete kürzlich für das erste Halbjahr 2011 zehn Zwischenfälle für Prenzlauer Berg auf. Dabei wurden unter anderem rechte Propaganda-Aktionen und Übergriffe erfasst. Ein aktuelleres und genaueres Bild über rechtsextreme Gewalt im Kiez ermöglicht ein Blick in die Aufzeichnungen, die die Pankower „North East Antifa“ der Redaktion zur Verfügung stellte. Eine Auswahl: Im Dezember wird ein homosexuelles Paar von Jugendlichen erst beleidigt und dann geschlagen. Im August wird ein achtjähriger Junge von einem Mann rassistisch beleidigt und bedroht. Ein 13-Jähriger jüdischen Glaubens wurde wenige Tage zuvor mit einer Stange verprügelt. Vielfache Hitler-Rufe, Brandstiftungen und Hakenkreuzschmierereien sind  also noch die geringsten Übel, schaut man auf das vergangenen Jahr in Prenzlauer Berg.

 

Achtung in der M4

 

Besonders prädestiniert für rechtsextreme Übergriffe ist nach Meinung Martin Sonneburgs von der North East Antifa der öffentliche Personennahverkehr. Da sich hier besonders viele Menschen, gerne auch ausländische Touristen, aufhalten, suchten gewaltbereite Neonazis gerne diese Orte auf, um sich auszutoben. Ganz vorne zu nennen seien die S-Bahn-Stationen Greifswalder Straße und Schönhauser Allee. Auch in der Tramlinie M4 zwischen Greifswalder Straße und Albertinenstraße gebe es vermehrt Vorfälle. In mehreren Antifa-Foren werden außerdem, insgesamt drei, Kneipen in der Greifswalder Straße oder deren Nähe als Anlaufstelle für Neonazis klassifiziert.

Organisiert scheint die Szene vor Ort kaum. An eine enge Bindung an die  –  in jungen Neonazikreisen sowieso als spießig geltende  –  NPD ist in Prenzlauer Berg mit offenbar kaum vorhandenen Parteistrukturen kaum zu denken. Und auch die sich selbst so bezeichnenden „Nationalen Aktivisten Prenzlauer Berg“ lösten sich offenbar Mitte des vergangenen Jahrzehnts auf. So positiv ein Zerfall fester Strukturen wirken mag, er hat einen bedeutenden Nachteil  – die Neonaziszene wird im Kiez umso schwerer greif- und überwachbar.

 

„Gefahr wird unterschätzt“

 

Und die Szene zu beobachten, das sei auf jeden Fall nötig. Davon jedenfalls sind nicht nur Antifa und Linke überzeugt, sondern auch die Pankower Grünen. Daniela Billig und Cornelius Bechtler, Mitglieder der Pankower Bezirksverordnetenversammlung (BVV), erklärten auf Anfrage, dass „die rechte Gefahr in Prenzlauer Berg unterschätzt wird, da Rechtsextreme im öffentlichen Raum weniger präsent sind als zum Beispiel in Weißensee oder Lichtenberg“. Die jüngste BVV-Wahl mit bezirksweit knapp fünf Prozent Stimmenanteil für rechte Parteien habe gezeigt, dass das Problem zu relevant ist, um es zu ignorieren. Anfragen zum Thema bei CDU, SPD und dem Bezirksbürgermeister Matthias Köhne (SPD) blieben bis Redaktionsschluss unbeantwortet.

Eine Angst kann dem Bezirk übrigens genommen werden. Nachdem die NPD in den vergangenen beiden Jahren zwei Mal in der Bornholmer Straße demonstrierte, ist in diesem Jahr keine Kundgebung im Kiez geplant, wie die NPD-Parteizentrale auf Anfrage erklärte. Prenzlauer Berg bleibt verschont vom braunen Spuk – möchte man meinen.

 

 

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