Hilfe für Arme und Kranke: Der Bezirk kann nicht mehr

von Thomas Trappe 8. November 2011

Immer mehr Menschen im Kiez beantragen Hilfsleistungen, Sachbearbeiter werfen das Handtuch. In Prenzlauer Berg kollabiert gerade der Sozialhilfesektor. 

Krankenpfleger und -schwestern lassen Hilfsbedürftige nicht einfach im Stich. Auch wenn das Geld nicht sofort überwiesen wird, gibt es weiter Pflege. Das ist ein großes Glück für viele Mittellose in Prenzlauer Berg: Denn das Sozialamt, das ihnen Zuschüsse für die Betreuung und Pflege bezahlt, kommt nicht mehr hinterher bei der Bearbeitung von Anträgen. Inzwischen hat sich ein riesiger Rückstand aufgestaut, so dass man im Rathaus inzwischen davon ausgeht, dass bald der Kollaps droht, wird nicht entsprechend gegengesteuert.

Konkret geht es um Leistungen, die unter „Hilfen in besonderen Lebenslagen“ (HbL) zusammengefasst sind. Dieses Geld bekommen Menschen, deren Rente oder Einkommen nicht ausreichen, für ihre Pflege und Betreuung aufzukommen. Dazu zählen die Eingliederungshilfen für Behinderte, die Hilfen zur stationären und ambulanten Pflege und die Betreuung von Menschen in sozialen Schwierigkeiten. Zu Anspruchsberechtigten zählen häufig Obdachlose und psychisch Erkrankte. Für alle Gruppen gilt derzeit: Sie werden größer. Damit steigt die Arbeitsbelastung im Amt. Was in Pankow offenbar dazu führt, dass die Sachbearbeiter das Weite suchen. Nicht mal die Aussicht auf Beförderung kann noch locken, heißt es jetzt in einer Stellungnahme des Bezirksamtes.

 

Alte Prenzlauer Berger sind besonders betroffen

 

Sozialstadträtin Lioba Zürn-Kasztantowicz (SPD) schlägt sich schon lange mit dem Problem herum. Als sie das Amt 2005 übernahm, habe es im Sozialamt einen Berg von sage und schreibe 40.000 unbearbeiteten Akten gegeben. „Die sind aber inzwischen abgearbeitet“, sagt sie. Was aber nichts daran ändere, dass man immer noch hinterherhinge und von einer fristgemäßen Bearbeitung keine Rede sein könne. Nachdem 2009 sieben neue Sachbearbeiter eingestellt wurden, konnte man effizienter abarbeiten, aber noch lange nicht effektiv. Auch 2010 konnten binnen Jahresfrist mehr als 200 Anträge auf Hilfe zur Pflege nicht bearbeitet werden. Knapp 2.300 Pankower hatten 2010 Anspruch auf Eingliederungshilfe, ähnlich viele auf Hilfe zur Pflege. 400 Menschen fielen in die Kategorie „besondere soziale Schwierigkeiten“.

Der Anstieg der Fallzahlen liege zwischen fünf unf zehn Prozent, so Zürn-Kasztantowicz, und das werde es in den kommenden Jahren auch so bleiben. Besonders dramatisch könnte es dabei in Prenzlauer Berg werden, vermutet Renate Stark, Leiterin der Caritas Prenzlauer Berg. Hier gebe es besonders viele ältere Menschen, die von steigenden Mieten betroffen seien und damit nicht mehr alleine für ihre Betreuungskosten aufkommen könnten – sie sind dann Anspruchsberechtigte der „HbL“-Leistungen.  

 

Sozialdiensten droht die Pleite

 

Im Amt ist man inzwischen dazu übergegangen, besonders brisante Fälle – also jene, in denen eine zügige Auszahlung überlebenswichtig ist – mit Priorität zu behandeln. Leidtragende sind neben den Anspruchsberechtigten viele Sozialstationen, denen das Amt zu Recht unterstellen kann, dass sie zunächst auch ohne Geld Hilfe leisten. Diese Politik gefährde „letztlich die wirtschaftliche Existenz“ der Sozialdienstleister im Bezirk, heißt es in der Stellungnahme des Amtes.

Ressourcen gebe es im Sozialamt inzwischen nicht mehr, nur eine Aussicht auf Fallzahlensteigerungen um ein Fünftel. Viele Angestellte kapitulieren da. So verließen im Bereich Fallmanagement der Eingliederungshilfe in den vergangenen zwei Jahren sechs von zehn Bearbeitern ihre Stellen, entweder aus Alters- oder Krankheitsgründen, oder eben, weil sie sich wegbewarben. Jeder dritte Angestellte in dem Bereich musste nach einer Erkrankung an einem betrieblichen Eingliederungsmanagement teilnehmen, oft mit dem Resultat, dass die Arbeit für nicht mehr zumutbar befunden wurde. 

 

Geld ist „unwiederbringlich verloren“

 

Auch mit Gehaltserhöhungen und der Aussicht auf Beförderungen könne der Entwicklung nicht begegnet werden, heißt es in der Verwaltung. „Man hat es dort eben oft mit sehr speziellem Klientel zu tun“, umschreibt Renate Stark von der Caritas den Umstand, dass viele Sachbearbeiter an der ständigen Auseinandersetzung mit sozialem Elend geradezu zerbrechen.

Abgesehen von den Folgen für die Hilfsbedürftigen sieht sich der Bezirk wegen der aktuellen Situation einer akuten Gefahr der Überschuldung ausgesetzt. Zwar werden dem Bezirk aus den entsprechenden Töpfen des Landes die Kosten grundsätzlich erstattet. Aber nur, wenn eine „zeitnahe Bearbeitung“ auf Bezirksebene sichergestellt ist. Das heißt, so das Bezirksamt, „dass  Sozialhilfeleistungen auch zumindest in dem Jahr erbracht werden müssen, in dem der Leistungsanspruch besteht“. Ansonsten sei das Geld „unwiederbringlich verloren“. Die Schulden des Bezirks gingen schon jetzt zum Großteil „auf diese ganze Geschichte“ zurück, erklärte Lioba Zürn-Kasctantowicz.

 

 

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