„Der Trend geht zum Zwei-Wort-Slogan“

von Cosima Lutz 11. August 2011

Holm Friebe („Wir nennen es Arbeit“) hat ein Buch über die Wirkung von Zahlen geschrieben. Ein Gespräch über die Arbeit am täglichen Hokuspokus.

Sie haben zusammen mit Philipp Albers das Buch „Was Sie schon immer über 6 wissen wollten“ geschrieben, das Ende August erscheint. Warum Zahlen und warum jetzt?

Nach „Wir nennen es Arbeit“ mit Sascha Lobo und „Marke Eigenbau“ mit Thomas Ramge wollte ich nicht zum One-Trick-Pony werden und nur noch über neue Arbeitsformen schreiben. Da brauchte es eine Befreiung. Mich beschäftigt das Zahlen-Thema aber schon länger, allein deshalb, weil ich mich mit Gestaltung befasse. Bücher über die psychologische Wirkung von Farben gibt es ja viele, und ich dachte: Eigentlich müsste es das auch für Zahlen geben, als Basisentscheidung jeder Gestaltung. Und: Es ist halt auch ein sehr guter Party-Gesprächsstoff.

 

Es ist Ihr drittes Buch, das Sie zu zweit geschrieben haben. Neigt man da eher zum Kampf oder kann man sogar effizienter arbeiten?

Als Duo ist es erst mal wichtig, dass man eine Gliederung hat, die sakrosankt ist. Wenn man anfängt, daran zu rühren, fliegt einem alles um die Ohren. Es funktioniert nur, wenn jeder bei jedem Abschnitt, den er schreibt, weiß, wo der in der Gliederung steht. Am Ende kann man dann alles wieder umschmeißen. Außerdem: Ich finde das Schreiben als Einzel-Autor sehr einsam. Es ist viel fruchtbarer, wenn auch konfliktreicher, wenn man zu zweit ist.

 

Bester Ort zum Arbeiten hier in Prenzlauer Berg?

Ich schreibe meistens im Büro in Mitte, unter Leuten, wo es ein Grundrauschen gibt. Es geht gar nicht, wenn’s ganz still ist, auch nicht zuhause hier im Bötzowkiez. Manche Teile habe ich aber im LaTazza in der Hufelandstraße geschrieben, eher morgens, bevor die Kinderwägen kommen. Dort ist eine gute Arbeitsatmosphäre, weil man sich auch an die Ränder zurückziehen kann. Ein wirklich schöner Kaffeehaus-Arbeitsort.

 

Die Wahlplakate hier: Sehen Sie da zahlenmäßigen Beratungsbedarf?

Bei den Wahlplakaten merkt man eine Reduktion, die mit einer gewissen Verzögerung auf das reagiert, was in der Konsumgüterwerbung passiert: noch weniger Botschaften. Also eine Tendenz zu Zwei-Wort-Slogans. So wie bei VW - „Das Auto“ - ist es bei der SPD: „Berlin verstehen“. Das unterläuft den politischen Dreiklang. Der politische Slogan hatte eigentlich immer drei Elemente. Wie „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“, der Klassiker. Bei der FDP waren es mal drei grafische Punkte, die sich dann auch gern in drei griffige Begriffe übersetzten, wie „Freiheit, Vertrauen, Ehrlichkeit“, so was.

 

Wo verläuft bei der Beschäftigung mit Zahlen die Grenze zum Hokuspokus?

Man wandelt natürlich immer auf dem schmalen Grat der Mustererkennung und Numerologie. Es gibt eine große Diskussion über den Goldenen Schnitt, also: Zwei Teile einer Strecke stehen im Verhältnis des Goldenen Schnitts, wenn sich der größere zum kleineren Teil verhält wie die ganze Strecke zum größeren Teil. Man findet ihn seit der griechischen Antike sowohl in der Natur als auch im vom Menschen Gemachten, als naturwüchsige, harmonische Gestaltung. Tatsächlich ist das aber eine dieser Fallen der Mustererkennung. Zur Not wird’s passend gemacht. Ähnlich wie bei der 23 der Illuminaten: Wenn man sie sucht, findet man sie überall als Quersumme. Ich würde deshalb nicht so weit gehen, mein Leben nach Zahlen auszurichten.

 

Wer macht das denn ernsthaft – außer Politikern, die auf Wahlergebnisse fixiert sein müssen?

Eine Frau, die übrigens auch in Prenzlauer Berg wohnt, erzählte uns: Wenn es ihr morgens nicht gelänge, ein Glas Saft in einer ungeraden Anzahl an Schlücken zu leeren, dann sei der Tag im Eimer. Das ist genau die Art der Macht, die Zahlen dann über einen gewinnen, wenn man ihnen im esoterischen Sinn eine geheime Schicksalsmacht zuspricht. Es ist schon kein Vergnügen, sich vorzustellen, wie viele Menschen dem tatsächlich eine Bedeutung beimessen, wie weit die Antiaufklärung reicht.

 

Warum sollen Zahlen in Zukunft trotzdem eine größere Rolle spielen?

Das ist ja das, was der amerikanische Soziologe Jeremy Rifkin in „Die empathische Zivilisation“ entwirft: Dass jetzt das Zeitalter anbricht, in dem es viel stärker um die Dramaturgie geht, als um nackten Rationalismus. Das empathische Zeitalter heißt, dass derjenige, der etwas zu sagen hat, das auch rhythmisch und zahlenmäßig gut darstellen kann. Ich glaube, wir stehen ganz am Anfang dieser Beschäftigung. Und dürfen andererseits die Macht der Zahlen nicht überschätzen.

 

Welche Zahl hat Sie bei der Recherche denn am meisten überrascht?

Die Sechs, die uns tatsächlich noch als archaische Ordnungskraft begegnet. Aber interessanterweise nicht nur beim halben Dutzend Eier, im Zeitsystem mit seinen 60 Minuten, beim Winkelmaß mit seinen 360 Grad oder beim Strom mit seinen 120 Volt, zumindest in Amerika. Sondern auch bei den Preisen für Kunstwerke. Wir haben den Galeristen Gerd Harry „Judy“ Lybke gefragt, wie er Preise macht: Gute Preise sind Vielfache von sechs und zwölf, also 1200, 2400, 3600. Und die Erklärung dafür ist, dass in einem Segment, in dem es keine harten, belastbaren Kalkulationen gibt, wo der Preis weder durch Arbeitszeit noch durch Materialwert gedeckt ist, Preise nötig sind, die „gut ausgedacht“ wirken, wie Lybke sagt. Und da bieten sich eben nicht die Zehner-Rundzahlen an. 2000 oder 3000 wirken völlig aus der Luft gegriffen. Da ist die Zwölfer-Reihe eine gute Alternative, weil sie einerseits sehr vertraut erscheint und sehr solide, selbstevident, aber gleichzeitig abweicht von den ganz runden Zehnern.

 

Gibt es im westlichen Kulturkreis eine Zahl, auf die sich alle einigen können, die Nummer Sicher?

Es ist wahrscheinlich kein besonders großer Startvorteil, auf dem Wahlzettel auf Platz Sieben zu stehen. Worüber ich dann aber überrascht war: Wir haben auf Facebook eine Umfrage nach der Lieblingszahl gemacht. Und das war mit großem Abstand die Sieben, obwohl man beim Abstimmen schon das bisherige Ergebnis sehen konnte.

 

Könnte also der Drang, sich von anderen abzugrenzen, im Rückzug begriffen sein?

Das ist ganz interessant und wird vielleicht das nächste Buch: dass das Zeitalter des forcierten Individualismus eventuell doch mal vorbei ist und man sich wieder lustvoll der Konformität hingibt. Ohne sich dabei künstlich interessant zu machen über Mode und langweilige Dinge, sondern über das, was man redet und was man im Kopf hat. Das sollte dann natürlich nach Möglichkeit nicht konform sein.

 

Wieviele Fragen hat das ideale Interview?

Redenschreiber und Berater neigen zu ungeraden Zahlen. Ich weiß nicht, ob das auch für Interviews gilt, aber die Regel „drei, fünf und sieben gehen immer“ gilt vermutlich auch für Interviews.  

 

Holm Friebe, geboren 1972 in Lüdenscheid und seit Mitte der Neunziger Jahre wohnhaft in Prenzlauer Berg, studierte als junger Zahlen-Fan erst einmal Volkswirtschaft. Bekannt wurde er dann aber durch sein gemeinsam mit Sascha Lobo verfasstes Buch „Wir nennen es Arbeit – Die digitale Bohème oder Intelligentes Leben jenseits der Festanstellung“ (Heyne, 2006). Er gründete die „Zentrale Intelligenz Agentur“ (ZIA), konzipierte das Weblog „Riesenmaschine“ und lehrte an der Zürcher Hochschule der Künste im Studiengang „Style und Design“. Nach „Marke Eigenbau – Der Aufstand der Massen gegen die Massenproduktion“ (mit Thomas Ramge, Campus, 2008) erscheint am 29. August bei Hanser sein neues Buch „Was Sie schon immer über 6 wissen wollten – Wie Zahlen wirken“, das er zusammen mit seinem ZIA-Kollegen Philipp Albers geschrieben hat (der in Mitte wohnt).

Am 29. August um 20 Uhr stellen die beiden Autoren ihr Buch vor: im Radialsystem V, Holzmarktstraße 33, Eintritt 10, erm. 5 Euro, Karten unter 030/ 288 788 588 oder www.radialsystem.de.

 

 

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