Niemand zu Hause

von Kristina Auer 6. Juni 2016

Eigentlich könnten Geflüchtete schon in die Storkower Straße 118 einziehen. Warum in einer fertigen Unterkunft noch niemand wohnt.

Die Vorbereitungen für den Umzug der Berliner Flüchtlinge von Turnhallen in richtige Unterkünfte sind in vollem Gange: Medienberichten zufolge hat der Berliner Senat dem Rat der Bürgermeister am letzten Donnerstag einen bereits im April angekündigten Zeitplan vorgelegt, in dem sowohl die Reihenfolge von 47 frei werdenden Hallen als auch die neuen Unterkünfte der jeweiligen Bewohner aufgelistet sind. Darauf findet sich auch eine neu entstehende Gemeinschaftsunterkunft in der Storkower Straße 118 und 118a, Termin für den Einzug ist im Juli. Und so verkündete auch Bezirksbürgermeister Mathias Köhne (SPD) schon in der letzten BVV-Sitzung am Mittwoch frohen Mutes die für den kommenden Monat geplante Eröffnung der neuen Gemeinschaftsunterkunft in Prenzlauer Berg. Vor allem Familien sollen in den beiden ehemaligen Bürogebäuden wohnen. Es handelt sich um die jetzigen Bewohner der Turnhallen in der Wichert- und der Winsstraße in Prenzlauer Berg, aber auch der Woelckpromenade und der Smetanastraße in Pankow sowie der Otto-Ostrowski-Straße in Friedrichshain-Kreuzberg.

Überraschend ist es da, dass die neue Gemeinschaftsunterkunft noch gar keinen Betreiber hat. Zumindest nicht offiziell, wie der stellvertretende Pressesprecher der Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales, Sascha Langenbach auf Anfrage mitteilte. Und auch sonst wirkt einiges durcheinander beim Aufbau der neuen Unterkunft. Hier der Versuch einer Chronologie des Chaos:

 

Ausschreibungs- …pflicht?

 

Wenn das Land Berlin mit einem privaten Unternehmen einen Vertrag über eine Dienstleistung abschließen will, muss es eine öffentliche Ausschreibung geben. Das schreibt die Berliner Landeshaushaltsordnung (LHO) vor. Das Betreiben einer Gemeinschaftsunterkunft für geflüchtete Menschen ist so eine Dienstleistung. Ist der Betrag für die Dienstleistung, um den es dabei geht, höher als 207.000 Euro, muss die Ausschreibung sogar europaweit passieren. Das sieht wiederum die Vergabe- und Vertragsordnung für Leistungen (VOL/A) vor. In der neuen Unterkunft in der Storkower Straße sollen 477 Menschen leben. Rechnet man mit dem Mustertagessatz pro Bewohner von 25 Euro, der inzwischen oft als deutlich zu niedrig angesehen wird, käme man also allein im ersten halben Jahr auf eine Summe von über 2 Millionen Euro. Betriebskosten und Gebäudekosten, beispielsweise für Umbauarbeiten, sind dabei noch nicht einbezogen.

Wie bei jeder Regelung gibt es auch bei der Vergabeordnung Ausnahmen. So erlaubt die Vergabeordnung in „begründeten Ausnahmefällen“ eine sogenannte „freihändige“ Vergabe, das bedeutet eine Vertragsvergabe ohne öffentliche Ausschreibung. Außerdem kann eine Ausschreibung unter bestimmten Voraussetzungen wieder gestoppt werden, zum Beispiel wenn schwerwiegende Gründe vorliegen.

Eine Ausschreibung gab es immerhin, wenn auch nicht EU-weit. Wie Senatsverwaltungssprecher Langenbach sagte, wurden im Frühjahr mehrere Betreiber mit der Aufforderung angeschrieben, eine Konzeption für den Betrieb der Gemeinschaftsunterkunft in der Storkower Straße 118 einzureichen. Das Vergabeverfahren wurde aber nur kurze Zeit später wieder gestoppt. Der Grund: Der Eigentümer des Gebäudes wollte selbst bestimmen, wer Betreiber der Unterkunft wird, so Langenbach.

 

Alles nur pro forma?

 

Laut Marco Schulze, dem Geschäftsführer der Betreiberfirma mit dem Namen STK 118 Immobilien GmbH, stand schon lange vor der Ausschreibung fest, dass seine Firma Betreiber der neuen Unterkunft werden sollte. Die STK 118 GmbH wurde letzten August gegründet, Eigentümer ist Yilan Fan. Laut Schulze hat die Gesellschaft den Zweck, „das Gebäude in der Storkower Straße 118 sozialen Zwecken zuzuführen.“ Seit letzten Sommer habe es Gespräche und mündliche Absprachen mit dem LAGeSo gegeben, das habe der STK 118 „ein klares Ja“ gegeben, so Schulze. Senatsverwaltungssprecher Langenbach will diese Aussage nicht bestätigen. „Man kann vorab über Vieles sprechen, aber letztendlich gelten immer nur die vertraglich festgehaltenen Regelungen“, sagt Langenbach auf Anfrage.

Marco Schulze und sein Kollege Stéphane Aspe wurden Anfang des Jahres als Geschäftsführer der STK 118 eingesetzt. Beide kommen aus dem sozialen Bereich, waren vorher in der Pflege- und Wohnungslosenarbeit tätig, unter anderem beim Berliner Unternehmen A-Z Hilfen.  Eigentümer des Gebäudes ist laut Schulze eine chinesische Immobilien- und Unternehmensberatungsfirma namens Potsdam Shanghai Business Center GmbH (PSBC). Im Handelsregister ist ein weiteres Unternehmen namens Shengda Development GmbH mit Sitz in der Storkower Straße 118 eingetragen. Die Geschäftsführerin heißt Jin Yi Zhou und ist dieselbe wie bei PSBC, der Prokurist heißt Ziqhi Fan. Schulze begründet den Einsatz der Eigentümer für die Vergabe an die STK 118 mit guten persönlichen Kontakten: „Da kannte man sich schon früher.“ Näheres sei ihm selbst zu der Beziehung der beiden Unternehmen aber nicht bekannt. Die Firma PSBC GmbH war trotz mehrfacher Versuche nicht telefonisch erreichbar.

 

Warten auf das offizielle Go

 

Wenn der zukünftige Betreiber schon länger feststand, dann verwundert es nun umso mehr, dass sich die Eröffnung verzögert. Derzeit werde geprüft, ob die STK 118 GmbH für die Beauftragung mit dem Betrieb der Unterkunft geeignet sei, heißt es von Senatsverwaltungssprecher Langenbach. „Bei dem hohen Bearbeitungsaufkommen ist es dieser Tage schwierig, sich auf präzise Termine festzulegen“, sagt Langenbach. Alle Beteiligten arbeiteten aber daran, den vorgesehenen Termin im Juli einzuhalten. Die Verzögerung sei der Genauigkeit der Behörde geschuldet.

Ursprünglich sei der Einzug der ersten Bewohner schon ab Juni geplant gewesen, so Geschäftsführer Schulze. Nun aber gebe es Schwierigkeiten bei den Vertragsverhandlungen. Das LAGeSo habe einen neuen Vertragsentwurf vorgelegt, der strenge Auflagen beinhalte. Außerdem gebe es unterschiedliche Auffassungen über die notwendige Tagessatzhöhe pro Bewohner. Inzwischen habe er seit über vier Wochen nichts mehr vom LAGeSo gehört, sagt Schulze.

Von dem Eröffnungstermin im Juli habe er selbst nur durch die Medien erfahren. Dabei sei die Unterkunft quasi bezugsfähig. Die Arbeiten sind abgeschlossen, auch Personal hat die Betreiberfirma bereits eingestellt. Außerdem gab es schon Treffen mit dem Unterstüzterkreis der anderen beiden Flüchtlingsunterkünfte in der Storkower Straße, um einen eigenen Helferkreis zu organisieren. „Wir würden herzlich gerne aufmachen, das können wir auch, aber wir brauchen das Go vom LAGeSo“, sagt Schulze. Man warte lediglich noch auf die letzten Dokumente vom Stadtplanungsamt, die in dieser Woche eintreffen sollten.

 

„Uns geht irgendwann die Luft aus“

 

Die Verzögerung des Eröffnungstermins wird für die Betreiberfirma immer mehr zum Problem. „Irgendwann geht uns die Luft aus“, sagt Schulze. Man habe einen Kredit aufgenommen, um die Vorbereitungsarbeiten für die Unterkunft zu bezahlen, unter anderem sei eine Gartenfläche und ein Spielplatz für die Kinder gebaut worden. Erst letzte Woche habe ein Lastwagen eine große Sandladung geliefert, mit der ein Sandkasten gebaut werde. „Es waren auch schon viele Leute da, die gefragt haben, ob sie einziehen könnten“, sagt Schulze. „Es tut mir in der Seele weh, diese Leute wegzuschicken.“

Jetzt bleibt abzuwarten, ob der veranschlagte Eröffnungstermin im Juli eingehalten wird. Angesichts des riesigen Bedarfs an Unterkünften sollte man eigentlich das Beste hoffen. Letzen Endes hängt das Freiwerden der Turnhallen in der Wins- und Wichtertstraße von der Eröffnung der Gemeinschaftsunterkunft in der Storkower Straße 118 ab. Natürlich muss das Funktionieren der Unterkunft zum Wohle der dort einziehenden Menschen sichergestellt werden. Außerdem sei es wichtig, alle Bestimmungen im Vornherein vertraglich festzuhalten, betont Langenbach. Dass die Menschen, die über ein halbes Jahr in Turnhallen gelebt haben, jetzt möglichst bald eine würdige und angemessene Bleibe in der Nähe zum Stadtzentrum finden, ist vielleicht bedeutender als die verworrenen Abläufe während der Eröffnungsvorbereitungen .

 

In dieser Woche haben wir uns mit den neuen und alten Unterkünften für Geflüchtete in Prenzlauer Berg beschäftigt. Im Podcast haben wir junge Geflüchtete in einer WG besucht. Außerdem zeigen wir die aktuellen Umzugspläne des Senats: Hier erfahrt ihr, welche Turnhallen wann frei werden und wohin die Bewohner umziehen sollen.

 

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