Es geht ums „UND“

von philipp 5. Februar 2014

 

(Fortsetzung)

  

Grund Nummer 4 – Das liebe Geld

 

Nein, das Betreuungsgeld an sich ist für Christine Reincke kein Grund, zuhause zu bleiben. Aber sie fragt sich schon, ob es sich finanziell lohnen würde, arbeiten zu gehen. Die Kita-Gebühren für die kleine Tochter, Essenszuschlag und Geld für Ausflüge für den Großen, vielleicht noch die Fahrkarten für die Großeltern, die man zu den Ferien antanzen lässt, damit Mami und Papi wie gewohnt im Büro aufschlagen können – da bleibt bei 20, 25 Stunden Arbeitszeit nicht viel.

Trotzdem ist für sie klar: „Es würde mir besser gehen, wenn ich arbeiten würde“. So richtig zufrieden ist sie zuhause nämlich nicht. Sie hätte gerne mal wieder Zeit – für sich, für Sport, für Abende mit Freunden, für Aktivitäten ohne Kind. Manchmal sei es doch so: „Derjenige, der von sieben Uhr morgens bis abends um sechs außer Haus ist, mag zwar im Job Stress haben, aber er kann wenigstens mal fünf Minuten in Ruhe einen Kaffee trinken.“ Das mag für Vollzeitarbeitende stimmen, für berufstätige Mütter in Teilzeit eher nicht. Denn als solche leistet man sich kaum Pausen und arbeitet effektiver als die Vollzeitkollegen, das zeigen zahllose Studien. Ruhe? Vielleicht abends, wenn die Kinder im Bett sind – falls der Chef nicht doch noch eine Mail geschrieben hat, die kurz beantwortet werden muss. Das gehört schließlich auch zum Deal. Man darf früher gehen als andere, sollte aber – wie Vollzeitarbeitende auch – erreichbar sein. Möglichst immer. Reincke hat vor diesem Balanceakt durchaus Respekt, aber wie gesagt: Ihr Weg wäre es nicht.

 

Was fürs Selbstwertgefühl

 

In einer Hinsicht aber ist sie ein wenig neidisch auf arbeitende Mütter wie mich: Wir leisten etwas, das auch andere wertschätzen und von dem nicht nur das Kind etwas hat, sondern auch wir selbst. Das fehlt der Vollzeit-Mama. Außerdem muss sie sich dauernd rechtfertigen. Schon bei ihrem ersten Kind, dem jetzt dreijährigen Sohn, wurde Reincke oft gefragt, wann sie denn endlich wieder arbeiten gehe. „Es ist beängstigend, welch einen hohen Stellenwert Arbeit in unserer Gesellschaft hat. Ich habe niemanden getroffen, der gesagt hat: ‚Toll, dass Du zuhause bleibst!’“. Für ihr Sozialleben ist das Nicht-Arbeiten sowieso nicht förderlich: Keine einzige ihrer Freundinnen bezieht Betreuungsgeld, all die Schwangerschafts- und Krabbelkursbekanntschaften verflüchtigen sich irgendwann wieder, weil die Mütter einfach keine Zeit mehr haben. Und Kollegen hat sie nun mal nicht.

Selbst ihr Mann rege immer wieder mal an, ob sie nicht doch „mal wieder rauskommen möchte“. Sie aber hält dagegen: „Dann müsste sich hier echt was ändern!“. Soll heißen: Dann müsste sich der Vater zeitlich mehr einbringen. „Ich würde sofort auf mein Handy verzichten und in eine kleinere Wohnung ziehen, wenn er dafür weniger arbeiten würde und mehr bei uns wäre“. Und: Sie würde selbst wieder arbeiten gehen – sofort. Und aufs Betreuungsgeld verzichten!

 

Mehr Raum fürs Dazwischen

 

Unterschiedlicher könnten zwei Lebensentwürfe nicht sein? Falsch. Denn Betreuungsgeld hin oder her – im Kern geht es für Eltern um ganz andere Fragen: Können wir Zeit mit unseren Kindern verbringen, ohne Angst haben zu müssen, dass wir für den Arbeitsmarkt dadurch für immer als „wenig engagiert“ bis „faul“ abgestempelt werden? Welche Rolle spielen die Väter? Wie schaffen Eltern es, ein Paar zu bleiben? Wie hat auch jeder für sich hin und wieder Freiräume? Alles auch mit Betreuungsgeld ungeklärt.

So weit voneinander entfernt sind die Antipoden der Familienpolitik also gar nicht. Ein gutes Zeichen? Ja, wenn es darum geht, nicht mehr gegeneinander, sondern miteinander zu kämpfen. Für mehr Angebote „Dazwischen“. Denn für die meisten Eltern in Deutschland geht es nicht um Entweder – Oder, arbeiten oder zuhause bleiben, Geld verdienen oder nicht, beim Kind sein oder nicht. Es geht ums UND. Dafür gibt es von Seiten der Politik immer noch kaum Angebote – angefangen von Krippenplätzen für zwei bis drei Tage die Woche bis hin zu Teilzeitjobs, die nicht in einer Sackgasse enden und vielleicht sogar später einmal noch Führungsjobs zulassen.

Reincke hat den Verdacht: Mit dem Streit „Betreuungsgeld oder Kita-Platz?“ lenkt die Politik davon ab, dass es für den Raum zwischen diesen beiden Extremen keine Ideen gibt – oder keinen politischen Willen. Ob die neue Bundesregierung das tatsächlich, wie angekündigt, ändern wird, werden wir sehen. Bis dahin teile ich diesen Verdacht.

 

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