Sozialamt: 1A oder A38?

von Juliane Schader 12. Dezember 2012

Warum macht das Pankower Sozialamt eigentlich ständig Miese? Ein Blick hinter die Kulissen und auf einen Streit zwischen alten Amtshasen und neuen Politikern.

Jan Schrecker hat ein Problem: Er will alles ganz genau wissen. Seit Monaten schon bombardiert der Vorsitzende der Piratenfraktion in der Pankower Bezirksverordnetenversammlung (BVV) die Sozialstadträtin Lioba Zürn-Kasztantowicz (SPD) mit Fragen: Warum kommt das Sozialamt bei der Bearbeitung von Anträgen Hilfsbedürftiger nicht hinterher? Warum fehlen dem Amt Mitarbeiter? Warum kontrolliert niemand die Effizienz der Angestellten? Und warum wird dabei zugesehen, dass aufgrund all dieser Missstände immer größere Defizite im Pankower Haushalt auftauchen? Zwar lässt Zürn-Kasztantowicz keine dieser Fragen gänzlich unbeantwortet. Doch den Wissensdurst des Piraten konnte sie bislang nicht stillen.

Der Kern des Streits ist ziemlich kompliziert und hat etwas mit der Kosten-Leistungs-Rechnung (KLR) zu tun, nach der der Senat jedes Jahr das Haushaltsgeld an die Bezirke verteilt. So geschieht es auch im sozialen Bereich bei den Hilfen in besonderen Lebenslagen, mit denen die Menschen unterstützt werden, deren Einkommen oder Rente nicht für ihre Betreuung und Pflege ausreicht. In den vergangenen Jahren ist die Zahl der Hilfsbedürftigen stetig gestiegen – die Anzahl der Mitarbeiter, die im Sozialamt ihre Anträge auf Unterstützung bearbeiten, ist aber eher zurückgegangen. Im Mai dieses Jahres waren 28 Stellen nicht besetzt, und auch darüber hinaus bliebt Arbeit liegen, weil Personal dauerhaft krank ist.

 

3,5 Millionen Euro Defizit

 

Aus dieser Situation ergibt sich, dass zum Ende eines Jahres nicht alle Anträge bearbeitet worden sind. Natürlich wird das im folgenden Jahr nachgeholt, sodass die Bedürftigen, wenn auch vielleicht verzögert, ihr Geld bekommen. Das Amt hat jedoch mit dem Problem zu kämpfen, dass die KLR den Schnitt immer genau zum Jahresende macht und zusammenrechnet, wie viel der Bezirk in diesem Jahr für die Hilfen ausgegeben hat. An diesem Wert orientiert sich dann die Zuweisung für das kommende Jahr. So bekommt Pankow weniger Geld, als es eigentlich braucht: Budgetdefizit nennt sich das. 3,5 Millionen Euro hat es bei den Hilfen in besonderen Lebenslagen 2011 betragen. Für 2012 rechnet die Sozialstadträtin mit ähnlichen Zahlen. Da die Bedürftigen in jedem Fall ein Anrecht auf dieses Geld haben, muss der Bezirk es an anderen Stellen einsparen. 

Hier kommt nun Jan Schrecker ins Spiel. Denn dieses Problem hat der Bezirk Pankow nicht zum ersten Mal: Zuletzt gab es 2008 ein Defizit von etwa 300.000 Euro. Mit sieben neuen Mitarbeitern wurde es damals kurzfristig besser, doch schon 2010 war man wieder in den Miesen. Hier habe der Bezirk sehenden Auges auf einen großen Schuldenberg zugesteuert, meint Schrecker: „Wenn ich weiß, dass Personal fehlt, muss ich intern umbesetzen und kontrollieren, ob überhaupt effizient genug gearbeitet wird.“

Für die Sozialstadträtin stellt sich die Lage ganz anders da: „Ich habe alle internen Möglichkeiten ausgeschöpft“, sagt sie. Generell sei es besonders schwierig, fürs Sozialamt Personal zu finden, zumal sie nur aus dem landeseigenen Stellenpool und nicht extern habe einstellen dürfen. Hinzu käme der desolate Zustand des Amtsgebäudes: „Die Toiletten sind heruntergekommen, durch die Fenster zieht es, und es gibt nicht einmal Teeküchen.“ Ein attraktiver Arbeitsplatz sieht anders aus.

 

Einstellungsoffensive 2013

 

Doch im kommenden Jahr soll nun alles besser werden: Erstmals darf der Bezirk wieder auf dem freien Arbeitsmarkt nach Personal suchen. Alle Stellen sollen so nun besetzt werden, die Ausschreibungen laufen. Mit der möglichen Abwicklung des Verwaltungsstandortes an der Fröbelstraße gibt es auch noch Hoffnung auf ein neues Gebäude. Zudem soll sich jemand um das Qualitätsmanagement kümmern, damit auch die Kosten pro Fall im Griff behalten werden. „Natürlich ist das eine große Verbesserung“, meint Zürn-Kasztantowicz. Bedacht werden müsse jedoch, dass nur bereits existierende Stellen besetzt würden. „Angesichts der steigenden Fallzahlen haben wir da eigentlich einen Mehrbedarf.“

Die Argumentation der Sozialstadträtin ist durchaus nachzuvollziehen. Doch für Schrecker macht sie es sich damit zu einfach. Zum einen fehlt es ihm an Beweisen, dass in den letzten Jahren tatsächlich intern umstrukturiert und somit alles gegen das Defizit getan wurde. Zum anderen glaubt er nicht, dass die unbesetzten Stellen tatsächlich das Kernproblem des Amtes sind.

„Die ganze Verwaltung ist unfassbar intransparent“, meint Schrecker. Bei seiner Arbeit in einer Kanzlei für Sozialrecht habe er die Erfahrung gemacht, dass im Amt vieles doppelt und dreifach gemacht würde – dieses Strukturproblem würde bislang aber völlig ignoriert. Darüber hinaus bezweifelt er, dass nur die undichten Fenster für den hohen Krankenstand verantwortlich sind und das Amt zu einem so unbeliebten Arbeitsplatz machen: „Aus Gesprächen weiß ich, dass das Arbeitsklima dort sehr schlecht ist und über Mobbing geklagt wird“, sagt er. Und fordert ein externes Gutachten, welches die aktuelle Situation analysiert und bestehende Schwierigkeiten aufdeckt. „Ich begrüße, was jetzt passiert“, meint Schrecker. „Aber man kann nicht immer einfach nachbesetzen und hoffen, dass sich damit alle Probleme lösen.“

 

„So läuft es halt!“ versus „Warum läuft es so?“

 

Indem er alle ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten ausschöpft, versucht Schrecker, der Sache nach und nach auf den Grund zu gehen. Während Zürn-Kasztantowicz mittlerweile das Gefühl hat, alles zum sechsten Mal zu erklären. Hier prallen sie aufeinander, die Welt der langjährigen Amtsvorsteherin, die die komplizierten Strukturen der Verwaltung längst adaptiert hat. Und die Sicht des Außenstehenden, für den die Bearbeitung eines Antrags im Sozialamt in etwa so nachvollziehbar ist wie das Ausstellen des Passierscheins A38 im Haus, das Verrückte macht.

Dem Pankower Haushalt kann dieser Konflikt nur gut tun. Das zeigt auch das Beispiel aus dem Jugendamt, welches im vergangenen Jahr noch mit ähnlichen Problemen zu kämpfen hatte. Nachdem das Thema ausführlich in der BVV und den dazugehörigen Ausschüssen diskutiert und intern nachgebessert wurde, fällt das Defizit dort 2012 wesentlich kleiner aus. Voraussetzung dafür war eine offene Diskussion und Zusammenarbeit zwischen Bezirksverordneten und Amt.

Das Frage-Antwort-Spiel zum Sozialamt geht derweil weiter: Schon heute Abend steht das Thema als Vorlage zur Kenntnisnahme auf der Tagesordnung der BVV-Tagung. Normalerweise werden diese Punkte nur still abgenickt. Jan Schrecker hat aber schonmal Redebdarf angemeldet.

 

 

 

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