„Wir machen noch vieles aus dem Bauch heraus“

von Thomas Trappe 12. Juni 2012

Seit einem halben Jahr machen die Piraten auch Politik in Pankow. Ein Gespräch mit Fraktions-Chef Michael Mittelbach über das erste halbe Jahr Bezirkspolitik, die Tricks der Anderen und warum es doch schlimmer ist als erwartet. 

Herr Mittelbach, zurzeit wird gar nicht weit weg von hier, in der Großen Seestraße in Weißensee, heftig gestritten. Anwohner wehren sich dagegen, dass in ihrer Nähe eine Unterkunft für psychisch Kranke eröffnet werden soll. Die Pankower Piraten mussten jetzt klarstellen, dass sie für eine Aktion nach dem Motto „Nicht vor meiner Haustür“ nicht zu haben sind. Ist es vielleicht doch nicht so einfach mit der Bürgerbeteiligung?

Wir machen uns nicht mit allen Partikularinteressen gemein. Aber das Grundproblem hier war ein anderes: Die Anwohner wurden nicht richtig informiert, was dort eigentlich hin soll, ihnen wurde nicht deutlich gemacht, dass es nicht um Sexualstraftäter geht. Richtig ist, dass einige zu uns kamen, die generell gegen solche Einrichtungen sind. Nachdem wir aber erklärt haben, worum es geht und vor allem, warum wir dafür sind, sind die Wogen inzwischen ein wenig geglättet. Transparenz bringt was. Auch dafür stehen wir ja. 

 

Stimmt, es scheint fast ein Mantra zu sein. Auch ihre Fraktionssitzungen sind öffentlich. Wie hat sich denn da das Interesse im vergangenen halben Jahr entwickelt?

 Am Anfang war es immens, der Raum hier war da fast zu eng für. Inzwischen ist es weniger geworden.

 

Kann man als Zuschauer eigentlich selbst Themen einbringen?

Man kann Fragen stellen. Wenn man zum Beispiel etwas nicht so richtig „piratisch“ findet.

 

Was ist denn bitte ein piratischer Inhalt?

Pragmatismus ist ein piratischer Inhalt.

 

Pragmatismus ist ein Stil, aber kein Inhalt.

Nein. Nehmen wir das Beispiel Haushalt. Die Pankower Piraten waren meines Wissens nach die Einzigen in Berlin, die ihrem Bezirkshaushalt  zugestimmt haben. Zunächst waren wir dagegen, da es zu viele Kürzungen im Kulturbereich geben sollte. Als die zurückgenommen wurden, konnten wir zustimmen. Es geht uns nicht um politische Grabenkämpfe, sondern um Lösungen. Das ist piratisch.

 

Piratisch heißt bis jetzt auch ein hohes Maß an Anfängerfehlern. Kürzlich stellte Ihre Fraktion einen Antrag zur Transparenz in der Verwaltung, dessen erste Forderung schon längst Praxis war. Ein anderer Antrag wurde offenbar von Kollegen aus Friedrichshain kopiert. Wie sehr ärgern Sie solche Fehler?

Geht so. Wir haben eben noch keine Routine. Keiner von uns kommt aus der Verwaltung. Wir alle machen das ehrenamtlich, und eigentlich ist das ja ein Vollzeitjob. Manchmal ist das dann natürlich frustrierend, wenn man merkt, dass die Materie einen gerade noch überfordert.

 

Ist es schlimmer als erwartet?

Ja. Ich selbst habe die Zähigkeit von BVV-Sitzungen unterschätzt, gleichzeitig werden manche Anträge in kaum nachvollziehbarem Tempo durchgejagt. Da kommt dann während der Sitzung ein Antrag rein, eine Beratungsphase ist nicht vorgesehen.

 

Das geht anderen Fraktionen auch so.

Nein, die anderen Fraktionen sind da im Vorteil: Irgendeiner, der das schon länger macht, wird die Materie schon kennen und die Meinung der Fraktion gleich mit. Wir können noch auf nichts zurückgreifen. 

 

Haben Sie das Gefühl, dass Sie ausgespielt werden? Wenn zum Beispiel mal wieder auf einen Geschäftsordnungsparagraphen verwiesen wird, den kein Pirat kennen kann?

Ein guter Stichpunkt. Wenn alles, wovon in der Pankower BVV schon behauptet wurde, es stehe in der Geschäftsordnung, dort wirklich stünde, dann müsste es ein dickes Buch sein. Es ist aber eher eine Broschüre.

 

In den bisherigen BVV-Sitzungen konnte es ja auch schon mal vorkommen, dass Anfragen der Piraten einfach weggelacht wurden.

Nun ja, bei den Grünen war es zu Beginn auch nicht anders. Jetzt sind wir halt die Einzigen, die sich massiv von den anderen Parteien abheben. Weil wir zurzeit noch vieles aus dem Bauch heraus machen.

 

Wie lange wird das von den Wählern honoriert?

Das kann noch eine Zeit lang gutgehen. Vielleicht finden wir ja ein Mittelding zwischen starren Abläufen und Spontaneität.

 

Was heißt das?

Es ist die Grundfrage: Verändern wir das System oder das System uns? In Pankow habe ich schon den Eindruck, dass wir es sind, die etwas verändern. Ob es um Transparenz bei der Kitaplatz-Vergabe geht oder um freies W-Lan – die anderen kupfern bei uns ab. Grundsätzlich finden wir das gut.

 

Aber Sie wissen schon, dass man als Partei Probleme bekommt, wenn man sich die Themen klauen lässt und nur noch zustimmt?

Gut, da ist sicher was dran. Aber ich habe eigentlich nicht diese Angst. Dazu sind die Kopien bisher zu schlecht oder halbherzig. Was sind Pankower Themen für die Piraten?Gerade bringen wir für den Bezirk ein Liquid-Feedback-System auf den Weg. Im Internet sollen so politische Vorhaben diskutiert, formuliert und auf den Weg gebracht werden. Das soll langfristig auch für Pankower Bürger zugänglich werden, zuerst einmal nur für akkreditierte Piraten.

 

Liquid-Feedback-Systeme werden auch außerhalb von Pankow verwirklicht.

Richtig, es gibt sie bereits auf Bundes- und Länderebene. Aber jetzt auch in Pankow. Also ist das was, was wir für Pankow erreicht haben.

 

Herr Mittelbach, danke für das Ge­spräch.

 

 

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