Urban Art: Im Dickicht der Großstadt

von Ute Zauft 12. April 2012

Wo die wilden Wesen hausen – man möchte kaum meinen, dass sie das in Prenzlauer Berg tun. Und doch: Für das Pictoplasma-Festival haben urbane Künstler einen Wald voller Fabelwesen in den Kiez gezaubert.

Das wilde Tier ist im Sprung: spitze Zähne im aufgerissenen Maul, scharfe Krallen an den erhobenen Tatzen. Unwillkürlich macht man sich beim Anblick des riesigen Graffiti-Gemäldes Sorgen um ein verirrtes Rotkäppchen, wäre da nicht ein Moment der Irritation: Hat der Wolf tatsächlich eine riesige Hornbrille auf der Schnauze? Also doch kein Märchen, sondern Parodie auf den Nerd-Brillen-Trend?

Low Bros nennt sich das Bruderpaar, das sich der Urban Art verschrieben und das blutrünstige Tier mit städtischem Touch kreiert hat. Für das Pictoplasma Festival rund um die visuelle Kultur der Jetzt-Zeit haben sie die Wände der Freien Internationalen Tankstelle in der Schwedter Straße in eine dunklen Wald voller wundersamer Wesen verwandelt.

 

Wesen mit menschlichen Zügen

 

„Characters“ – so lautet der Oberbegriff für die Figuren, die die beiden jungen Künstler an die Wände sprühen. Und rund um diese Characters dreht sich das Pictoplasma-Festival, das vom 11. bis 15. April an 20 Orten wie der Freien Internationalen Tankstelle stattfindet. „Character Design“ ist eines der Phänomene der visuellen Kultur, mit dem sich der etablierte Kunstbetrieb noch schwer zu tun scheint. Ursprünglich kommt der Begriff aus der Produktion klassischen Animationsfilme. Hier bezeichnet Character ist eine Art Schablone, mit der Zeichner in aller Welt gleichzeitig für ein Studio einen Trickfilm erstellen können: Reduktion, damit am Ende Donald Duck immer wiederzuerkennen ist. Doch inzwischen umfasst der Begriff quasi sämtliche Figuren mit menschlichen oder tierischen Zügen, die sich in den digitalen Welt, auf urbanen Häuserwänden oder in Werbespots tummeln.

 

Kein Ort ist in Prenzlauer Berg wohl geeigneter für einen Wald voller wundersamer Wesen als die Freie Internationale Tankstelle (F.I.T.): Diese urbane Oase an der Ecke Schwedter/Templiner Straße wirkt leicht verwildert. Die Zapfstelle aus den 20er Jahren ist seit 1986 nicht mehr in Betrieb, steht aber unter Denkmalschutz. Das bedeutet: Anstreichen ist erlaubt, abreißen nicht. 2003 hat der Künstler Dida Zende sie gemietet und den dazugehörigen Verein initiiert. Wenn der Begriff ‚White Cube‘ für die klassische Galerie stehe, dann habe die F.I.T. den Anspruch, ein umgestülpter ‚White Cube‘ zu sein, so Dida Zende. Mal stellt ein Hobby-Fotograf seine Bilder aus, mal findet das alternative Filmfestival „Cannes de Petrol“ satt, bei dem aus Prinzip der schlechteste Beitrag gewinnt. Gleichzeitig bedeutet dieses freie Konzept, dass die Tanke längst nicht immer bespielt wird. In den Zwischenzeiten vermietet der Verein Zapfhäuschen und Grundstück als Veranstaltungsort und finanziert andere Projekt darüber.

 

Ästhetik und Spaß sind der Maßstab

 

Auch die Brüder Florin und Christoph, aka Low Bros, haben noch ein zweites Standbein. Sie übernehmen Auftragsarbeiten als Illustratoren und Grafiker, doch die freien Kunstprojekte werden ihnen immer wichtiger. Inspiration stürme überall auf sie ein, erzählen sie, aber da seien zwei Dinge, die sie früh und nachhaltig geprägt haben: Aufgewachsen im städtischen Hamburg, haben sie ihre Wochenenden meist auf dem Land verbracht. So prallten in ihrer Kindheit der 80er zwei Welten aufeinander: Popkultur, Videospiele und Cartoons stießen auf Wald, Meer und unberührte Natur. Stellt sich hier die Frage nach dem Mitteilungsbedürfnis der Endzwanziger. Kopfschütteln von den beiden. Ihnen gehe es vor allem um die Ästhetik und um den Spaß daran, die eigenen Gedankenwelten offenzulegen. Und ja: Warum diese im Vorbeigehen nicht einfach mal auf sich wirken lassen? Überraschende Welten in den Straßen zwischen den gelb gestrichenen Häuserfronten.

Die furchterregenden Wesen des Low Bros-Duos werden übrigens ergänzt von den freundlich-bunten Figuren der Engländerin Alex Godwin, aka Billy. Sie ist zuständig für die glücklich machenden Wesen an den Wänden der F.I.T.: Zu Füßen des wilden Tieres, lässt sich ein friedlich schlummernder Prinz nicht aus der Ruhe bringen

 

F.I.T., freie internationale tankstelle, Schwedter Str.262

 

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