„Tötet Schwaben“

von Juliane Schader 30. Mai 2011

„Schwabe“ ist in Prenzlauer Berg längst ein etabliertes Schimpfwort. Es steht synonym für die Gentrifizierung, aber auch für den nicht überwundenen Ost-West-Konflikt.

Kann sie eigentlich noch irgend jemand hören, diese Diskussion um die Schwaben in Prenzlauer Berg? Wohl kaum, denn der Mythos der Schwaben, die einst über den wehrlosen Ostbezirk herfielen, dort ihre Kehrwoche einführten und in allen Wohnungen Marmorbäder einbauten, ist so abgegriffen wie ein schlechter Blondinenwitz. Längst hat man sich daran gewöhnt, dass „Schwabe“ ein gängiges Schimpfwort ist, mit dem man nicht nur im Internet seitenweise Gentrifizierungskritik garniert, sondern das auch gerne zur Meinungsäußerung an Häuserwänden eingesetzt wird. „Schwaben, verpisst Euch“, steht da zu lesen, „Keine Macht den Schwaben“ oder auch einfach „Tötet Schwaben.“

Tausendmal hat man solche Inschriften in Prenzlauer Berg schon gesehen, hat sich daran gewöhnen und es ignorieren gelernt, bis beim tausendundersten Mal dann doch die Einsicht kommt: Moment? Geht’s noch? „Tötet Schwaben“?!

 

Auch Schwaben-Hass ist Rassismus

 

Man muss gar nicht erst die große Nazi-Vergleichskeule rausholen; es reicht völlig, das „Schwaben“ kurz durch „Ostfriesen“ oder auch „süße Katzenbabys“ zu ersetzen, um zu merken: Es ist nicht nur ziemlich dumm, den Tod einer Gruppe Lebewesen zu fordern, sondern vor allem rassistisch. Das sollten nicht zuletzt die wissen, die da offenbar in einem akuten Anfall von Bionade-Allergie zur Sprühdose griffen.

Natürlich ist klar, dass keiner dieser Sprayer tatsächlich mit einem Messer in den Hauseingängen des Kollwitzkiezes hockt, um Neu-Berlinern aufzulauern und sie zur Strecke zu bringen. „Tötet Schwaben“, das ist nicht ihr Ernst, sondern vielmehr ihre Art zu sagen: Hier im Kiez hat sich viel verändert, und das gefällt mir nicht. Letztendlich benutzen sie das Wort Schwaben nur synonym für ihr eigentliches Feindbild: Die Gentrifizierung.

Dass man daran einiges kritisieren kann, ist keine Frage. Jedoch gibt es wahrlich besser durchdachte und lustigere Wege, seinem Unmut darüber Ausdruck zu verleihen, als einfach mal den Tod einer ganzen Bevölkerungsgruppe zu fordern oder sie anderweitig zu verunglimpfen. Das ist einfach nur stumpf und damit das Gegenteil eines guten Arguments. Etwas mehr Sensibilität und Fähigkeit, zu differenzieren, sollte aufgebracht werden von jedem, der eine politische Diskussion führen will.

 

Schwaben, Synonym für Gentrifizierung und einen nicht überwundenen Ost-West-Konflikt

 

Jedoch ist die Gentrifizierung nur ein Aspekt, der sich hinter dem großen Schwaben-Hass verbirgt. Auf der anderen Seite, die weniger von Sprayern als von Alteingesessenen bedient wird, gilt das Schimpfwort „Schwaben“ nicht der Gentrifizierung, sondern allen Wessis.

Auch wenn die Argumente in beiden Fällen ähnlich sind – vermeintlich Reiche ziehen her, sorgen für Sanierung und Aufwertung, treiben die Mieten nach oben und vertreiben so die ursprüngliche Bevölkerung – muss man unterscheiden zwischen dem Graben zwischen linken Gentrifizierungsgegnern und vermeintlich reichen Neu-Prenzlauer Bergern. Und dem zwischen Ost und West.

Warum? Ganz einfach: Weil die Gentrifizierungsdebatte überdeckt, dass Ost und West sich eben doch noch nicht so grün sind, wie wir 20 Jahren nach der Wende gerne hätten. Weil viele Ur-Berliner sich und ihre Geschichte nicht ernst- und wahrgenommen fühlen. Weil dieses Viertel eine Vergangenheit hat, die viel weiter zurückreicht als bis zur Erfindung des Latte Macchiato. Weil auch Hergezogene ein Recht aufs Ankommen haben. Weil eine Stadt nur lebt, wenn sie sich weiterentwickelt. Einfach: Weil wir darüber reden sollten und das nicht tun, solange wir glauben, es ginge nur um ein stadtsoziologisches Phänomen, das man auf der ganzen Welt und schon seit vielen Jahren kennt.

Also reden, und zwar miteinander. Aber nicht, indem wir uns gegenseitig die Pest an den Hals wünschen, hinterrücks per Hauswand-Post.

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