Speckbraten und Grenzöffnung

von Brigitte Preissler 8. Dezember 2011

Das Museum Pankow widmet derzeit dem „Paneuropäischen Picknick“ vom 19. August 1989 eine Ausstellung. Man erfährt hier unter anderem, wie eng die Ereignisse im ungarischen Sopron mit der Prenzlauer Berger Geschichte verbunden sind. 

Ein alter Trabi dient im Eingangsbereich als originelle Vitrine: Mit einem Zelt auf dem Dach, vollgepackt mit Reisenotwendigkeiten, demonstriert er aufs eindrücklichste, wie es damals etwa gewesen sein muss, wenn man als DDR-Bürger Urlaub in Ungarn machte. Man lud allerlei landestypische Kochbücher und Schallplatten, Landkarten, Reisepläne, ein Picknickgeschirr und die Kinder ins Auto und fuhr eben los. Gerade nach Ungarn machten sich im Sommer 1989 viele auf – allerdings nicht, weil sie, wie jedes Jahr, auch diesmal einfach wieder ihre Ferien am Balaton verbringen wollten. Ungarn hatte seit Anfang Mai 1989 damit begonnen, die Grenzanlagen zu Österreich abzubauen. Im Vorfeld des von der ungarischen Opposition anberaumten „Picknicks“, bei dem es nicht nur Speckbraten, sondern auch eine kurzzeitige Grenzöffnung geben sollte, war deshalb das ganze Land voller Ausreisewilliger. 

Deren Hoffnungen wurden nicht enttäuscht: Mit Zustimmung beider Länder wurde an diesem 19. August tatsächlich an einem Grenzübergang nahe Sopron der Stacheldraht symbolisch durchtrennt, das Tor blieb drei Stunden lang geöffnet. Hunderte nutzten diesen Moment zur Flucht in den Westen, und keiner der fünf ungarischen Grenzsoldaten um den Kommandanten Árpád Bella versuchte, sie daran zu hindern. Als „Erster Riss im Eisernen Vorhang“ bildete diese österreischisch-ungarische Grenzöffnung einen wichtigen Auslöser für alle weiteren politischen Entwicklungen des Herbstes 1989.

 

Ein Trabi als Einstiegshilfe

 

Als Inszenierung zum Thema DDR-Urlauber bildet vor allem der Trabi eine hübsche, sinnliche Einstiegshilfe in das komplexe Ausstellungssujet; Museumsleiter Bernt Roder will die Besucher so bei ihren eigenen Erinnerungen an die damaligen Urlaube abholen. Mithilfe von Infotafeln, Fotografien und Filmdokumentationen wird daneben die politische Vorgeschichte seit der Proklamation der ungarischen Volksrepublik im Jahre 1948 aufgerollt, ein besonderer Schwerpunkt liegt auch auf der späteren Rolle Ungarns als Urlaubs- und Transitland. 

Im Mittelpunkt aber steht natürlich der konkrete Ablauf des Festes. Teile der Original-Grenztoranlage aus Sopron sind zu sehen, vor allem aber setzen die Kuratoren verstärkt auf die anrührende Wirkung großformatiger Fotografien, die den Augenblick des Grenzübertritts festhalten: Vielen Flüchtenden steht ihr freudiges Entsetzen über die plötzlich erlangte Freiheit eindrucksvoll ins Gesicht geschrieben. 

 

Parallelität der Ereignisse in Sopron und Prenzlauer Berg

 

Wenige Wochen später, am Abend des 9. November, kam es bekanntlich auch auf der Bornholmer Brücke in Prenzlauer Berg zur Grenzöffnung. Auch hier schritten die Grenzwächter um ihren Vorgesetzten Harald Jäger nicht ein. Die Ausstellung streicht heraus, wie sehr sich die Ereignisse glichen; die Verdienste Jägers und Bellas werden gewürdigt, ohne die beiden Grenzwächter zu heroisieren. 

Mit ihren räumlichen, dreidimensionalen Möglichkeiten fängt die Ausstellung indes vergleichsweise wenig an; weniger die Sinne als vor allem das Hirn der Besucher werden angesprochen. Durch die Konzentration auf Texttafeln ist die Schau zwar einerseits informativ, andererseits aber auch schriftlastig. Die anschaulichsten Exponate sind (neben dem Trabi) sicherlich die großformatigen Bilder der weinenden Menschen während des Grenzübertritts – die man allerdings gut auch in Buchform hätte zeigen können. Und so weiß man hinterher zwar bestens Bescheid, was am 19. August 1989 in Sopron los war. Nur die Frage, was der Museumsbesuch beispielsweise der schlichten Geschichtsbuchlektüre voraus hat, hätte vielleicht noch etwas gründlicher beantwortet werden können. 

Der erste Riss im Eisernen Vorhang. Voraussetzungen und Folgen. Das Paneuropäische Picknick am 19. August 1989 in Sopron. Museum Pankow, Standort Prenzlauer Allee, Kultur- und Bildungszentrum Sebastian Haffner, Ausstellungshalle, Prenzlauer Allee 227/228. Geöffnet dienstags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr, Eintritt frei. Die Ausstellung läuft bis 20. Mai 2012.  

 

 

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