Sie sah hin

von Brigitte Preissler 27. Januar 2012

Berühmt wurde sie durch ihre Fotos von so genannten „Asozialen“ aus Prenzlauer Berg. Jetzt wird Gundula Schulze Eldowys Gesamtwerk mit gleich zwei Ausstellungen umfassend gewürdigt

Die Frau heißt Elsbeth Kördel, sie sitzt auf einer Bank am Kollwitzplatz und raucht. 66 Jahre alt ist sie auf dieser 1979 entstandenen Schwarz-Weiß-Fotografie. Man sieht, dass sie mal sehr schön gewesen sein muss. Vornübergebeugt hockt sie da, schaut selbstbewusst, fast kämpferisch in das Teleobjektiv der damals 25 Jahre alten Fotografin Gundula Schulze Eldowy. Ein Schild informiert, dass die junge Elsbeth Kördel von ihrem Mann einst „Tamerlan“ genannt wurde – nach einem Schlagertext von Kurt Tucholsky über einen mongolischen Herrscher gleichen Namens. 

Das Bild hängt in der Galerie c/o im ehemaligen Postfuhramt in Mitte, wo zurzeit eine von insgesamt zwei großen Berliner Ausstellungen dem Werk Gundula Schulze Eldowys gewidmet ist; die zweite, eine Doppelausstellung, wird im Kunstraum des Deutschen Bundestags gezeigt. Parallel dazu brachte der Leipziger Lehmstedt Verlag gleich drei Begleitpublikationen heraus – zwei Bildbände, einen Erzählband.  


Verlotterte Schönheit am Kollwitzplatz

 

Wäre da nur dieses eine, unaufdringliche Foto im Ausstellungshaus c/o, man würde vermutlich unberührt weitergehen, nachdem man die verlotterte Schönheit einer der letzten alten, ärmlich gekleideten Frauen, die je auf dem Kollwitzplatz rauchten, mäßig interessiert zur Kenntnis genommen hat. 

Auf den folgenden Bildern aber gewinnt Eldowys „Tamerlan“-Serie eine existenzielle Dimension. Anfang der 80er Jahre wurde Elsbeth Kördel krank, ihre Beine schwollen an, Operationen folgten, sie siechte, begann zu sterben. Eldowy begleitete ihre Prenzlauer Berger Zufallsbekanntschaft auch in dieser Zeit – als Mensch und als Fotografin. Sie sah hin. Und zwingt auch uns, hinzusehen. Am Ende, 1987, sehen wir Elsbeth Kördel also nackt auf ihrem Krankenlager sitzen. Verhärmt, abgemagert. Das Kämpferische in ihrem Blick ist weg. Und ihre Beine auch. 

 

Kinder, die mit Gasmasken spielen

 

„Teile dieser Ausstellung könnten Ihr persönliches Empfinden stören“, warnt ein paar Türen weiter ein Schild. „Stören“ ist aber falsch; richtig ist, dass vor allem die junge Eldowy einen im Innersten trifft. Man sagt über ihr damaliges Werk gelegentlich, es zeige die DDR-Gesellschaft im Stadium der Auflösung – weil es den Schmutz, die Bedrohtheit Ost-Berlins so deutlich zeige. Raketenpanzer auf der Karl-Liebknecht-Straße, Kinder, die mit Gasmasken spielen. 

Was es im selbst ernannten Arbeiter- und Bauernstaat eigentlich gar nicht geben durfte – das Elend, den Alkoholismus und die Einsamkeit der Arbeiter und Bauern – , fotografierte Eldowy tatsächlich mit äußerster Hingabe. Bei der Staatssicherheit machte sie sich dadurch nicht gerade beliebt. Ihr lagen die Horsts, Margaretes, Lothars und Ullas eben am Herzen, die damals im Scheunenviertel, in der bis heute existierenden Kneipe „August Fengler“ in Prenzlauer Berg oder in Dresdens Kleingartenanlagen lebten, liebten, soffen und schufteten. Die Schlachter, die U-Bahn-Angestellten und dürren Tänzerinnen. Auf einem Ost-Berliner Hof, der in seiner Düsterkeit einem Steinbruch ähnelt, lässt ein Kind die Flügel seines rosa Engelskostüms hängen, seine Mutter hat es ihm wohl aus einer alten Gardine genäht. Das Kind mag vier, fünf Jahre alt sein. Hoffnungsvoll sieht es nicht aus.  

 

„Denn irgendwann in Deinem Leben wirst Du diese Räume betreten müssen“

 

Um eine auf die DDR beschränkte Gesellschafts- und Sozialkritik ging es Gundula Schulze Eldowy aber nicht in erster Linie. Sie fotografierte fehlgebildete Neugeborene, die blutenden Schöße Gebärender im Kreißsaal, besuchte Altersheime, Krankenhäuser und Sterbezimmer. Geburt, Krankheit, Tod: Das betrifft jeden, in jeder Gesellschaft. „Denn irgendwann in Deinem Leben wirst Du diese Räume betreten müssen.“ Es sind die kaum erträglichen Grässlichkeiten des menschlichen Daseins, denen sie sich in den 70er und 80er Jahren mit beispielloser Distanzlosigkeit nähert. Dieses tabulose Interesse an krisenhaften Grenzsituationen und an jenen Menschen, die man in der DDR „asozial“ nannte, mag einseitig gewesen sein. Doch für das ästhetische Gegenstück – die  Darstellung eines zufriedenen, unbeschwerten Lebens in der DDR – gab es schließlich die Staatspropaganda.

In der Wende- und Nachwendezeit änderte sie ihren Stil, wandte sich von der zivilisationskritischen Schwarzweißfotografie zunehmend ab. Schon 1985 hatte sie den amerikanischen Fotografen Robert Frank kennengelernt, der sie 1990 nach New York einlud, später ging sie nach Ägypten, Peru, Istanbul, Moskau. Den seither entstandenen Arbeiten – viele davon sind im Bundestag zu sehen – fehlt die Kraft des Frühwerks. Sie sind blasser, gefälliger. „Spirituell“, wie sie selbst sagt. Heiligenbilder, mit Blattgold übermalte byzantinische Mosaiken, New Yorker Straßenszenen, Grabsteine. Gerade im Kontrast zu diesen späteren Bildern zeigt sich aber erst in aller Deutlichkeit, wie unerhört mutig und kompromisslos sich die Eldowy der 70er und 80er Jahre den Traurigkeiten und verzweifelten Leidenschaften ihrer damaligen Mitbürger stellte. 

 

Die Ausstellungen: 

„Die frühen Jahre. Fotografien 1977 bis 1990.“ c/o Berlin, Oranienburger Straße 35/36, Mitte. Geöffnet täglich 11-20 Uhr, Eintritt 10/5 Euro. 

Doppelausstellung „Verwandlungen. Fotografische Serien nach 1990“ im Kunst-Raum des Deutschen Bundestags. Und: „Den letzten beißen die Hunde – Eine Fotoinstallation der Wendezeit“ im Mauer-Mahnmahl des Deutschen Bundestages. Beide im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus, Zugang über den Schiffbauerdamm, geöffnet dienstags bis sonntags von 11 bis 17 Uhr, Eintritt frei, Infos auch unter www.kunst-im-bundestag.de 

Die Ausstellungen laufen bis 26. Februar 2012. 

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Veröffentlichungen: 

„Berlin in einer Hundenacht“, 160 Fotografien aus dem Jahren zwischen 1977 und 1990. In deutscher und englischer Sprache. Lehmstedt Verlag 2011, 248 Seiten, 29,90 Euro. 

„Der große und der kleine Schritt“, Fotografien 1982-1990. In deutscher und englischer Sprache. Lehmstedt Verlag 2011, 144 Seiten, 29,90 Euro. 

„Am fortgewehten Ort.“ Berliner Geschichten. Lehmstedt Verlag 2011, 248 Seiten, 14,90 Euro. 

Gundula Schulze Eldowy im Internet: z. B. auf http://www.berlin-ineinerhundenacht.de/

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Kurzbiografie:

Gundula Schulze Eldowy, geboren 1954 in Erfurt, studierte ab 1972 an der Ost-Berliner Fachhochschule für Werbung und Gestaltung und von 1979 bis 1984 Fotografie bei Horst Thorau an der HGB Leipzig. Seit 1985 arbeitete sie als freie Fotografin und verschaffte sich durch Bilderserien wie „Tamerlan“, „Berlin in einer Hundenacht“ oder „Straßenbild“ breite Anerkennung. Der internationale Durchbruch gelang ihr 1988 bei dem Rencontres de la Photographie in Arles, seither wird ihr Werk weltweit ausgestellt. Sie lebt in Berlin, Peru und auf Reisen. 

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