Mord im Stasiland

von Brigitte Preissler 18. August 2011

In Simon Urbans Debütroman „Plan D“ ermitteln zwei Kommissare in einem Kiez namens Prenzlauer Berg, in dem es auch 2011 noch eine Mauer gibt. Mit überraschenden Ergebnissen. 

Mal angenommen, die DDR wäre nie untergegangen. Angenommen, die Mauer stünde noch, und statt des „Gottseidank ist sie weg“-Gedenktags wäre vergangenen Samstag ihr fünfzigster Geburtstag gefeiert worden. Man stelle sich vor, die Öffnung von 1989 wäre nur eine vorübergehende Krise gewesen, und der DDR-Sozialismus würde – mit ein paar ausgereisten Bürgern weniger – bis heute erfolgreich „wiederbelebt“. Egon Krenz wäre seit mehr als zwei Jahrzehnten Staatsratsvorsitzender, und Oskar Lafontaine hätte sich derweil zum Kanzler der Bundesrepublik emporgearbeitet. 

Dieses wüste Szenario hat Simon Urban sich ausgedacht. Und es ist jeder einzelnen Zeile seines bei Schöffling erschienenen Debütromans „Plan D“ anzumerken, dass ihm dieses literarische Gedankenspiel verdammt viel Spaß bereitet haben muss. Zwar ist dieser 1975 in Hagen geborene Autor keineswegs der erste, der sich einen alternativen Geschichtsverlauf ausdenkt. Sich im Rahmen einer Fiktion mal probeweise zu fragen, ob der historische Weg ins Heute tatsächlich der beste, einzig gangbare war, ist spätestens seit Louis Geoffroys Alternativhistore „Napoleon und die Eroberung der Welt“ von 1836 (in der Napoleon den Russlandfeldzug gewinnt) ein nicht unbeliebter Sport unter Literaten. Ein Genre eben. So stellte sich zuletzt etwa Michael Chabon in „Die Vereinigung jiddischer Polizisten“ vor, die Juden wären nach dem 2. Weltkrieg nach Alaska ausgesiedelt statt nach Israel. Und auch die Frage, wie die Welt heute aussähe, wenn Hitler den Krieg gewonnen hätte, haben von Philipp K. Dick („Das Orakel vom Berge“) bis Robert Harris („Vaterland“) schon viele Autoren mit Romanen beantwortet. Die amerikanische Internetseite  http://uchronia.net/ versammelt weitere Beispiele. 

 

Die DDR 2011: Eine fettvernebelte Frittenbude

 

So witzig, so verspielt, so überbordend grotesk wie bei Simon Urban nimmt sich die literarische Parahistorie allerdings selten aus. Schon allein wegen der schrillen Ost-Produkte, mit denen er seine fiktive Gegenwarts-DDR ausstaffiert: Gegen die schicken, für Stasizwecke entwickelten High-Tech-Handys zum Beispiel, mit denen der Roman-Ossi des Jahres 2011 telefoniert, wirkt jedes iphone wie ein vorsintflutlicher Morsetelegraph. Die Trabi-Nachfolgemodelle dagegen sind offenbar noch etwas unausgereift: Da sie mit Rapsöl betrieben werden, gleicht die DDR des 21. Jahrhunderts, rein geruchsmäßig, einer riesigen, fettvernebelten Frittenbude.

Diese profitiert bei Urban wirtschaftlich davon, dass sie russisches Gas an die Bundesrepublik weiterleitet; bei Konsultationen zwischen Krenz und Lafontaine sollen diese Transitgeschäfte demnächst vertraglich auf ein neues Fundament gestellt werden. Da aber wird plötzlich ein ehemaliger Krenz-Berater an einer Pipeline erhängt. Alles deutet auf einen politischen Mord hin, und schon hat „Spiegel“-Chefredakteur Claus Kleber eine knallige Titelgeschichte: „Die Stasi mordet wieder. Wie ein unbelehrbarer Geheimdienst Europas Energiezukunft verspielt“. Um ein Scheitern der Ost-West-Verhandlungen, und damit, in letzter Konsequenz, den Bankrott der wirtschaftlich, moralisch und politisch maroden DDR zu verhindern, sollen ein Ost- und ein West-Kriminalist den Mordfall nun gemeinsam lösen.

 

Verfolgungsjagd am Thälmann-Denkmal 

 

Da rauscht dann also Brendel, der parfümierte Wessi-Kommissar, in sitzbeheizter Limousine durchs düstere Stasiland, und flößt seinem Kollegen, dem hoffnungslos in eine „Gas-Nutte“ verliebten Köpenicker Vopo-Schluffi Wegener, üblen Statusneid und Minderwertigkeitskomplexe ein. Wir lernen daraus: Die Gentrifizierung hätte nicht einmal vor der Mauer Halt gemacht, und zumindest in Urbans Figurenzeichnung und Milieuschilderungen erscheinen sowohl Ost als auch West als so rundum gleichwertig degeneriert, dass sich das Szenario einer Wiedervereinigung unversehens als ein gar nicht so schlechter Plan darstellt. 

Immerhin wird halbwegs einträchtig ermittelt, auch gegen die Stasi. Und unter anderem in Prenzlauer Berg: Die beiden Kommissare sichern Spuren in der Greifenhagener Straße und legen am Thälmann-Denkmal eine wilde Verfolgungsjagd hin. Urban, Germanist und Absolvent des Deutschen Literaturinstituts Leipzig, ist bei alldem immer unvoreingenommen genug, um alle thematischen Ost-West-Tretminen frech und ohne Berührungsängste anzugehen. Auf die Frage, wem man in seinem Romansozialismus wirklich trauen darf, und welche Staatsform letztendlich die bessere ist, hat er am Schluss ein paar überraschende Antworten parat. 

Simon Urban liest am Donnerstag, 8. September, um 20 Uhr in der Backfabrik, Saarbrücker Straße 36a. Moderation: Juli Zeh. Informationen und Karten (8 Euro) unter 43735734 und in „Buchbox“-Filialen.

Simon Urban, Plan D. Schöffling 2011, 552 Seiten, 24,95 Euro.

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