(Un)ordnung online

von Kristina Auer 17. Januar 2017

Wie läuft das mit dem Online-Portal des Ordnungsamts eigentlich bei uns in Prenzlauer Berg? Unser Leser hat den Test gemacht und landete tief im Behördenchaos.

Darum geht’s:

  • Das Ordnungsamt nimmt Meldungen über das Online-Portal zwar auf, verfolgt sie aber nicht zwangsläufig.
  • Amt und Bußgeldstelle der Polizei widersprechen sich gegenseitig bei Zuständigkeiten und Rechtslage
  • Laut Stadträtin Tietje (SPD) sind Bürgermeldungen dennoch wichtig für die Einsatzplanung

 

Jeder Radfahrer kennt das Ärgernis: auf dem Fahrradstreifen parkende Autos. Solche Falschparker sind für Radfahrer ein Risiko, weil sie diese zwingen, die Fahrbahn zu benutzen. Das kann nerven. Erfahrungsgemäß kommen die Falschparker oft an den immer gleichen Stellen vor.

 

Sternstunden der Behördensprache

 

So ging es auch unserem Leser Günter. Er ärgerte sich mehrmals über Autos, die in der Wichertstraße auf dem Fahrradstreifen parkten und ihn mit dem Fahrrad am Durchkommen hinderten. Dagegen wollte Günter B. etwas tun. Und dachte sich: Was wäre dafür besser geeignet, als das Portal Ordnungsamt Online. Das gibt es seit August 2015 und seit letzten Sommer sogar als Smartphone-App. Ordnungsamt Online soll als Schnittstelle zwischen Amt und Bürgern den Kontakt vereinfachen und die Arbeit des Amts transparent machen. Alle Meldungen sind online einsehbar und eine Ampelkennzeichnung zeigt den Bearbeitungsstatus durch das Ordnungsamt.

Also machte Günter eine Meldung über den Fahrradweg-Parker und fügte ein Foto bei, auf dem der Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung zu sehen ist. Leider passierte nicht das Erhoffte. Das Ordnungsamt antwortete auf die Meldung: „Die Bußgeldstelle der Polizei hat, die für die Verfolgung und Ahndung von Verkehrsordnungswidrigkeiten zuständig ist, Ihre Rechtsauffassung zum Thema Anzeigen von Verkehrsordnungswidrigkeiten durch Privatpersonen mitgeteilt. Danach kann eine einzelne Privatanzeige dann bearbeitet werden, wenn der Bußgeldstelle ladungsfähige Anschriften des Anzeigenden und mindestens eines unabhängigen Zeugen mitgeteilt werden.“

Ohne Zeugen keine Verfolgung der Ordnungswidrigkeit also. Darunter noch der Hinweis, dass die Meldung deshalb nicht als Anzeige gewertet werde und ein Schlusssatz, der als Paradebeispiel der Behördensprache in die Geschichte eingehen könnte: „Sofern sich aus Ihrem Hinweis (…) ein über die routinemäßigen Kontrollen hinaus erforderlicher Handlungsbedarf ergeben sollte, werden wir diesen im Rahmen der verfügbaren Personalressourcen einplanen.“ Kurz gesagt: Es passiert nix.

Dieses etwas unscharfe Foto fügte unser Leser als Beweis seiner Meldung bei Ordnungsamt Online bei.

 

Wer bestimmt hier was?

 

Komisch, dachte sich Günter, denn er hatte ja extra ein Foto mitgeschickt, das den Verstoß eindeutig dokumentierte. Wozu also einen Zeugen? Also fragte er sicherheitshalber mal beim Polizeipräsidenten nach. Und siehe da, die Antwort lautete: „Zur Verfahrensweise der Bußgeldstelle ist anzumerken, dass qualifizierte Einzelanzeigen von Privatpersonen bearbeitet werden, wobei die Nennung von Zeugen keine zwingende Voraussetzung für die Bearbeitung ist.“

Was also nun? Ist es nutzlos, Verkehrsdelikte als Einzelperson ohne Zeugen beim Ordnungsamt zu melden, oder doch nicht? Kann man auf einer Verfolgung bestehen? Oder ist Ordnungsamt Online am Ende womöglich nur ein Marketing-Gag der Berliner Ordnungsämter?

„Auf keinen Fall“, sagt Bezirksstadträtin Rona Tietje (SPD), die gerade auch das Ressort Ordnung leitet, solange der dafür zuständige Stadtrat in Pankow noch nicht im Amt ist. Grundsätzlich werde jede Meldung vom Ordnungsamt aufgenommen. „Wenn jemand akut behindert wird, also beispielsweise eingeparkt ist und nicht mehr weiterkommt, dann wird das Ordnungsamt auch sofort aktiv und schleppt zum Beispiel Fahrzeuge ab“, sagt Tietje.
Bei Verkehrsdelikten wie Falschparken gehe es aber darum, ein Bußgeldverfahren einzuleiten, und dafür sei die Bußgeldstelle der Polizei zuständig. Dafür müsse die Meldung rechtssicher sein, so Tietje. Und deshalb gebe es ihres Wissens nach drei Voraussetzungen: „Erstens muss das Delikt vom Ordnungsamt aufgenommen werden, zweitens müssen ein oder mehrere unabhängige Zeugen eingetragen werden, drittens muss das Ordnungsamt die Meldung per Fax an die Polizei übermitteln“, sagt Tietje.

 

Selbsternannte Ordnungshüter und ratlose Rätinnen

 

Also nochmal bei der Polizei nachgefragt: „Grundsätzlich entscheidet das Ordnungsamt, welche Anzeigen es an die Bußgeldstelle weiterleitet“, sagt Heidi Vogt von der Berliner Polizei. An diesem Punkt beißt sich also die Katze in den Schwanz: Beide Stellen schieben sich gegenseitig die Entscheidungsgewalt darüber  zu, wann ein Verfahren eingeleitet werden kann.

Und zur Rechtsauffassung: „Wir müssen ein bisschen aufpassen, dass nicht selbsternannte Ordnungshüter durch die Straßen ziehen und laufend Anzeigen machen. Prinzipiell ist aber eine Anzeige auch ohne Zeugen möglich, wenn der Tatbestand zum Beispiel mit einem Foto nachgewiesen werden kann.“

Ratlosigkeit bei der Stadträtin als Reaktion auf diese Aussage. „Dass ein Bußgeldverfahren auf Grundlage eines Fotos eingeleitet werden kann, ist mit nicht geläufig“, sagt Tietje. Ihr seien nur die Voraussetzungen bekannt, die sie schon genannt habe. Ein Dokument, dass die Vereinbarung zwischen Ordnungsamt und Bußgeldstelle festhält, gibt es übrigens nicht. Das hatte Günter schon mit dem Polizeipräsidenten geklärt.

 

Ein Ausflug im Nebel

 

Und so bleibt der Einblick in die Ämterzusammenarbeit ein wenig vernebelt. Will das Ordnungsamt Arbeitsstau vermeiden, indem Meldungen zwar zur Kenntnis genommen, aber nicht zur Anzeige gebracht werden? Gibt es nicht genügend Mitarbeiter? Sind private Verkehrsüberwacher ein so großes Problem, dass sich die Verwaltung vor ihnen schützen muss? Und warum schieben sich Polizei und Amt gegenseitig die Entscheidungsgewalt in die Schuhe? Fest steht, einen Rechtsanspruch darauf, dass eine Meldung beim Ordnungsamt zu einem Verfahren führt, gibt es nicht. Und so entpuppt sich das Ordnungsamt-Online-Experiment als ein weiterer Ausflug in den Berliner Verwaltungsalltag. An dessen Ende die Erkenntnis steht: So einfach wie gehofft ist es im echten Leben nicht.

Glaubt man Stadträtin Tietje sind Meldungen über Ordnungsamt Online aber doch nicht völlig zwecklos: „Das Ordnungsamt richtet sich in der Einsatzplanung und -koordination nach den Meldungen der Bürger.“ Das ist halt nur schwer nachzuprüfen. Mal sehen, wie viele Fahrradstreifen-Parker sich in nächster Zeit so in der Wichertstraße tummeln.

 

Habt Ihr auch Erfahrungen mit Ordnungsamt Online gemacht? Erzählt uns davon in den Kommentaren!

 

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