Öffentlicher Gesundheitsdienst: Not am Arzt

von Thomas Trappe 24. Februar 2015

Der öffentliche Gesundheitsdienst ist im Bezirk kaum noch arbeitsfähig, man findet kein Personal. Asylbewerber-Kinder können nicht mehr durchgehend geimpft werden, auch bei der Tuberkulose-Vorsorge gibt es bedenkliche Abstimmungsprobleme.

Wenn der öffentliche Dienst auch sonst nicht viel zu bieten hat, auf diese Verkaufsargumente kann er immer zurückgreifen: Geregelte Arbeitszeiten, Überstunden, Feierabend. Das allerdings verpufft schnell, kommt der Gegner damit: mehr Geld. Mit dieser Schwäche schlägt sich das Pankower Bezirksamt herum, geht es darum, Ärzte für den öffentlichen Dienst anzuwerben, genauer gesagt Fachärzte für den Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD). Seit Jahren werden die, vor allem in den ostdeutschen Provinzen, händeringend gesucht, nun aber wird das Problem auch in den Metropolen spürbar, nicht zuletzt in Prenzlauer Berg. Drei von sechs Arztstellen sind im Bezirk Pankow allein im kinder- und jugendgesundheitlichen Dienst nicht besetzt, und ein Lückenschluss ist nicht absehbar. Im Gegenteil: Die Verlockung für Ärzte, an Kliniken zu gehen, wird stetig größer, und die Jobangebote dort werden immer besser und mehr. Darunter leidet der ÖGD, der nicht nur keine guten Gehälter bieten kann, sondern in Prenzlauer Berg auch immer mehr Menschen versorgen muss. Perspektivisch haut hier also mal gar nichts hin: Akut hat das Folgen zum Beispiel bei den Impfungen und dem Seuchenschutz, unter anderem bei der Tuberkulose-Prävention.

Der ÖGD ist ein Bereich der Gesundheitsversorgung, der im ohnehin luxeriösen deutschen Gesundheitswesen kaum wahrgenommen wird – nicht nur von Patienten, sondern auch von Ärzten. Die richten ihren Blick während des Studiums auf die Kliniken als potenziellen Arbeitgeber oder auf die Freiberuflichkeit als niedergelassener Arzt in einer Praxis. Für Ärzte in Berlin ist allerdings eine Niederlassung inzwischen eher eine Illusion. Sie müssten hohe Abkaufsummen aufbringen, da die Krankenkassen eine Überversorgung beklagen und der Gesetzgeber bald Zwangsschließungen forcieren will. Die Tendenz weg von der Freiberuflichkeit hin zur Anstellung ist bei jungen Ärzten inzwischen sowieso sehr deutlich, was vor allem dem Wunsch nach einem ausgeglichenem Alltag und wirtschaftlicher Planbarkeit geschuldet ist. Bisher profitieren davon vor allem die Kliniken und Medizinische Versorgungszentren, aber kaum der ÖGD. Der hat zwar im Vergleich zu Kliniken deutlich bessere Arbeitszeiten, aber den kaum aufzuwiegenden Nachteil der schlechten Bezahlung. Resultat: Der ÖGD versucht sich seit Jahren hübsch zu machen, es fehlen aber weiterhin die Ärzte, die sich dafür begeistern wollen.

 

Asylbewerber-Kinder sind nicht durchgängig geimpft

 

Lioba Zürn-Kasztantowicz (SPD) ist seit zehn Jahren als Stadträtin für den ÖGD im Bezirk Pankow zuständig, und sie muss seitdem beobachten, wie der Bereich immer weiter ausgedünnt wird, „weil das Thema Gesundheit keine Lobby auf Landesebene hat“. Im Bereich des Kinder- und Jugendgesundheitsdienst, so ihre niederschmetternde Diagnose, „liegt derzeit alles nieder“. Sechs Amtsärzte bräuchte es dort, kürzlich sei eine in Rente gegangen, jetzt seien nur noch drei Stellen besetzt. Die drei anderen Posten seien zwar ausgeschrieben. „Die Bewerbungslage ist aber sehr dünn, wenn es überhaupt welche gibt.“ Seit einigen Jahren versuche man sich mit Honorarkräften zu behelfen – das sind meist niedergelassene Ärzte im Ruhestand, die auch nicht mehr am ärztlichen Fortbildungssystem teilnehmen müssen. „Als Dauerzustand will ich das nicht“, sagt Zürn-Kasztantowicz. Der Mangel im Kinder- und Jugendbereich hat Auswirkungen auf die Einschulungsuntersuchungen, die Zahngesundheit bei Kindern. Und auch Gesundheitskontrollen in Kindertagesstätten finden, wenn überhaupt, nur noch eingeschränkt statt. Und das vor dem Hintergrund stetig steigender Kinderzahlen in Prenzlauer Berg.

Angesichts des jüngsten Masernausbruchs in Berlin und der Tatsache, dass in Prenzlauer Berg ohnehin schon auffällig viele Impfverweigerer die allgemeine Gesundheit gefährden, bereiten vor allem die Probleme bei Impfungen von Asylbewerber-Kindern, die in Prenzlauer Berg regulär zur Schule gehen, Sorge. „Wir können im Moment nicht flächendeckend impfen“, räumt Zürn-Kasztantowicz ein. Das liegt vor allem an einem Streit, den die zwölf Berliner Bezirke im vergangenen Jahr ausgetragen haben, es ging um die Frage, ob Impfungen zentral oder dezentral organisiert werden sollten. Einige Bezirke, darunter Pankow und Reinickendorf, waren für eine zentrale Lösung und wurden dabei vom Land unterstützt, andere Bezirke wehrten sich dagegen, weil sie die Kontrolle behalten wollten. Mit der Folge, dass die Impfungen völlig außer Kontrolle gerieten und mittlerweile in manchen Bezirken Task-Forces eingerichtet werden mussten, um eine Grundimmunisierung sicherzustellen. Inzwischen haben sich im Zeichen der zunehmenden Not und der steigenden Asylbewerberzahlen alle Bezirke für eine zentrale Impfstelle beim Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) ausgesprochen. Diese soll jetzt bald aufgebaut werden, allerdings wird das noch seine Zeit brauchen, bis dahin muss auf jetzigem Niveau geimpft werden.

Ähnliches lässt sich von der Tuberkulose-Vorsorge sagen: Viele Asylbewerber kommen aus Regionen der Welt mit erhöhtem TBC-Risiko, die Fälle in Berlin schnellen seit dem vergangenen Jahr in die Höhe. Hier ist bis jetzt das Lichtenberger Gesundheitsamt zentral für die Untersuchungen zuständig, dort kollabiert aber derzeit das System unter dem Andrang. Es soll deshalb ebenfalls am Lageso eine zusätzliche Außenstelle für TBC-Untersuchungen eingerichtet werden. In Pankow hantiert man derweil offenbar mit utopischen Zahlen. So geht Stadträtin Zürn-Kasztantowicz von vier Wochen Wartezeit bei der TBC-Vorsorge aus, damit bliebe genug Zeit, die Kinder zu untersuchen, bis sie in die Schule kommen. Nur: Die Wartezeit liegt laut Auskunft der Lichtenberger Gesundheitsamtschefin Anke Elvers-Schreiber inzwischen bei fünf Monaten. Teilweise sind hier kreative Lösungen gefragt. Im Bezirk Spandau zum Beispiel werden Kinder schon dann in die Schule geschickt, wenn zwar nicht Tuberkulose, aber eine Ansteckungsgefahr ausgeschlossen werden kann – diese Ausschlussuntersuchung ist weniger aufwändig. In Pankow verweist die Stadträtin Zürn-Kasztantowicz zudem darauf, dass unter den bisherigen TBC-Fällen in Berlin „nur Erwachsene“ gewesen seien. 

 

Steigende Fallzahlen, weniger Versorgung

 

Soviel also zur Problemlage, die ein um 50 Prozent reduzierter Kinder- und Jugendgesundheitsdienst in Pankow absorbieren muss beziehungsweise hervorruft. Hinzu kommt, dass vor vielen Jahren nach einer ÖGD-Reform der Bezirk das Zentrum für sexuelle Gesundheit verlor. „Das Gesundheitsamt hat sich bis heute nicht davon erholt“, sagt Zürn-Kasztantowicz, sie meint die personellen Einschnitte, die mit dem Abzug dieses Bereiches einhergingen. Auch ist davon auszugehen, dass viele der Fälle, die zuvor dort beraten wurden, jetzt im unterbesetzten Jugendgesundheitsdienst versorgt werden. 

Zum Jugendbereich des Pankower ÖGD gehört auch der Kinder- und Jugendpsychiatrische Dienst, hier ist der Personalmangel laut Zürn-Kasztantowicz ebenfalls deutlich zu spüren. Dazu passt, dass die zweite von drei Abteilungen des Pankower ÖGD deutlich ausgedünnt ist, nämlich der Sozialpsychiatrische Dienst, der für Erwachsene, darunter Menschen mit Behinderungen, zuständig ist. „Auch da haben wir steigende Fallzahlen.“ Der einzige Bereich im ÖGD, der laut Stadträtin derzeit noch auskömmlich ausgestattet ist, sei die Umwelt- und Hygienemedizin. Hier geht es um die Überwachung sämtlicher öffentlicher Einrichtungen, zum Beispiel Altenheime, außerdem werden hier meldepflichtige Krankheiten erfasst, Trink- und Badewasser untersucht, Seuchen und Epidemien abgewehrt. Die Umwelt- und Hygienemediziner sind damit sowas wie der Grundversorger des ÖGD in Pankow – doch der Bereich wird absehbar unter Druck geraten. Hygienemedizin ist nämlich gerade bei dem anstehenden Umbau der stationären Versorgung in Deutschland ein Kernthema. Soll heißen: Es wird künftig schwer sein, gute Hygienemediziner zu halten oder gar anzuwerben.

 

Mehr Geld für „Spitzenverdiener“ ist nicht drin

 

Dass der 115-Personenapparat ÖGD in Pankow demnächst wachsen wird, ist unter diesen Rahmenbedingungen eher unwahrscheinlich. Weder, so Zürn-Kasztantowicz, käme genügend Personal aus den medizinischen Fakultäten, noch habe sie das Gefühl, dass das Land bereit sei, wesentlich zu investieren. Konkret angeregt habe sie das bereits, geht es um die Gehälter für die Mediziner im Amt. Die sind dort laut Zürn-Kasztantowicz zwar „Spitzenverdiener“, mit ihrem Gehalt aber immer noch weit unter dem, was sie in Kliniken verdienen könnten. Gängige Schätzungen gehen derzeit von einem monatlichen Gehaltsunterschied von 900 bis 1500 Euro aus. „Aber ich sehe nicht, dass sich da irgendwas bewegen lässt, wir scheitern da am Senat“, so die Stadträtin. Und der Idee, Aufgaben des ÖGD an den niedergelassenen Bereich auszulagern, kann sie nur wenig abgewinnen. Damit verlöre der Bezirk Kontrolle über die flächendeckende Gesundheitsversorgung bei Kindern, die bis jetzt wenigstens noch durch die Einschulungsuntersuchungen gewährleistet sei.

In der Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales ist die angespannte Lage im ÖGD schon länger Thema, ebenso in mehreren Ausschüssen des Abgeordnetenhauses. „Die Besetzung freier Stellen stellt eine große Herausforderung dar, vor allem mit Blick auf die demografische Entwicklung der beim Land Berlin angestellten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“, heißt es in der Senatsverwaltung auf Anfrage. „Gerade im ärztlichen Bereich übersteigt die Nachfrage nach Fachkräften derzeit generell die Zahl derjenigen, die einen Abschluss erwerben.“ Bei der Tuberkulose-Problematik sei man zuversichtlich, zusammen mit Lichtenberg ein Konzept erarbeiten zu können, um „der angespannten Situation des zunehmenden Untersuchungsbedarfs“ zu begegnen.

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