Die chinesische Lösung

von Juliane Schader 4. Juni 2014

Vor 25 Jahren wurde auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking die Demokratie-Bewegung niedergeschlagen. Auch in Ost-Berlin forderten damals Menschen mehr Freiheiten. Von nun an drohte auch ihnen die chinesische Lösung.

Am 6. Juni 1989 zog ein kleiner Demonstrationszug vor die Botschaft der Volksrepublik China, die damals noch in der Heinrich-Mann-Straße in Pankow residierte. „Wir waren so wenige, als richtige Demo zählt das gar nicht“, meint Ulrike Poppe heute. Etwa 30 Leute seien es gewesen. Zwei Tage zuvor, also heute vor 25 Jahren, waren Panzer auf den Platz des Himmlischen Friedens in Peking gerollt, um die dortige Demokratiebewegung zu zerschlagen. Nun wollten sich die Oppositionellen aus Ost-Berlin solidarisch mit den Opfern zeigen. 

Nein, Kontakte nach China habe niemand gehabt, erzählt Poppe, die damals bei den „Frauen für den Frieden“ und der „Initiative Frieden und Menschenrechte“ aktiv war und deren Wohnung in der Rykestraße zentrale Anlaufstelle für Andersdenkende war. „Aber die Nachricht vom Blutbad hat sich sehr schnell verbreitet und ziemlichen Schrecken ausgelöst. Man konnte sich vorstellen, dass unsere Parteiführung ähnlich vorgehen würde.“

 

Die chinesische Lösung als Damoklesschwert

 

Seit April 1989 demonstrierten chinesische Studenten auf dem zentralen Platz in Peking für Demokratie und Meinungsfreiheit. In ihrem Land hatten die Machthaben im vergangenen Jahrzehnt die Wirtschaft liberalisiert. Die defizitäre Planwirtschaft wurde zur Marktwirtschaft umgemodelt, die Märkte geöffnet. Nur politisch blieb das totalitäre System erhalten. Die Studenten forderten Veränderungen.

Auch in der DDR wollten sich Oppositionelle nicht länger von ihrer Regierung bevormunden und überwachsen lassen. Am 7. Mai hatten sie dieser gerade erst bei den Kommunalwahlen Wahlbetrug nachgewiesen, da erreichte sie die Nachricht aus Peking. Schon beim Ungarnaufstand 1956 und dem Prager Frühling 1968 waren Demokratiebestrebungen in sozialistischen Staaten gewaltsam unterdrückt worden. Nun war klar, dass so etwas auch 1989 noch möglich waren. „Die chinesische Lösung schwebte von nun an wie ein Damoklesschwert über uns“, sagt Poppe.

 

„Wir waren ein bisschen kamikaze-mäßig drauf“

 

Die Regierung der DDR tat das ihrige, um diesen Eindruck zu unterstreichen. Die kleine Demo am 6. Juni wurde sofort komplett einkassiert. „Die Polizei hat uns ziemlich brutal auf einen LKW verladen und in eine Garage in der Idastraße abtransportiert. Erst nach und nach hat man uns wieder laufen gelassen“, erzählt Stefan Müller, der damals zum „Freundeskreis Wehrdiensttotalverweigerer“ und dem „Weißenseer Friedenskreis“ gehörte und ebenfalls unter den Demonstranten war.

Danach führte ihn sein erster Weg jedoch gleich zur Mahnwache in die Sophienkirche, wo an die gefälschte Wahl vom 7. Mai erinnert wurde. „Wir waren ein bisschen kamikaze-mäßig drauf. Es musste sich einfach etwas ändern. Dieses Zwangssystem, dieser graue Alltag, diese Gehirnkneterei, diese Fantasielosigkeit. Das war einfach unerträglich.“

Ein paar Tage später war Müller daher wieder auf dem Weg zur chinesischen Botschaft, um dort gemeinsam mit etwa 50 anderen einen Protestbrief zu überreichen. „Diesmal sind wir gar nicht so weit gekommen. Die haben uns vorher abgefangen“, erzählt er.

 

Trommeln für Peking

 

Es folgten andere Solidaritätsbekundungen, etwa das Protest-Trommeln in der Zionskirche, in der Elisabethkirche an der Invalidenstraße oder in der Erlöserkirche in Lichtenberg. „Trommeln für Peking“ war die Losung. „Die Meldung vom Massaker war eine Erschütterung nicht nur für die Opposition, sondern für die ganze Bevölkerung. Das war ein Markstein, der die Zahl derjenigen vergrößert hat, die die Reformfähigkeit der Regierung bezweifelten“, meint Poppe. Auf der einen Seite habe man Angst gehabt, die DDR-Führung könne auch so wie in China reagieren. „Auf der anderen Seite hat es uns ermutigt, weil sich die Protestmasse vergrößerte.“

Wie wenig die DDR-Führung bereit war, an den Machtstrukturen rütteln zu lassen, beweist ihre Reaktion auf die Ereignisse in Peking. Am 8. Juni erklärten die Abgeordneten der Volkskammer die chinesischen Demonstranten zu verfassungsfeindlichen Elementen, die der Bereitschaft der Regierung zu einer politischen Lösung mit gewaltsamen, blutigen Ausschreitungen begegnet wären. „Infolgedessen sah sich die Volksmacht gezwungen, Ordnung und Sicherheit unter Einsatz bewaffneter Kräfte wiederherzustellen.“

Nacheinander schickte die SED Hans Modrow, Günter Schabowski und Egon Krenz nach Peking, um das Massaker als richtige Entscheidung zu rühmen. „Die sind alle da hingepilgert und haben die blutigen Hände geschüttelt“, formuliert es Müller.

 

„Wir hatten einfach keine Wahl mehr“

 

Die Botschaft an die eigene Bevölkerung war deutlich: Die chinesische Lösung ist jederzeit möglich. Doch die Taktik der Einschüchterung und Abschreckung funktionierte nicht. „Wir hatten einfach keine Wahl mehr“, meint Poppe.

Die 30 Demonstranten vor der chinesischen Botschaft konnte die DDR-Führung noch geschlossen abtransportieren lassen. Als sich im Laufe des Jahres immer mehr Menschen den Protesten anschlossen, war das nicht mehr möglich. Doch die Alternative, die chinesische Lösung, blieb aus, und am 9. November fiel die Mauer.

Wie viele Menschen bei der Niederschlagung der Demokratiebewegung in China ihr Leben ließen, ist bis heute unklar. Schätzungen sprechen von mindestens 2600 Toten und über 7000 Verletzten. Viele der Demonstranten wurden in Gefängnisse und Umerziehungslager gesteckt; manche sitzen dort bis heute. Denn an der Lesart der Geschichte hat sich in China nichts geändert. Im Vorfeld des 25. Jahrestages der Ereignisse am Platz des Himmlischen Friedens wurden zahlreiche Anwälte, Wissenschaftler und Künstler festgenommen, unter Hausarrest gestellt und eingeschüchtert. Die Arbeit ausländischer Journalisten wird, wo es geht, behindert.

 

 

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