Betreuungsgeld: Familienpolitik als Entweder-Oder

von Christiane Abelein 5. Februar 2014

Es gibt sie, diese Termine, die überraschen. Das Interview mit Christine Reincke ist einer davon. Über ein Gespräch zum Betreuungsgeld und eine Frau, die nicht ins Klischee des Heimchens am Herd passt.

Da stehen wir nun, wie die Antipoden der Familienpolitik. Zwei Frauen Anfang der Dreißiger, gut ausgebildet, ja sogar studiert, mit Berufserfahrung – und mit Töchtern im gleichen Alter: Knapp 17 Monate sind sie jetzt alt. Die eine, meine, geht seit sie zwölf Monate alt ist zwischen sechs und sieben Stunden in eine öffentliche Krippe. Die andere, die von Christine Reincke, ist zu Hause – und die Mami mit ihr. Die eine Mutter, die Autorin dieses Textes, hält das Betreuungsgeld schlicht für falsch. Die andere, Christine Reincke, bezieht eben dieses Betreuungsgeld. Unterschiedlicher könnten zwei Lebensentwürfe nicht sein.

Gefunden habe ich meinen Gegenpol über Facebook. Die Frau hat Mut bewiesen und auf unserer dortigen Redaktions-Seite öffentlich gemacht, dass sie als Prenzlauer Bergerin Betreuungsgeld bezieht. Mut? Ja. Denn das Betreuungsgeld ist so etwas wie der Buhmann der Nation. Vermeintlich aufgeklärte Akademikerfamilien verdammen es ebenso wie migrationsskeptische Schwarzseher, die überall Missbrauch wittern. Viele Politiker verunglimpfen es als „Herdprämie“ und die zuständige Bezirksstadträtin im Kiez, Christine Keil, kann sich offenbar nur einen einzigen Grund vorstellen, warum man den staatlichen Zuschuss beantragt: Dass man den Platz in der Wunsch-Kita (noch) nicht bekommen hat. Nur so kann sich Keil erklären, dass in Pankow immerhin 308 Interessenten die momentan 100 Euro im Monat (ab August 150 Euro) haben wollen, mehr als in allen anderen Berliner Bezirken. Vielleicht sollte sich die Linken-Politikerin mal mit Christine Reincke treffen. Dann erfährt sie, dass es durchaus andere Gründe gibt.

 

Grund Nummer 1 – der Wichtigste!

 

Christine Reincke hat sich bewusst dafür entschieden, ihre Kinder die ersten Jahren bei sich zu behalten – rund um die Uhr, sieben Tage die Woche. Sie glaubt, dass es Kindern gut tut, in dem Alter noch zu Hause zu sein. Ihre kleine Tochter ist etwas schüchtern, klammert sich häufig an der Mami fest. „Nicht alle Kinder eignen sich dazu fremdbetreut zu werden“, sagt die 32-Jährige. Dabei ist ihr durchaus bewusst, dass das auch an den Eltern liegt (meistens an den Müttern), in diesem Fall an ihr selbst. Aber sie will ihr Kind eben selbst erziehen, ihm beibringen, was ihr im Leben wichtig ist. Und sie will Zeit verbringen mit dem Nachwuchs: „Gerade das zweite Lebensjahr ist so schön – da entwickeln sie sich so schnell, lernen sprechen, da möchte ich einfach dabei sein. Arbeiten muss ich noch so lange, aber klein sind meine Kinder nur so kurz“, sagt Reincke. Auch sie selbst wurde erst mit drei Jahren in den Kindergarten gegeben, so macht man das in ihrer norddeutscher Heimat.

In meiner Heimat und der Heimat des Betreuungsgeldes, Bayern, übrigens auch. Man kann Traditionen brechen, wenn man andere gute Lösungen gefunden hat. Reincke aber will das nicht und findet den staatlichen Zuschuss, der den Familien in meinen Augen überhaupt nicht hilft, nett: „Finanziell sind die 100 Euro ein Witz, aber sie sind eine kleine Anerkennung“. Anerkennung für den in ihren Augen am meisten unterschätzten Beruf der Welt: Mutter. Reincke übt diesen Beruf seit mehr als drei Jahren aus, seit der Geburt ihres ersten Sohnes. Sie entschied sich also schon vor Einführung des Betreuungsgeldes vor einem halben Jahr für ihren Weg. Für sie ist klar: „Zuhause geblieben wäre ich so oder so.“

 

Grund Nummer 2 – die schwierige Jobsuche

 

Reincke ist gelernte Erzieherin, als solche braucht sie sich keine Sorgen darüber machen, ob sie eine Stelle finden würde oder nicht. Erzieherinnen werden gesucht wie Wasser in der Wüste. Irgendwer muss die Kinder der anderen Eltern in den Krippen und Kitas ja betreuen. Aber das möchte Reincke gar nicht. Sie hat vor der Schwangerschaft noch ein Sozialpädagogik-Studium draufgesattelt und will auf keinen Fall mit kleinen Kindern arbeiten, wenn sie wieder einsteigt. Deshalb ist es doch nicht ganz so einfach. Angst vor dem beruflichen Abseits hat sie trotzdem nicht. Als sie schwanger wurde, waren sie und ihr Mann gerade erst nach Berlin gezogen, eine feste Stelle hat sie hier nie gehabt. Jetzt denkt sie sich: „Als Mutter in Teilzeit ist es immer gleich bescheiden auf dem Arbeitsmarkt – ob ich jetzt sofort nach ´ner Stelle suche oder in drei Jahren ist da eigentlich egal.“

Ist das so? Zumindest ist es nicht einfach, wenn man Zeit für die Familie haben und arbeiten will – das ist für Mütter genauso wie für (die noch wenigen) Väter. Aber es gibt auch Chefs, die Frauen oder Männern familienfreundliche Arbeitszeiten ermöglichen und es gibt Kinder, die sich sichtlich wohl fühlen in der Kita, auch schon in jungem Alter. Kinder wie meines. In einem jedoch hat Reincke Recht: Als Mutter – oder Vater – mit einer Arbeitszeit von 20, 25 oder 30 Stunden gilt man viel zu oft nicht gerade als Stütze des Teams. Obwohl man bekanntermaßen Fähigkeiten mitbringt, die andere nicht haben, und vor allem viel viel Engagement. Aber es gibt eben auch die Tage, an denen das Kind krank ist, die Kita zu, die ganze schöne Organisation nicht funktioniert. Da heißt es gelassen bleiben. Und trotzdem kriegen manche berufstätige Eltern das Gefühl nicht los, keinem Teil ihres Alltags so richtig gerecht zu werden. Und manchmal, oft, ist man einfach sehr sehr müde. Dieses Leben als arbeitende Mutter einer 17-Monate alten Tochter, mein Leben, wäre für Christine Reincke keine Alternative.

 

Grund Nummer 3 – unbefriedigende Betreuungsmöglichkeiten

 

Trotzdem hält die zweifache Mutter ihren Lebensentwurf keineswegs für den einzig richtigen. Sie entspricht nicht dem Klischee der Frau, die sich mit „Küche, Kinder, Kirche“ zufrieden gibt und sie ist keine brave Hausfrau, die dem Mann ihren Rücken stärkt, während er die Karriereleiter hochklettert. Ähnlich wie einer dieser Chefs von gestern ist allerdings auch ihr Mann kaum zuhause in der schönen Altbauwohnung in der Greifswalder Straße. Das liegt daran, dass er wochentags als leitender Angestellter eines Unternehmens in Niedersachsen arbeitet. Die Mama ist in dieser Zeit quasi alleinerziehend. „Mit dem Betreuungsgeld könnten wir in ein paar Monaten vielleicht ab und zu einen Babysitter bezahlen, damit ich mal ein paar Stunden frei habe“. Denn Familie haben die beiden nicht in Berlin und auch eine Ersatz-Omi ist noch nicht gefunden. Momentan steckt Christine Reincke die 100 Euro in die Turnstunden für ihr kleines Mädchen zwei Mal die Woche.

Die Mutter ist überzeugt: Andere Kinder treffen und soziales Verhalten lernen, dass kann ihre Tochter auch außerhalb der Krippe, eben zum Beispiel beim Turnen. Denn eine öffentliche Einrichtung käme für Reincke momentan noch nicht in Frage. „Vielleicht bin ich einfach nicht der Typ dazu, bin oft ängstlich, habe sofort ein schlechtes Gewissen.“ Davon abgesehen hat die gelernte Erzieherin aber auch handfestere Einwände. In Berlin, vor allem in Prenzlauer Berg, müsse man in sehr vielen Einrichtungen einen Vollzeitplatz in Anspruch nehmen, um einen Platz zu bekommen. Vollzeit heißt: sieben bis neun Stunden, fünf Tage die Woche. Das ist ihr schlicht zu viel. Natürlich könnte man die Kinder auch früher abholen – aber bezahlen muss man den Platz trotzdem. Das sind je nach Verdienst bis zu 405 Euro im Monat.

Wahlfreiheit? Das Argument, mit dem die CSU das Betreuungsgeld durchgeboxt hat, gibt es für Reincke nicht. Sie sagt: „Ich würde sofort arbeiten gehen, wenn ich zum Beispiel einen Krippenplatz für zwei Tage die Woche bekommen könnte.“ Aber gerade hier in Berlin müsse man sich oft entscheiden: Ganz oder gar nicht. Flexibilität bei den Kita-Zeiten gibt es kaum. Dass Betreuungsgeldkritiker wie Bezirksstadträtin Christine Keil fordern, man solle das Geld der „Herdprämie“ besser in den Ausbau und die Verbesserung von Kitaplätzen stecken, ärgert Reincke. Für sie ist das kein Entweder – Oder. Natürlich brauche Deutschland eine gute Betreuung von Kindern, mehr Personal, besseres Gehalt für die Erzieher – das alles sei ein Muss. „Bildung fängt schließlich am ersten Lebenstag an, nicht erst in der Schule.“ Weiterlesen in Teil 2 „Es geht ums UND“ u.a. Geld und Selbstwertgefühl (hier klicken).

 

Teil 2: „Es geht ums UND“

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