Unser Lehrer Dr. Internet

von Juliane Schader 11. Juni 2013

Der natürliche Feind der Abendschule heißt flexible Arbeitszeit. Seitdem sie regiert, bleiben die Schüler aus. In Prenzlauer Berg soll sich das wieder ändern. Das Internet soll dabei helfen.

Irgendwann im Laufe der 90er Jahre muss der Fachverband Deutscher Schulreinigungskräfte einen ganz großen Coup gelandet haben. Tonnenweise Schmierseife muss er damals erst kostengünstig erworben und dann so erfolgreich konserviert haben, dass bis heute deutsche Klassenräume damit gescheuert werden können. Anders lässt es sich kaum erklären, dass an diesem sommerlichen Nachmittag über den verlassenen Fluren des Schulgebäudes in der Driesener Straße dieser vertraute Geruch schwebt, der einem sofort fast vergessene Worte wie Lehrerzimmer und mündliche Mitarbeit ins Gedächtnis drückt.

Vormittags gastieren in dem massiven Gebäude unter anderem die Schüler des Oberstufenzentrums Bautechnik II, wie am Eingang steht. Zu einer Uhrzeit, die nach Feierabend verlangt, übernimmt dann das Abendgymnasium Prenzlauer Berg, eins von zwei derartigen Angeboten in ganz Berlin mit 250 Schülern.

 

 Zu flexible Arbeitszeiten

 

Abendschule – schon wieder so ein Wort, das nach Vergangenheit klingt, nach Büroarbeitszeiten bis 16.30 Uhr und Supermarktkassensturz um sechs. Mit der modernen Arbeitswelt, mit Gleitzeit, Freiberuflern und verlängerten Öffnungszeiten scheint das wenig gemeinsam zu haben. Tatsächlich gibt es Probleme, die Schüler bleiben aus. „Unser klassisches Klientel, die Sprechstundenhilfen oder Kfz-Mechaniker, müssen mittlerweile bis 19, 20 Uhr arbeiten“, sagt der amtierende Schulleiter Reinhard Mugrauer. Damit schaffen sie es einfach nicht mehr pünktlich zum Unterrichtsbeginn um 17.30 Uhr. Ihr Wunsch, das Abitur nachzumachen, scheitert damit an zu viel Flexibilität am Arbeitsplatz.

Zumindest bisher. Denn wenn der Schüler nicht zur Schule kommen kann, kommt eben die Schule zum Schüler. Sie ahnen es schon, wie das heute funktionieren kann: Dieses Internet macht’s möglich. „Drei Präsenztage pro Woche in der Schule, der Rest des Unterrichts erfolgt als Onlinebetreuung durch den Fachlehrer“, erklärt Mugrauer. Das Konzept samt benötigter Arbeitsmaterialen hat sich sein 25-köpfiges Kollegium selbst ausgedacht. Für fünf Jahre wurde der Versuch zunächst genehmigt. Nach den Sommerferien geht es los. Das herkömmliche Angebot bleibt aber parallel erst noch erhalten.

 

Weniger Pädagoge, mehr Motivator

 

„Wir versuchen, den Druck etwas rauszunehmen. Drei Abende können sich Menschen im Schichtdienst vielleicht eher freinehmen als fünf“, meint Ekkehart Pilz, am Abendgymnasium Lehrer für Deutsch und Politik. Jeden Tag sieht er seinen Schülern an, wie hart der Alltag ist, wenn man morgens zur Arbeit und abends in die Schule geht. „Alle glauben immer, mein Job sei viel leichter, weil die Schüler ja freiwillig hier sind“, erzählt er. Tatsächlich falle die klassische Erziehungsarbeit weg. Ersetzt werde sie jedoch durch die Aufgabe des Motivators.

Nicht jeder, der sich entschließt, sein Abitur nachzumachen, schafft es auch. Freizeit, Familie, Freunde – das alles muss hinten an stehen, wenn der Feierabend zur Lernzeit wird. 24 Stunden pro Woche stehen auf dem Stundenplan. Hausaufgabe gibt es zwar nur über das Wochenende, aber für Klausuren muss nebenher trotzdem gelernt werden. Zwei bis vier Jahre dauert es, je nach Vorkenntnissen, bis zum Abitur. „Ohne gutes Zeitmanagement und Disziplin hält man das nicht durch“, sagt Katrin Astner.

 

Das kann doch nicht alles gewesen sein

 

Am Wochenende hat die Fremdsprachenkorrespondentin nach drei Jahren Schule endlich ihr Abiturzeugnis überreicht bekommen, mit Mitte 30. Damit hat sie das zu Ende gebracht, was ihr vor Jahren auf dem autoritären bayrischen Mädchengymnasium ihrer Jugend einfach keinen Spaß mehr gemacht hat. „Damals abzubrechen war für mich richtig. Ich war einfach noch nicht so weit“, sagt sie heute. Am Abendgymnasium sei sie gelandet, weil sie sich in ihrem Job etwas unterfordert gefühlt habe. „Das kann doch jetzt nicht alles gewesen sein, habe ich mir gedacht.“

Die festen Termine vor Ort und die Mitschüler hätten ihr geholfen, die Zeit der doppelten Belastung durchzustehen, erzählt Astner. Das neue Online-Angebot als Ergänzung zum Präsenzunterricht hält sie für die perfekte Kombination. „Man hat mehr Freiheiten, kann auch mal abends ins Kino gehen, Freunde treffen und später lernen“, sagt sie. Ab dem Wintersemester will sie Politik und Publizistik studieren. Diesmal soll das Lernen für sie jedoch ein Vollzeitjob werden. „Die letzten drei Jahre waren gut, aber auch sehr anstrengend.“

 

 

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