Ironie und Gartenzwerge

von Brigitte Preissler 21. Februar 2014

Zwei Prenzlauer Berger Journalisten haben jetzt ihre Erkenntnisse über den „Modernen Spießer“ veröffentlicht. Sie wollen beobachtet haben, dass sich ausgerechnet hier in unserem schönen Kiez das „Epizentrum des modernen Spießertums“ befindet.

Finden Sie nicht auch, dass das Hinterland Mallorcas ein paar ganz schöne Ecken hat? Ha, ertappt! Anhand solcher scheinbar harmlosen Sätze können Sie neuerdings zweifelsfrei als Spießer enttarnt werden. Auch Ihr Moleskine-Notizbuch, der Montblanc-Textmarker und die Barbour-Jacke sind verräterisch. Und wehe, Sie haben einen Hund. Aber machen Sie sich nichts draus: Mit Hilfe des heute erscheinenden Bestimmungsbuchs „Der moderne Spießer“ von Charlotte Förster und Justus Loring* lassen sich jetzt auch Menschen wie Dr. Motte, Mick Jagger oder Barack Obama ruckzuck als Oberspießer entlarven. Fragt sich nur, was einem das hilft. Und was sich Loring und Förster eigentlich dabei gedacht haben. Hier geben sie Auskunft.

 

Frau Förster, Herr Loring, sind Sie Spießer?

Charlotte Förster: Sieht man das etwa nicht?

Justus Loring: Natürlich sind wir Spießer. Ehrlich gesagt ist die Frage aber auch ein bisschen spießig.

 

Warum braucht die Welt Ihr neues Buch „Der moderne Spießer“?

Justus Loring: Unser Buch ist sicherlich keines, das die Welt dringend „braucht“. Aber auf das 300. vegane Kochbuch, das gerade auf den Markt kommt, hat die Welt ja auch nicht viel dringender gewartet.

Charlotte Förster: Wir haben das Buch auch für uns selbst geschrieben. Einerseits sind wir ganz glücklich damit, wie wir uns in unserem Leben eingerichtet haben. Aber zum Beispiel verglichen mit meinen Großeltern, die noch mit 50 jede Party mitgenommen haben und es völlig okay fanden, wenn ihre Kinder im Garten kifften, fühle ich mich schon ganz schön spießig. Das Buch ist unsere Art, über uns selbst zu lachen.  

 

Woran erkennt man denn einen modernen Spießer?

Justus Loring: An seinem krampfhaften Bemühen, kein Spießer zu sein. Das merkt man schon an der Wohnungstür: „Ihr könnt Eure Schuhe ruhig anlassen.“ Wie viel lässig zur Schau gestellte Weltläufigkeit in so einem einzigen Satz stecken kann!

 

Und was hilft es einem, wenn man einen Spießer als solchen erkennt?

Charlotte Förster: Man muss seine eigene Spießigkeit nicht mehr verstecken. Der Begriff ist ja immer noch erstaunlich negativ besetzt. Daran sind ein Stück weit unsere Eltern schuld. Sie haben BHs verbrannt und die Joints kreisen lassen, um das Spießertum ein für allemal auszuräuchern. Der Spießer war ihr Feind. Aber das ist nun schon einige Jahre her. Die gesamte Gesellschaft ist seitdem nach links gerückt. Was damals Avantgarde war, ist heute Konsens. In den Augen unserer Eltern mag das eine Errungenschaft sein. Aber selbst die verbringen mittlerweile jeden Sommer in ihrem Häuschen in der Toskana und den Winter auf der AIDA. Und wir sollen uns Tag für Tag befreit fühlen und unkonventionell leben. Das ist auf Dauer ganz schön anstrengend. Ab dem 30. Geburtstag beginnt nahezu jeder, spießiger zu werden. Unspießigkeit ist ein Privileg der Jugend. Und von Menschen wie den Künstlern Eva & Adele oder dem Fortpflanzungsgegner Chris Korda.

 

Bei Wikipedia heißt es, nicht sehr freundlich: „Als Spießbürger oder Spießer werden in abwertender Weise engstirnige Personen bezeichnet, die sich durch geistige Unbeweglichkeit, ausgeprägte Konformität mit gesellschaftlichen Normen und Abneigung gegen Veränderungen der gewohnten Lebensumgebung auszeichnen.“ Ist Ihr „moderner Spießer“ liebenswerter?

Justus Loring: Ich glaube ja, „Abneigung gegen Veränderung“ ist eine zutiefst menschliche Eigenschaft. Veränderung finden doch nur Personal-Life-Coaches oder Startup-Gründer gut. Alle anderen sind froh, wenn in dem ganzen modernen Kuddelmuddel des Alltags wenigstens ein paar Dinge an ihrem Platz bleiben. Wenn da, wo vorgestern der Tonerpatronen-Laden und gestern der Bubble-Tea-Shop war, nicht heute schon wieder der nächste Quatsch eröffnet. Kurz gesagt: Der moderne Spießer ist auf eine Art genauso unbeweglich wie der alte – aber das sollte man ihm eben nicht vorwerfen.

 

Eine konkrete Definition, wer oder was ein moderner Spießer ist, liefert Ihr Buch nicht. Eher eine lustige Aufzählung unendlich vieler spießiger Eigenschaften. Spießig sind für Sie z.B. bestimmte Kleidungsstücke (Schiesser-Unterwäsche), bestimmte Sätze („…das hat bei Stiftung Warentest aber nicht sonderlich gut abgeschnitten.“), TV-Serien („Tatort“, „How I Met Your Mother“) oder auch Flirtreviere (Manufactum). Wird so nicht alles und jeder zum Spießer?

Charlotte Förster: Aber ganz genau. Das ist ja das Schlimme. Oder – wenn man sich mal damit abgefunden hat – das Beruhigende.

 

Was unterscheidet Ihren modernen Spießer vom Spießer alter Schule, und worin ähneln sie sich?

Justus Loring:  Der Spießer alter Schule hat sich selbst zwar vielleicht auch nicht als Spießer bezeichnet, aber er wusste innerlich, dass er einer ist und war damit zufrieden. Der moderne Spießer tut alles, um kein Spießer zu sein – zum Beispiel bei jeder Gelegenheit lautstark Raufasertapete und Pauschalreisen verdammen. Damit beweist er aber nur seine geistige Abstammung vom Old-School-Spießer. Anderes Beispiel: Gartenzwerge oder ähnliches findet der moderne Spießer ja manchmal schon wieder gut – aber eben „nur ironisch“. Das allerdeutlichste Spießerindiz.

 

Wo steht der moderne Spießer politisch?

Charlotte Förster: So tendenziell links-liberal, natürlich mit starkem Umweltengagement. Manchmal hört man von ihm trotzdem Sätze wie: „Die Merkel macht angesichts dieser schwierigen Zeiten schon einen guten Job“. Nur die NPD mag er nicht. Vor allem, weil er eigentlich Lust hätte, aus der Stadt raus nach Brandenburg zu ziehen, aber potentielle „Nazinachbarn“ machen ihm Angst.

 

Warum ist Prenzlauer Berg Ihrer Meinung nach das „Epizentrum modernen Spießertums?“

Charlotte Förster: Das haben wir in der ZEIT gelesen. Die schicken ab und zu Reporter vorbei.

 

Sind alle Prenzlauer Berger Spießer?

Justus Loring: Warten Sie, wir zählen kurz nach … Noch da? Gut. Wir hatten zwei letzte Widerständler hinten am Arkonaplatz gesichtet, aber die haben sich kürzlich auch darüber beklagt, dass sie sich „keine einzige Telefonnummer“ mehr merken könnten und dass Facebook „total oberflächlich“ sei.

 

Das Lieblingsgetränk des modernen Spießers ist aber nicht zufällig Latte Macchiato, oder?

Justus Loring: Um Himmels willen, nein! Man trinkt natürlich einen „Flat White“.

 

Hat die Prenzlauer Berger Spießigkeit etwas mit Schwaben zu tun? Mit Bürgerlichkeit? Mit Familienleben?

Justus Loring: Spießigkeit kennt keine regionalen Grenzen. Viel spießiger als das Gerede über die in Berlin einfallenden Schwaben oder die nervigen Touristen geht es doch kaum. Zur guten alten Tante Bürgerlichkeit gibt es sicher eine gewisse Schnittmenge. Und mit dem Familienleben kennen wir uns nicht so aus, aber aus gut unterrichteter Quelle wurde uns zugetragen, dass Kinder das beste Mittel sind, um auch die letzte Bastion der Nichtspießigkeit gnadenlos zu schleifen.

 

Wieso hat sich das Neospießertum ausgerechnet hier in Prenzlauer Berg so breit gemacht? Warum nicht in, sagen wir, Kreuzberg oder Schöneberg?

Charlotte Förster: Da tun Sie jetzt den Kreuzberger und Schöneberger Spießern aber Unrecht! Die arbeiten auch hart an Ihrer Mülltrennung und bestehen darauf, dass man Filme im Original mit Untertiteln sehen muss.

 

Welches sind die bedeutendsten Prenzlauer Berger Spießer der Gegenwart?

Justus Loring: Dr. Motte und seine Anti-K21-Truppe. Wer auch immer hinter diesem „Casting-Carree“-Horror steckt. Und natürlich Wolfgang Thierse. Nein, das war nur Spaß, der ist mit seiner Wochenmarktsverbieterei am Kollwitzplatz natürlich zum Feindbild des modernen Spießers geworden.

 

Und welches sind die härtesten Spießer-Ecken in Prenzlauer Berg?

Charlotte Förster: Boule-Spielen und dieses Holzklötzchen-Gewerfe sind natürlich wahnsinnig spießig, deshalb also die Ecke hinter der Max-Schmeling-Halle, wo beides regelmäßig mit großem Ernst zelebriert wird.

 

Eine ganz und gar spießerfreie Zone in Prenzlauer Berg?

Charlotte Förster: Die Kita, in der ein befreundetes Paar neulich angeschnauzt wurde, sie sollten aufhören, dieses „Scheißbioobst“ zu kaufen, das so schnell schlecht würde – und wie alle normalen Leute auch zu Netto gehen.

 

Welche anderen Spießer-Epizentren gibt es auf der Welt?

Justus Loring: Jeder Hotelfrühstücksraum auf der Welt ist ein Spießerbiotop. Nicht nur, was die Gäste betrifft, die über den Lachs herfallen, als gäbe es morgen keinen mehr, sondern auch hinsichtlich der Gastgeber, die winzige Saftgläser bereitstellen, damit nur ja niemand zu viel von dem Orangensaft nimmt.

 

Warum sind Mick Jagger und Quentin Tarantino für Sie Spießer, während Nina Hagen und Martin Walser zu den „möglicherweise am wenigsten spießigen Menschen der Welt“ zählen?

Justus Loring: Essen Sie einfach mal mit den Vieren zu Abend, dann verstehen Sie, was wir meinen.

 

*Bei den Autorennamen handelt es sich um Pseudonyme.

Charlotte Förster, Justus Loring: Der moderne Spießer. Illustrationen von Henry Büttner. Tropen, 176 Seiten, 14,95 Euro.

 

 

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