Sich regen bringt Segen

von Redaktion der Prenzlauer Berg Nachrichten 24. Dezember 2010

Von Stadtklostern, erwachsenen Täuflingen, einer Schweizer Männer-WG und ihrer Vorliebe für Don Camillo. Eine Weihnachtsreportage von Sebastian Dörfler.

Das Telefon klingelt mit einer Orgelmelodie. „Jo“, sagt Georg Schubert. „Sali.“ Auch das Wort „Internet“ kann man noch verstehen. Der Rest ist tiefstes Schweizerdeutsch, und damit eine Sprache, die man nicht unbedingt erwartet hätte hier hinten den dicken Mauern des Stadtklosters Segen in der Schönhauser Allee.

Schubert trägt ein anthrazitfarbenes Sakko und Pullover. Seine Haare sind grau, seine Augen blau. Regelmäßig schweifen sie ab und blicken aus dem Fenster, wo der Schnee in dicken weißen Flocken fällt. Für einen Euro hat er die Segenskirche vor drei Jahren gekauft und zum Stadtkloster gemacht. Heute wohnt er hier mit seiner Frau und seiner Tochter, einer weiteren Familie, zwei Praktikanten und einem allein stehenden Mann; zwölf Menschen insgesamt. Drei Mal am Tag beten sie zusammen. „Weil es das tägliche Gotteswort in der Stadt braucht“, sagt Schubert. Der, wenn er will, recht gut Hochdeutsch spricht.

 

Das Wunder vom Prenzlauer Berg geschah nur in zwei Kirchen

 

Muss man für den Prenzlauer Berg beten? Vergangenes Jahr berichteten Zeitungen über die „Neue Lust am Lieben Gott“, das „Wunder vom Prenzlauer Berg“ und darüber, wie Hinzugezogene und junge Familien wieder in Scharen in die Kirchen strömten. „Das stimmt ja so nicht“, unterbricht Schubert sofort, wenn er diese Geschichten hört. „Gut besucht sind nur die evangelische Gethsemanekirche und die katholische Herz-Jesu-Kirche.“ Das sei nicht verwunderlich, wenn man bedenke, dass in Prenzlauer Berg auf einem Quadratkilometer 15.000 Menschen lebten. „In die meisten anderen Kirchen kommen nur um die 30 Leute.“

Schubert schaut wieder aus dem Fenster und meint: „Ein Benediktiner hat einmal gesagt: Ihr betet für die, die nicht mehr beten wollen, oder es nicht mehr können.“ Sein Stadtkloster soll ein Modell für die Metropole Berlin sein. Von den Menschen, die hier ihren Glauben leben, soll eine Strahlkraft ausgehen, die auch die erreicht, für die Kirche im Alltag kaum noch eine Rolle spielt.

Die Idee dahinter wurde vor dreißig Jahren in einer Männer-WG geboren. Damals gründete Schubert mit zwei Freunden die Communität Don Camillo. Auch ihre Frauen konnten sie bald von der Glaubensgemeinschaft überzeugen, deren Ursprungsfrage lautete: Wie lebt man eigentlich als Christ? Und wie lässt sich dieses Leben finanzieren?

 

Nach Erfolgen in der Schweiz zog es Don Camillo in die Großstadt

 

Ihr erstes Projekt führte die drei Familien in die französische Schweiz nach Montmirail. Dort bauten sie alte Gutshäuser zu christlichen Tagungsstätte um und boten Seminare und Glaubenskurse an. Das Projekt war erfolgreich, Don Camillo wuchs und neue Familien schlossen sich an. Doch Schubert wollte mehr, es zog ihn in die Stadt. Er sah sich nach einem geeigneten Ort um, in der Schweiz wurde er aber nicht fündig.

Dann kam das Jahr 2004 und mit ihm Besuch aus Berlin. Dort war Pfarrer Gisbert Mangliers auf der Suche nach einer Perspektive für die Segenskirche. Nach dem Zusammenschluss der vier Innenstadtgemeinden Elias, Gethsemane, Paul-Gerhardt und Segen zur Evangelischen Kirchengemeinde Prenzlauer Berg Nord im Jahr 2001 sollte diese eine neue Ausrichtung erhalten. Zudem musste die Kirche nach 100 Jahren dringend renoviert werden. Mangliers suchte eine interessante Glaubensgemeinschaft, mit Geld. Und geriet so an die Communität Don Camillo.

Bald darauf zog Schubert mit seiner Familie nach Berlin. 300.000 Euro investierte die Communität in die Fassadenrekonstruierung; noch einmal so viel Geld kam vom Land Berlin. Heute ist das Stadtkloster eine der vier Kirchen im Gemeindeverbund. Sie untersteht jedoch nicht der evangelischen Kirche – ihre Glaubensarbeit muss sich selbst tragen.
Es ist Sonntagabend, kurz vor neun Uhr. Von der anderen Straßenseite aus wirkt das Gemäuer leicht bedrohlich: Von dem roten Backstein ist nichts mehr zu erkennen, schwarz zeichnet sich der Turm gegen den Himmel ab. Eine halbe Kopfdrehung weiter links blinkt der Fernsehturm vom Alexanderplatz. Sieben große beleuchtete Weihnachtssterne erhellen den Torbogen.

 

Gottesdienst mit Kuchen, Punsch und Beamer

 

Knapp 40 Leute sind heute zur „AbendbeSINNung“ gekommen, die Pfarrer Mangliers ebenso hält wie alle anderen Gottesdienste im Stadtkloster. Gemeinsam singen sie Lieder, deren Texte per Beamer links neben den Altar projiziert werden: „Wir haben hier keine bleibende Stadt, vielmehr die kommende suchen wir….“Später gibt es Punsch und Kuchen.

Auch Cathy ist an diesem Abend hier. Sie ist 24 Jahre alt und wird heute getauft. Als Mangliers Cathys Kopf benetzt, streicht sie sich mehrfach die Haare aus dem Gesicht und versucht, ihr Pony zu richten. Seit längerer Zeit wollte sich die junge Frau taufen lassen. Ihre neue Stelle bei einem kirchlichen Träger sei nun ein geeigneter Anlass gewesen, erklärt sie später. Zudem gebe es noch einen anderen, persönlicheren Grund. Aber den möchte nicht verraten. „Sonst müsste ich weinen“.

Eigentlich wohnt Cathy direkt neben der Gethsemanekirche. Doch da sind ihr mittlerweile zu viele Menschen. Im Stadtkloster gefällt ihr die familiäre Atmosphäre. Für ihre Taufe hat sie hier auch einen der „Alpha-Kurse“ besucht, eine Art Glaubenseinführung und Nachhilfe an zehn Abenden verteilt über zehn Wochen. Deren Ablauf ist immer gleich: Nach einem gemeinsamen Abendessen folgt ein Vortrag mit anschließendem Gespräch. „ Unsere Communität Don Camillo wird in der Evangelischen Kirche oft als freikirchliches Modell belächelt“, erzählt Schubert. Für die meisten Gläubigen böte sie aber einen guten Weg, Anschluss an Menschen zu finden.

 

Deutsch – Schweizerdeutsch / Schweizerdeutsch – Deutsch

 

„Nette Menschen“ und „Ich fühle mir hier gut aufgehoben“, diese Sätze hört man auch am Mittwoch immer wieder. Ein Dutzend Menschen sind an diesem Tag ins Kloster gekommen, um zu meditieren. Unter dem Dach sitzen sie in einem mollig warmen Raum im Stuhlkreis. Schuberts Frau Barbara übernimmt die Leitung, ihre Stimme wirkt beruhigend. Georg Schubert wirkt nachdenklich, den Anthrazit-Pullover hat er an diesem Tag über seine Schultern gehängt. Ein Satz seiner Frau klingt ihm zu schweizerisch, den korrigiert er: „Das versteht man hier nicht.“

Wie so vieles. Zum Beispiel, dass in Berlin Menschen beim Bäcker sagen: „Ich krieg das Brot da.“ „Wenn Sie in der Schweiz sagen ,ich kriege das Brot da, dann kriegt der Bäcker einen Herzinfarkt“, erzählt Schubert. „So redet man einfach nicht!“ Auch wie wichtig der Tatort in Deutschland sei, verstehe man als Schweizer einfach nicht. Schon oft sei er darauf angesprochen worden, dass der Gottesdienst am Sonntagabend ungünstig liege. „Wenn Menschen nach Montmirail gefahren sind, dann war klar, was sie dort wollen“, meint Schubert. Hier konkurriere man mit hunderten Angeboten, jeden Tag. „Dafür steht auf einmal jemand an der Kreuzung und kommt rein, weil er vor einem dreiviertel Jahr einmal von dem Kloster in der Zeitung davon gelesen hat.“

Noch stehen die Gästezimmer im Kloster leer, die Renovierungsarbeiten im Inneren sind noch nicht abgeschlossen. Bald sollen jedoch Seminare stattfinden und damit auch endlich Geld verdient werden – zur Stille, als Paarberatung, oder zum richtigen Entscheiden. Bislang läuft die Finanzierung noch über die Schweiz.

„Es sieht so aus, als können wir nächstes Jahr hier bleiben“, sagt Schubert und guckt ein letztes Mal aus dem Fenster. Das Dach ist jetzt vollständig eingeschneit. „Was dann kommt, wissen wir nicht. Aber wenn ich jetzt eine Firma in der metallverarbeitenden Industrie hätte, dann wüsste ich auch nicht, ob es mich nächstes Jahr noch gibt.“

 

Autor: Sebastian Dörfler

Sebastian Dörfler wurde 1982 in Nürnberg geboren, studierte Politik, Geschichte und Englisch im zu kleinen Freiburg und zog danach – wie so viele, die in zu kleinen Städten studiert haben – nach Berlin. Seitdem hat er viel darüber geschrieben, wie das Internet uns persönlich und die Gesellschaft eigentlich so verändert. Und darüber, ob es das überhaupt tut. Seit Ende 2009 ist er auf der Evangelischen Journalistenschule.

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