Shoppen unter Schafen

von Constanze Nauhaus 16. Mai 2017

Drei Schafe grasen auf den Schönhauser Allee Arcaden, auf dem Parkdeck produzieren vier Bienenvölker Honig – eine unbekannte Tierwelt über dem alltäglichen Einkaufswahnsinn.


Dass unser Bezirk mit seiner Fauna, die jeden Zoobesitzer vor Neid erblassen lässt, längst von der UNESCO ins Weltnaturerbe aufgenommen worden sein müsste, wissen wir ja bereits. Aber dass auf dem Dach der Schönhauser Allee Arcaden Schafe weiden, hat auch uns einigermaßen überrascht. Drei Wandlitzer Schafdamen gönnen sich knapp alle zwei Monate einen zweiwöchigen Citytrip, um eine begrünte Dachfläche auf den Arcaden abzugrasen. Und, noch erstaunlicher: Unbemerkt vom geschäftigen Treiben viele Meter weiter unten. Denn außer einem wenig beachteten Facebook-Post auf der offiziellen Seite des Centers weist nichts auf die Prenzlauer Berger Dachweide und ihre On-and-Off-Bewohner hin. Dabei kommen die Tiere bereits seit 2015 regelmäßig hierher, erst vorige Woche sind sie wieder abgereist. Im vergangenen Jahr wurde sogar Lämmchen Günter auf den Arcaden geboren – ungeplant, man hatte sich verrechnet.

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„Es ist tatsächlich preiswerter, ein Schaf aufs Dach zu stellen, als jemanden Unkraut jäten zu lassen“, sagt Franziska Szitko vom Centermanagement. „Es ist ja nicht ein reiner Rasen, der einfach abgemäht werden könnte.“ Ein Kollege von ihr, der sich um die Dachbepflanzung vor dem Management-Büro im dritten Stock kümmerte, kam angesichts des ständig nachwuchernden Unkrauts auf die Idee mit den lebenden Rasenmähern. Deshalb wurden über den Schafzuchtverband explizit Shropshire-Schafe gesucht. Und gefunden, beim Schäfer Karl-Heinz Freitag in Wandlitz. „Diese Rasse hat ein selektives Fressverhalten“, erklärt Freitags Tochter Isabelle, die sich gemeinsam mit ihrem Vater um die Arcaden-Schafe kümmert. „Sie fressen das Unkraut und lassen die Zierpflanzen stehen.“ So werden diese Schafe zur Landschaftspflege etwa auf Weihnachtsbaumfarmen eingesetzt. Freitags Tiere grasten 2014 bereits kurzzeitig auf dem Dach der Wilmersdorfer Arcaden, zogen nach einem Wechsel in der dortigen Leitung allerdings nach Prenzlauer Berg um.

 

Bienen auf dem Parkdeck

 

Und wer sich auf der letzten Shoppingtour über die auf dem Info-Desk gestapelten Honiggläser gewundert hat: Vier Bienenvölker arbeiten seit 2014 auf dem Parkdeck. Das Center kooperiert mit einem Imker, der sich um die Tiere kümmert – im Sommer sind das bis zu 200.000 Bienen. Kaufen kann man den Honig leider nicht, für ein Gläschen müsste man eine Kundenkarte abschließen. Denn klar, die Bienen sind natürlich auch PR. Und werden dafür aber erstaunlicherweise ebensowenig promotet wie die Schafe. „Für manche meiner Kunden ist es PR, andere wollen durch die Bienen Gemeinschaftssinn unter den Mitarbeitern stiften. Oder es macht sich einfach gut im Umweltbericht des Unternehmens“, plaudert Imker Marc-Wilhelm Kohfink aus seinem Geschäftskästchen. Während andere  Kollegen vom Honigvertrieb leben, betreut er für Einkaufszentren, Hotels und andere Unternehmen Bienenvölker. So auch auf den Schönhauser Allee Arcaden.

„Die Bedingungen hier sind recht gut, weil es in der Umgebung viele Grünflächen gibt“, sagt Kohfink. Der Mauerpark etwa, der Humboldthain oder der Volkspark Friedrichshain. Die Bienen sammeln in einem Radius von drei Kilometern Nektar, also etwa auf dem Gebiet zwischen Heinersdorf und Alexanderplatz, Reinickendorfer Straße und dem Weissensee. Zudem herrschen in der Stadt etwa drei Grad mehr als im Umland, was sich positiv auf die Entwicklung der Tiere auswirkt.

 

Über den Dächern von Prenzlauer Berg: Die Arcaden-Bienen fliegen in einem Radius von drei Kilometern. (Foto: mfi)

 

Und dass Honig aus Städten mittlerweile häufig besser in Geschmack und Qualität abschneidet als Landhonig, ist kein Geheimnis mehr. Zudem ist Kohfinks Arcaden-Honig Bioland-zertifiziert. „Ich will den Landhonig nicht runterreden, aber der Stadthonig ist im Aroma vielfältiger“, so Kohfink. Regelmässige Messungen ergäben, dass im Berliner Stadthonig 34 verschiedene Pollen enthalten sind. Zum Vergleich: Im Spreewaldhonig sind es nur 25. Und was ist mit Feinstaub, Stickoxid, dem üblichen Stadtmüll? „Spielt keine Rolle“, meint der Imker. „Die Blüte ist ja meist geschlossen. Dann öffnet sie sich für wenige Tage und wird in dieser Zeit von der Biene besucht.“

Die Bienenstöcke sind auf dem Parkdeck nur durch einen Zaun aus der Ferne zu sehen. Dafür können aber die Schafe zu ihren Weidewochen besucht werden. Dafür nimmt man den Fahrstuhl in Nummer 80, links vom Haupteingang. Das tun die Schafe selbst übrigens auch. Mittlerweile allerdings in Kisten, denn beim ersten Mal hatten sich die aufgeregten Tieren buchstäblich ins Fell gemacht. Und in den ganzen Fahrstuhl. Spätestens da hört für das Centermanagement wohl die Naturverbundenheit auf.

 

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