Warum Prenzlauer Berg mehr Radstreifen braucht

von Gastautor 21. Februar 2011

Wie kommt man auf dem Rad ohne Unfall durch die Stadt? Der grüne Verkehrspolitiker Cornelius Bechtler meint, dass sich Radfahrer zu oft an der falschen Stelle sicher fühlen.

Radfahren ist ein großes Thema in Prenzlauer Berg, wo Radfahrer bis zu 40 Prozent am Gesamtverkehr ausmachen. Gleichzeitig befindet sich hier mit der Kreuzung Schönhauser Allee/Danziger Straße am U-Bahnhof Eberswalder Straße einer der gefährlichsten Orte für Radfahrer in ganz Berlin.

Wie es um den Radverkehr im Ortsteil bestellt ist, haben wir bereits in diesem Artikel vorgestellt. Nun eröffnen wir die Diskussion mit einem Gastbeitrag von Cornelius Bechtler, dem verkehrspolitischen Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in der BVV. 

 

GASTBEITRAG VON CORNELIUS BECHTLER

 

Das Gehwegradeln, die tödlichen Unfälle durch Rechtsabbieger und die Auseinandersetzung um den geplanten Radstreifen in der Kastanienallee – immer wieder steht die Frage im Mittelpunkt: Wo sind Fahrradfahrer sicher? Es geht um viel: Sechs getötete Radfahrer und 471 Schwerverletzte in Berlin im Jahr 2010 fordern uns auf, mehr für Verkehrssicherheit zu tun. Dabei ist Berlin grundsätzlich auf dem richtigen Weg. Die markierten Radstreifen auf der Straße haben sich aus Sicht der Verkehrssicherheit bewährt.

Die Radstreifen auf der Straße stoßen aber nicht nur auf Zustimmung, wie auch die Auseinandersetzung in der Kastanienallee zeigt. Kritikpunkt sind die Autofahrer, die den Radstreifen zum Parken missbrauchen. Sie zwingen den Fahrradfahrer, sich in den fließenden Kfz-Verkehr einzufädeln und das haltende Fahrzeug zu umfahren. In der Kastanienallee besonders heikel: Neben dem geplanten Fahrradstreifen verläuft die Straßenbahnschiene.

 

Radfahrer schätzen ihre Situation oft falsch ein

 

Gerade ängstlichere Radfahrer fühlen sich grundsätzlich auf dem Radweg oder auf dem Bürgersteig sicherer. Die Verkehrssicherheits- und Unfallforschung zeigt jedoch: Das subjektive Sicherheitsgefühl auf den baulich angelegten Radwegen auf Bürgersteigniveau ist ein gefährlicher Ratgeber. Der überwiegende Teil der schweren Fahrrad-Unfälle geschieht gerade dort, zum Beispiel durch rechtsabbiegende Lkw und Autos. Hauptgrund dafür sind die fehlenden Sichtbeziehungen.

Auch auf der Kastanienallee gehören die Fahrradfahrer auf die Straße. Unachtsam geöffnete Autotüren spielen im Unfallgeschehen der Radfahrer dort leider derzeit die Hauptrolle. Sie führen für andere Verkehrsteilnehmer – Autos wie Straßenbahn – zu überraschenden Ausweichreaktionen und enden häufig in der parallel führenden Schiene. Deshalb hat die Planung des Bezirks sowie der Senatsverwaltung einen ausreichend breiten Radstreifen neben dem Gleiskörper vorgesehen.

 

Auf dem Radstreifen Autos ausweichen? Das ist berechenbar

 

Auch in der Kastanienallee zeigt sich, dass Fahrradfahrer ihre Sicherheitssituation oft nicht richtig einschätzen. Der weit überwiegende Teil fährt zwischen Schiene und parkenden Autos im Gefahrenfeld der Autotüren. Die Fahrrad-Piktogramme zwischen den Schienen bieten für viele allerdings auch keine Alternative. Entweder fühlen sie sich nicht sicher oder sie sind mit ihrem Tempo einfach ein Hindernis für die anderen.

Hauptargument der Gegner des Umbaus im Bezug auf die Sicherheit sind die Probleme mit dem Beparken auf Radstreifen. Subjektiv wird das Ausweichen in den fließenden Verkehr als große Gefahr angesehen. Tatsächlich sind die Gefahren viel kleiner als sie eingeschätzt werden. Der von hinten herannahende Verkehr sieht die Situation vor sich und kann sie einschätzen. Das Verhalten des Radfahrers ist berechenbar. Er wird das vor ihm stehende Auto überholen und auf die benachbarte Fahrspur ausweichen. Der Fahrradfahrer selbst befindet sich auf der sicheren Radspur und kann von dort aus eine ausreichende Lücke im Verkehr suchen. Die Situation ist auch für ihn berechenbar und sie entsteht nicht plötzlich.

 

Der Radstreifen ist für die Kastanienallee die sicherste Lösung

 

Grundsätzlich stellt solch ein Ausweichmanöver eine Verschlechterung der Sicherheitssituation dar und wird als unangenehm empfunden. In der Kastanienallee soll dieses Problem durch unterschiedliche Maßnahmen angegangen werden. In den Bereichen ohne Parktaschen wird das Halten und Parken erschwert, indem der Radstreifen auf ein vertretbares Mindestmaß reduziert worden ist. Selbst im Bereich der Parktaschen müsste ganz eng an den dort parkenden Autos gehalten werden, um nicht die vorbeifahrende Straßenbahn zu behindern. Die Kastanienallee befindet sich zudem in einer Parkraumbewirtschaftungszone. Die intensive Parkraumüberwachung und geeignete Regelungen für den Lieferverkehr müssen dafür sorgen, dass dieser Fall zu einem absoluten Ausnahmefall wird.

Der Radfahrstreifen ist auch für die Kastanienallee die sicherste Lösung. Dort fahren täglich im Durchschnitt 7.500 Fahrradfahrer, ein Spitzenwert in Berlin und vergleichbaren Städten. In Spitzenzeiten sind das weit über 10.000.  Nur mit dem Radstreifen auf der Straße werden wir mehr Sicherheit für Fahrradfahrer erreichen und die Unfallzahlen dauerhaft senken.

 

 

Autor: Cornelius Bechtler ist Geschäftsführer und Bildungsrefent eines kommunalpolitischen Bildungswerks in Berlin (BiwAK e.V.), geboren 1968 in Freiburg i. Brsg., lebt seit 1991 im Prenzlauer Berg, Studium der Stadt- und Regionalplanung an der TU Berlin. Seit 2006 Bezirksverordneter im Bezirk Pankow, Ausschussvorsitzender für Finanzen, Immobilienmanagement und Personal sowie verkehrspolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Seit 10 Jahren arbeitet er für den ADFC Berlin ehrenamtlich, zuletzt als Fachreferent für Verkehr. In unterschiedlichen Zusammenhängen ist er aktiv zu Fragen der Verkehrssicherheit sowie einer fahrrad- und fußgängerfreundlichen Verkehrsplanung. Er ist u.a. Mitherausgeber und Autor einer Publikation zu dem neuen Verkehrsplanungsansatz „Shared Space“. 

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1 Kommentar

Abraxas 2. Januar 2019 at 18:00

Die Fahrradwege sind so schon viel zu eng. In der Schönhauser Allee wird diese Enge zudem noch verstärkt durch massive Geländer um die Bäume herum. Diese Geländer haben mit ca. 30 cm Höhe über dem Erdboden die idealen Maße, um sich mit den Pedalen vorbeifahrender Radfahrer zu verhaken. Wo man einander früher noch im Notfall mal über die ‚Baumscheibe‘ ausweichen konnte, fliegt man heute gnadenlos auf die Fresse. Ich frage mich ernsthaft, was diese lächerlichen Geländerchen anderes bewirken sollen als zusätzliche Gefahrenquellen zu sein. Sie sind als Zugangsschutz zu niedrig, Hunde halten sie auch nicht ab. Wozu sind diese Dinger da, außer vermutlich schön teuer zu sein. Neudeutsch: W.T.F.???
Wie wäre es denn, auf diese Gefahrenquellen einfach zu verzichten und das eingesparte Geld für den Betrieb von Bibliotheken oder Schwimmbädern nutzbringender anzuwenden?

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