Berlins verkehrte Verkehrspolitik

von Dominique Roth 20. Juli 2016

In Berlin läuft alles ein bisschen anders als in anderen Städten. Gerade im Verkehr ist das nicht immer gut. Prenzlauer Berg wird bei der Verkehrsplanung stiefmütterlich behandelt.

89:137. Das ist kein Ergebnis eines Basketballspiels zweier ungleicher Mannschaften – und doch kann man es damit vergleichen. 89:137 ist das Ergebnis unserer kleinen Stichprobe, die der Frage auf den Grund gehen soll, wie viele Fahrradfahrer eigentlich die Choriner Straße benutzen und wie viele sich weiterhin auf dem kleinen Fahrradstreifen in der Parallelstraße Kastanienallee tummeln.

89 Radler fuhren einer halben Stunde am Montag zwischen 18 und 18:30 Uhr in der Choriner Straße, einer ausgewiesenen Fahrradstraße – und 137 im gleichen Zeitraum in der Kastanienallee. Das bedeutet eine deutliche Niederlage für die Verkehrsplaner im Senat sowie im Bezirk, zumal auf Nachfrage einige Radler sagten, dass sie von einer parallel verlaufenden Fahrradstraße nichts wüssten.

 

Berlin muss noch die Prestigeprojekte abwickeln

 

Es passt ins Bild einer Fahrradpolitik seitens des Senats, die oft unausgegoren scheint. Zwar bietet die Stadt von der Topografie, von den Leuten und dem verfügbaren Raum her die idealen Voraussetzungen für eine Fahrradmetropole, doch das Potential wird kaum genutzt.

Ein simpler Blick in die Zahlen genügt: Für den Ausbau der Radinfrastruktur sind im Doppelhaushalt 2016/2017 des Senats ganze 7,5 Millionen Euro im Jahr 2016 vorgesehen. Zum Vergleich: Paris will für den Ausbau des Radnetzes 150 Millionen Euro bis 2020 investieren, London hat 2013 sogar angekündigt, für eine Milliarde Euro Radwege zu bauen. Radhighways und neue Stellplätze sind in beiden Metropolen bereits vielfach auf den Weg gebracht.

Die Berliner Verkehrspolitik hingegen ist immer noch damit beschäftigt, die Prestigeprojekte der Vergangenheit abzuwickeln. Die bekanntesten Beispiele sind schnell genannt, vom (fast) gescheiterten BER über die viel zu teure Kanzlerbahn U5 bis hin zum falsch geplanten S-Bahnhof am Hauptbahnhof. Zum Glück haben diese Meisterwerke Berliner Verkehrsplanung jedoch noch kaum direkten Auswirkungen auf Prenzlauer Berg.

 

S-Bahnen durch Prenzlauer Berg ersatzlos gestrichen

 

Das könnte sich bald ändern. Zumindest wird die Lage für Pankower, die auf den ÖPNV angewiesen sind, in den kommenden Jahren nicht zwingend besser. Der Bezirk wächst am stärksten in Berlin und im Senat ist darauf noch keine überzeugende Antwort gefunden. „Gerade in Pankow werden die Fragen Wohnungsbau und Verkehrserschließung sehr eng betrachtet und entwickelt“, heißt es aus der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt vage.

Sehr konkret wird es jedoch, schaut man auf das S-Bahn-Konzept für die kommenden Jahre. Die S9 führt ab Ende 2017 nicht mehr über den Ring und somit durch Prenzlauer Berg, sondern über die Stadtbahn. Auch die S85 hält in Prenzlauer Berg nur noch an der Bornholmer Straße, sobald die Trasse der S21 von Wedding zum Hauptbahnhof in Betrieb gehen kann. Die Ringbahn wird dadurch wohl noch voller werden als sie ohnehin schon ist.

 

Entlastung nicht in Sicht

 

Ein anderweitiger Ausbau für den Pankower Teil des ÖPNV-Netzes ist vorerst nicht geplant, Entlastung also nicht in Sicht. Und das, obwohl hier schon vergleichsweise kleine und günstige Lückenschlüsse schon für erheblich bessere Verbindungen sorgen könnten. Der Verkehrsblogger Felix Thoma hält etwa die Verlängerung der U2 zur Pankower Kirche und weiter nach Niederschönhausen für vielversprechend. „Mit einer zusätzlich verlängerten U9 bis zum S-Bahnhof Pankow-Heinersdorf“, so erklärt Thoma „könnte für viele Pankower ein schneller Weg in die City West geschaffen werden.“

Felix Thoma

Mögliche Erweiterung der U2 sowie der U9 in bzw. nach Pankow.

(Karte: Felix Thoma)

 

Der Pankower Bezirksstadtrat Jens-Holger Kirchner geht sogar noch weiter und fordert im Wahlkampf den Bau der U10, ein eigentlich in den Schubladen verschwundenen U-Bahn unter der Greifswalder Straße. Unter Andreas Geisel (SPD) jedoch wird in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt vorwiegend auf Straßenbahnen gesetzt, was spätestens mit seinem Spruch „Ein Kilometer Straßenbahn kostet 10 Millionen Euro – ein Kilometer U-Bahn 300 Millionen Euro“ besiegelt wurde.

 

Geisels Slogan problematisch

 

Verkehrsblogger Thoma sieht diese Verkürzung problematisch. „Das geeignete Verkehrsmittel ist immer von der konkreten Situation abhängig“, so Thoma, der zusammen mit seinen Kollegen auf der Plattform Zukunft Mobilität veröffentlicht. „Die Straßenbahn erfährt gerade eine gewisse Euphorie, weil sie ungefähr ein Zehntel einer U-Bahn kostet“, führt Thoma aus „sie hat aber auch Nachteile.“ So habe die Straßenbahn etwa eine geringere Reisegeschwindigkeit als die U-Bahn.

„Außerdem ist es ratsam, gerade beim Bau von Straßenbahnen noch die Entwicklung bei Elektro-Bussen in den nächsten Jahren abzuwarten“, so Thoma weiter. Sie hätten zwar nicht die Kapazität einer Straßenbahn, dafür müssten aber auch keine Schienen gebaut werden. „Zur Not können sich Busse bei Verspätungen auch überholen. Straßenbahnen tun sich da in der Regel schwer“, merkt Thoma an.

Doch auch für den Ausbau des Tram-Netzes hat Thoma einen Vorschlag in Prenzlauer Berg. Sein Vorschlag: die Linie M13 solle von der Wisbyer Straße über Ostseestraße und Michelangelostraße nach Fennpfuhl führen und dort an der Haltestelle „Hohenschönhauser Straße / Weißenseer Weg wieder in die normale Linie einfädeln. „Bislang fährt die M13 auf ihrem Weg von Wedding nach Friedrichshain einen großen Umweg über Weißensee“, so Thoma „die neue Strecke wäre nur etwa drei Kilometer lang.“

 Felix Thoma

Mögliche neue Trasse für die Tram M13.

(Karte: Felix Thoma)

 

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