Stadtentwicklung: Politisch gewollt oder außer Kontrolle?

von Juliane Schader 31. August 2011

Verdrängt, gentrifiziert und verdichtet, das Fazit zur Stadtentwicklung in Prenzlauer Berg fällt meist böse aus. Hat die Politik das noch im Griff? Die Parteien antworten.

Am 18. September wird in Berlin gewählt, nicht nur auf Landes-, sondern auch auf Bezirksebene. Doch welche Pläne haben die Parteien, die um die Sitze in der Pankower Bezirksverordnetenversammlung buhlen, für den Bezirk? In fünf Teilen stellen wir ihre Haltungen zu den für Pankow relevanten Themen vor. Befragt haben wir die derzeit in der BVV vertretenen Parteien sowie die Piratenpartei als aussichtsreichen Neuling. 

 

In anderen Ecken Deutschlands ist Gentrifizierung noch ein Fremdwort, in Prenzlauer Berg weiß bereits jedes Kindergartenkind, was damit gemeint ist. Viel hat sich verändert in den vergangenen zwei Jahrzehnten im einstigen Arbeiter- und Künstlerviertel, und gerade in der näheren Vergangenheit drängte sich der Eindruck auf, als habe die Politik den Einfluss auf die massive Veränderung, die sie einst mit der Ernennung von Sanierungsgebieten selbst angeschoben hatte, verloren. In der Belforter Straße blieb der Pankower BVV nichts anderes übrig, als eine unspektakuläre Wohnanlage aus den 1960er Jahren für erhaltenswert zu erklären, um einer weiteren baulichen Verdichtung in diesem Bereich vorzubeugen. Und auch der mit der Gentrifizierung einhergehende Homogenisierung der Bevölkerung weiß sie wenig entgegenzusetzen als die Erkenntnis, jetzt brauche man halt viele Grundschulen, später dann viele Altenheime. Das klingt nach einer politischen Kapitulation vor der Steuerbarkeit der Stadtentwicklung – oder?

 

SPD

Die SPD betont, die BVV habe sehr wohl und oftmals auf SPD-Initiative hin eingegriffen, wenn Fehlentwicklungen drohten. Und führt als Beispiele die Belforter Straße und den Friedhof in der Heinrich-Roller-Straße ins Feld, der nun zum Park umgewandelt wird. In Prenzlauer Berg gelte es nach wie vor, die Nachverdichtung auf ein kiezverträgliches Maß zu begrenzen. Zwar sehe die neue Berliner Bauordnung nur noch sehr geringe Abstandsflächen vor, eröffne aber gleichzeitig den Bezirken Gestaltungsspielräume, die es zu nutzen gelte. Um gesunde Arbeits-, Lebens- und Wohnverhältnisse zu erhalten, sei die Aufstellung blockweiser Bebauungspläne das richtige Instrument. Damit die BVV Einfluss nehme könne, müsse sie jedoch optimal informiert werden. Daher habe die SPD dafür gesorgt, dass Listen von Maßnahmen für die verschiedenen Förderkulissen erstellt würden, und darüber hinaus Verfahrensschritte festgelegt, die eine verbindliche Beteiligung der BVV vorschrieben.

 

Linke

Die Linke vertritt die Meinung, Erscheinungen wie Gentrifizierung und Bevölkerungsaustausch seien eben der Beweis dafür, dass Bezirk und Land in den letzten 20 Jahren massiv Einfluss auf die Stadtentwicklung genommen hätten. So seien die Sanierungsgebiete ausgewiesen worden, eben um Aufwertung zu erhalten. Ähnliches sei an anderen Stellen im Bezirk mit der Aufstellung von Milieuschutz- oder Erhaltungssatzungen zum Schutz der städtebaulichen Eigenart erreicht worden. Auch die Ausweisung des gesamten Südens des Prenzlauer Bergs als Gebiet des Stadtumbaus Ost habe diesem Ziel gedient. In der Grünen Stadt und der Glaßbrennerstraße habe man mit dem Instrument Umstrukturierungssatzung versucht, einen sozialverträglichen Verlauf von umfassenden Sanierungsmaßnahmen zu sichern. Jedoch seien bei dieser Steuerungsdichte die sozialen Ziele wie der Erhalt einer sozialen und altersheterogenen Zusammensetzung der Wohnbevölkerung in den meisten Quartieren verfehlt worden. Die Dynamik des profitorientierten Immobilienmarktes habe sich – gestützt durch die Aufwertungspolitik – durchgesetzt.

 

Grüne

Die Grünen verweisen darauf, dass es der Wunsch vieler Menschen in Prenzlauer Berg gewesen sei, endlich ohne Außentoiletten, zugige Fenster und Ofenheizung, dafür aber in einem zeitgemäßen Wohnstandard leben zu können. Für die soziale Umsetzung dieser Modernisierungen habe sich die Partei durch die Ausnutzung der rechtlichen Instrumente immer eingesetzt – etwa durch die Einrichtung einer unabhängigen Mieterberatung oder die Umstrukturierungssatzung in der „Grünen Stadt“. Dass nun die durch öffentliche Fördermittel begründeten Mietpreisbindungen nur bei etwa 20 Prozent des Bestandes kontrolliert würden, hält man bei den Grünen für einen Skandal. Die Partei fordert, die Zweckentfremdung von Wohnraum etwa durch Nutzung als Ferienwohnungen einzuschränken und in den Milieuschutzgebieten die Umwandlung in Eigentumswohnungen zu begrenzen. Politik könne sehr wohl Einfluss nehmen, heißt es, die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten müssten nur genutzt werden. 

 

CDU

Die CDU möchte sich nicht in den Kreis deren einreihen, die nur über die Entwicklung der vergangenen Jahre schimpfen, und lobt zunächst das attraktive Stadtquartier, das da entstanden sei. Wo jetzt noch eine weitere Nachverdichtung möglich sei, müsse diese aber verträglich erfolgen – schließlich beugten bezahlbare Mieten und eine heterogene Sozialstruktur sozialer Ausgrenzung und Kriminalität nachhaltig vor. Über die Bauleitplanung, also Bebauungspläne und Quartierssatzungen, gebe es zum Beispiel eine Vielzahl von Möglichkeiten, auf die Stadtentwicklung Einfluss zu nehmen. Für eine Verhinderungspolitik wie an der Belforter Straße dürften diese aber nicht genutzt werden.

 

FDP

Die FDP meint, dass es ausreichend Hebel gebe, mit denen man im Zusammenspiel von Bezirk und Senat die Entwicklung der Stadt steuern könne – nur müssten diese eben gut miteinander koordiniert werden. Bislang geschehe eher das Gegenteil und Instrumente wie Milieuschutz- und Erhaltungsverordnungen oder Sanierungssatzungen behinderten einander und führten zum Beispiel zu Verknappung von Wohnraum und damit zu steigenden Mieten. Auch die Möglichkeit, Bebauungspläne aufzustellen, könne zur Steuerung dienen, meint die Partei. Das Beispiel Knaack-Club zeige aber, dass hier besondere Sorgfalt geboten sei, schließlich sei letztendlich der Bebauungsplan mit Schuld an der Vertreibung des Clubs gewesen, da dieser für den Lärmschutz zu geringe Abstände zwischen den Häusern vorgesehen habe. Darüber hinaus plädiert die FDP für die Interessen der Unternehmer im Bezirk, auch bei der Stadtentwicklung: Damit diese in Pankow blieben und sich weitere ansiedelten, fordert sie eine Beschleunigung von Genehmigungsverfahren und möchte dem Bezirksamt Fristen setzen, bis wann Anträge bearbeitet werden müssen.

 

Piraten

Die Piraten vertreten die Meinung, dass der Bezirk durch Bebauungspläne, sanierungsrechtliche Auflagen und das Erteilen von Baugenehmigungen erheblichen Einfluss auf die Stadtentwicklung habe. Nur fehle der politischen Wille, diesen auch zu nutzen, wie man an Projekten wie dem Marthashof oder den Choriner Höfe sehen könne, die sozialverträglicher hätten ablaufen können. Als Fehler sieht die Partei den Verkauf bezirkseigener Grundstücke in der Vergangenheit, ohne Rücksicht auf deren spätere Nutzung zu nehmen. Grundsätzlich hält die Piratenpartei Neubauten und Modernisierungsmaßnahmen durchaus für gut. Jedoch müsse sichergestellt werden, dass niemand verdrängt werde. Wege, dies zu gewährleisten, seien staatliche oder genossenschaftliche Wohnungen sowie Angebote, die alteingesessenen Mietern ermöglichten, ihre Wohnungen zu Vorzugsbedingungen zu kaufen.

 

Bisher in der Reihe zur Bezirkswahl erschienen:

Mehr als Mangelveraltung? Zur Zukunft der Pankower Schulen

Pankows Verwaltung: Kein Geld, viele Wünsche

 

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