„Es ist einfach Geschichte“

von Gastautor 4. Juli 2013

Die Diskussion um den Erhalt des Thälmann-Denkmals geht weiter. Nach der symbolischen Sprengung durch die Julis erreichte uns der offene Brief einer Anwohnerin, die sich für den Erhalt ausspricht.

Im Ernst-Thälmann-Park steht Ernst Thälmann, immer noch. Immer wieder entzündet sich an dem kollossalen Denkmal eine Debatte um die Person Ernst Thälmann, der als Kommunist von den Nazis verfolgt und in Buchenwald ermordet wurde. Aber eben auch kein Freund des Systems Demokratie war. 

Im bisher letzten Akt der ewigen Diskussion um Für und Wider des Bronzekopfes hat eine Gruppe Junger Liberaler (Julis) das Denkmal Mitte Juni symbolisch gesprengt. Daraufhin erreichte uns folgender Leserbrief einer Anwohnerin.

Um die Debatte nicht einseitig zu gestalten, haben wir auch die Julis um eine Stellungnahme gebeten. Dort scheint unsere Anfrage jedoch versandet zu sein. Erst nach Veröffentlichung dieses Beitrags haben sie sich bei uns gemeldet und angekündigt, einen eigenen Text-Beitrag beizusteuern. Sobald dieser uns vorliegt, werden wir ihn entsprechend bei uns auf der Seite veröffentlichen.

 

Liebe Julis,

ich frage mich immer, woher der Hass von jungen Bürgern, sehr oft aus den alten Bundesländern, auf Linke und die Arbeiterbewegung kommt. Ich glaube, es sind fehlende Kenntnisse der deutschen Geschichte.

Mein Großvater hat für den Acht-Stundentag demonstriert (davon profitieren wir noch heute) und wurde dafür zusammengeschlagen, meine Mutter hat 95 Jahre im Prenzlauer Berg (am Park) gewohnt. Natürlich sind wir mit der Arbeiterbewegung verwurzelt. Der Prenzlauer Berg war immer ein Bezirk mit Widerstandskämpfern und sehr viel Solidarität. Deshalb sollte doch ein Denkmal zu verkraften sein. Man kann nicht alles, was einem nicht gefällt, kurz und klein hauen. Es ist einfach GESCHICHTE.

Seit ich von Ihrem Vorhaben las, frage ich mich, in wessen Auftrag und für wen fangen Sie mit der Zerstörung an? Nicht in meinem und nicht in dem von den „alten“ Bewohnern des Stadtbezirks.

Kennen Sie eigentlich die echte Bedeutung von liberal? Nämlich vorurteilsfrei, tolerant, Eintritt für Freiheit des Einzelnen. Es steht nicht für kleinkariert und ignorant. Gewiss, das Denkmal ist mächtig gewaltig und nicht jedermanns Geschmack. Aber wissen Sie eigentlich, was Ernst Thälmann und seine Familie erlitten haben?

Erst zusammengeschlagen und gequält, dann elf Jahre im KZ. Täglich dort die Grausamkeiten und Leiden der Häftlinge mitzuerleben, dabei die persönliche Todesangst auszuhalten!

Waren Sie jemals in Buchenwald und haben die Berge von Schuhe, Haaren und die Tötungsmaschinerie gesehen?

Diese Eindrücke werden Sie eine Leben lang behalten, wenn Sie nicht völlig abgestumpft sind. Inzwischen wurde auch schon Einiges entschärft. Ich wünschte, dass alle Jugendlichen, Burschenschaften, NSU-Leute wenigstens einmal so einen Ort aufsuchen müssten.

Sie sollten stolz sein, dass es in Deutschland Menschen gab, die gegen den Faschismus gekämpft haben: Sozialdemokraten, Kommunisten, Humanisten, Künstler.

Sie kritisieren, dass Thälmann kein Demokrat war. Er hat immerhin sein Leben im Kampf gegen die Nazis gegeben.

Wenn Sie schon etwas aufarbeiten wollen, dann sollten Sie sich mit den Verbrechern in den Reihen der FDP beschäftigen. Nach dem zweiten Weltkrieg haben sich viele in die FDP gerettet und sind dann im westdeutschen Staatsapparat aktiv geworden. Alle reingewaschen, ohne Reue, die Vergangenheit vertuschend, aber im Alter gut versorgt. Um nur Einige zu nennen: Ernst Achenbach, Heinz Lange, Dr. W. Best, Hans Mayer, Werner Naumann. Alles lupenreine Demokraten!!!! Das waren keine verführten Mitläufer, sondern bewusste Täter, Mitglieder der SS, Gestapo oder Teilnehmer an den Judenverfolgungen.

Also gilt für die Julis die alte Wahrheit, wer im Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen schmeißen.

Wer verdient hier mehr Gedenken? Das Opfer oder die Täter?

Eine liberale Gesinnung sollte doch ein „Thälmann-Denkmal“ zulassen.

Mit freundlichen Grüßen,

Sabine Presch

 

Sabine Preschs Familie ist fest verwurzelt in Prenzlauer Berg. „Wir haben von der Kurischen Strasse, später John-Schehr-Straße, direkt auf den Park gesehen. Als Schülerin der Schliemann-Schule habe ich dort noch Aufbaustunden geleistet“, schreibt Sie uns. „Deshalb bin ich auch ziemlich empört über die Bilderstürmerei der Julis.“

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