Seifert droht erneut zu scheitern

von Anja Mia Neumann 25. Januar 2017

AfD-Kandidat Seifert kämpft weiter um den Stadtratsposten – mit einem langen Brief. Von körperlicher Gewalt distanziert er sich darin nicht. Diejenigen, die ihn wählen sollen, sind wenig überzeugt.

Sechs Mal schon scheiterte AfD-Mann Nicolas Seifert – an diesem Mittwoch könnte es das siebte Mal werden. Der 42-Jährige will Stadtrat in Pankow werden. Und stößt fast ausschließlich auf Ablehnung bei den anderen Parteien.

Bei Wahlversuch Nummer sechs im Dezember lautete das Ergebnis: 10 Verordnete stimmten für Seifert, 35 dagegen, 10 enthielten sich. (Hintergrundinfo: Die AfD-Fraktion ist 8 Menschen stark.) Die meisten Politiker der anderen Parteien sprechen Seifert fast seit Beginn die persönliche Kompetenz fürs Amt ab – unabhängig von der Parteizugehörigkeit, wie sie betonen.

 

Elf Seiten mit Werdegang, Igeln und einem Kohl-Vergleich

 

Seifert versuchte nun zu retten, was zu retten ist: Elf Seiten lang ist sein Brief, in dem er

  • seinen Werdegang als Wirtschaftsingenieur und Unternehmensberater beschreibt,

  • referiert, was das Bezirksamt ist,

  • auf seine Diplomarbeit und sein darin enthaltenes Demokratieverständnis verweist,

  • Ideen für Ordnung und Umweltschutz im Bezirk beschreibt,

  • sich als „zuverlässige, leistungsorientierte, zielstrebige, disziplinierte, fleißige, verantwortungsbewußte, hartnäckige und naturverbundene Person“ beschreibt,

  • darüber berichtet, dass er als Kind junge Igel im heimischen Keller durch den Winter gefüttert hat und

  • seine Attacke auf einen heute-show-Reporter – der im Sinne der Satire-Sendung als Clown verkleidet Demonstranten provoziert – nicht entschuldigt, sondern in Zusammenhang mit Helmut Kohls handgreiflicher Reaktion auf einen Eierwerfer im Jahr 1991 stellt.

 

Geholfen scheint sich Seifert mit seinem Worten allerdings nicht zu haben.

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Hintergrund: Seifert stellte sich im Herbst 2016 erst mit Verspätung in den Fraktionen vor, weil er im Urlaub war. Dann wirkte er unvorbereitet und wenig gesprächsbereit, wie es heißt. Ein aufgetauchtes Video, auf dem er einen Reporter verkleidet als Clown die Perücke herunterreißt und ihn schubst, half ihm bei der Glaubwürdigkeit wenig.

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Eine Crux in seinem Brief ist die indirekte Kommunikation: Adressiert sind Seiferts Worte nämlich nicht etwa an die anderen Fraktionsmitglieder, sondern an AfD-Fraktionschef Stephan Wirtensohn.

Der hatte sich noch optimistisch gegeben: „Augenscheinlich bestanden bei Teilen der BVV, insonderheit (sic!) bei der rot-rot-grünen Zählgemeinschaft, hartnäckige Mißverständnisse und Fehlinterpretationen bzw. offenkundige Informationsdefizite“, schrieb er. „Ich denke, wir sind gerade dabei, vieles davon zu entkräften und auszuräumen.“

Dass das seinerseits eine Fehlinterpretation zu sein scheint, hat eine Umfrage der Prenzlauer Berg Nachrichten bei den anderen Parteien ergeben. Ein Stimmungsbild:

 

Daniela Billig, BVV-Fraktionsvorsitzende Grüne:

„Für mich wirkt es kindisch und künstlich, dass Seifert den Brief nicht direkt an uns adressiert hat.“

„Ich fühle mich darin bestätigt, dass Seifert keine Ahnung von Verwaltung hat. Außerdem zeigt für mich sein Zitat aus seiner Diplomarbeit, dass er kein Demokrat ist.“

„Was den Clown-Vorfall angeht, hat Seifert gar kein Unrechtsbewusstsein. Er hat überempfindlich reagiert. Ich will nicht wissen, was passiert, wenn aufgebrachte Anwohner vor ihm stehen, die zum Beispiel eine Baumfällung verhindern wollen.“

„Er wäre ein Stadtrat, bei dem ich mir nicht sicher sein kann, dass er bei einer Auseinandersetzung bei Worten bleibt.“

„Dieser Kandidat ist für mich nicht tragbar. Und das liegt nicht an der Partei.“

 

Matthias Zarbock, BBV-Fraktionsvorsitzender Linke:

„Wir als Fraktion finden nicht, dass wir diejenigen sind, die er anspricht. Der Brief wirkt eher wie eine Vorbereitung auf eine Gerichtsverhandlung.“

„Der Angriff auf den Reporter bleibt ein Angriff auf die Satire- und Pressefreiheit. Seiferts Argumentation dazu ist eine typische Täter-Opfer-Verquerung. Es gibt kein Bedauern, keine Reue, keine Entschuldigung.“

„Er bleibt derselbe Kandidat mit denselben Schwächen.“

„Wir in der BVV sehen uns nicht als automatisch wählendes Gremium.“

 

Roland Schröder, BBV-Fraktionsvorsitzender SPD:

„Wir haben durch den Brief keine neuen Erkenntnisse gewonnen. Es wurde viel zusammenkopiert an Zeugnissen und Informationen zur BVV und zum Amt des Stadtrates. Der Adressat scheint eher das Gericht.“

„Es ist lieb von Seifert, dass er als Kind Igel gepflegt hat. Aber ich kann da den direkten Zusammenhang zum Amt nicht erkennen.“

„Es stört mich sehr, wie Seifert mit seinem Angriff auf den Reporter umgeht. Eine gewisse Unfähigkeit zur Selbstreflexion erkenne ich da schon. Als Stadtrat darf sich das nicht wiederholen – da nützt auch ein angekündigter Rücktritt nicht.“

„Seiferts Diplomarbeit offenbart ein merkwürdiges Verständnis von Demokratie und Presse. Das ist alles sehr fragwürdig.“

 

Sophie Regel, BVV-Gruppe FDP:

„Für uns ist das Parteibuch kein Kriterium für oder gegen die Wahl.“

„Die Opferrolle in welcher sich die AfD hier wähnt, ist unzutreffend. In anderen Bezirken wurden sowohl AfD-Kandidaten als Stadträte gewählt als auch Kandidaten anderer Parteien abgelehnt.“

„Mittlerweile stelle ich mir auch die Frage wie stark der Rückhalt für einen Stadtrat Seifert innerhalb des Bezirksamtes wäre.“

„Letztendlich ist mein Standpunkt, so lange Herr Seifert sich nicht ganz klar von dem Vorfall, der im Video der heute show zu sehen ist, distanziert, bin ich auch nicht bereit meine Wahlentscheidung zu überdenken.“

„Während unseres Gesprächs sah er sich in der Rolle des Ausführers von BVV-Beschlüssen ohne politische Schwerpunktsetzung seinerseits. Zudem war er auch der Meinung, dass sich niemand für Kommunalpolitik interessieren würde; ich nehme an, dass er mindestens in diesem Punkt seine Meinung geändert hat.“

 

Hoffnung auf Weihnachten vor dem Wahlgang

 

Wie es nach dem siebten Wahlgang weitergehen wird, dazu äußerte sich Seifert im Tagesspiegel und kündigte den Gang der Partei vor Gericht an, sollte er erneut nicht zum Stadtrat gewählt werden. Eine Klage sei in Vorbereitung. Auf eine Nachfrage der Prenzlauer Berg Nachrichten zu den Klageplänen reagierte Seifert zunächst nicht.

AfD-Pressesprecher Ronald Gläser meinte, mögliche juristische Auseinandersetzungen könne er erst kommentieren, „wenn eine genaue Argumentation dafür steht“. Und das sei noch nicht der Fall. Er hoffe aber, dass sich „die Gemüter über Weihnachten gelegt haben“.

Sollte der eine oder andere Politiker aus Pankow besinnliche Feiertage erlebt haben, eine neue Meinung über AfD-Kandidat Seifert haben offensichtlich weder sie noch Seiferts Brief bewirkt.

(Anmerkung: Die Fraktion der CDU Pankow hat auf eine PBN-Anfrage bislang nicht reagiert.)

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