Auf und nieder

von Susanne Grautmann 18. November 2015

Die Eigentümer der Kastanienallee 10 verpflichteten den Bezirk, eine vor Jahren abgerissene Mauer zwischen altem und neuen Hirschhof wieder zu errichten. Doch kaum steht sie, soll sie rückgebaut werden.

Jetzt finden die Eigentümer das mit der Mauer doch nicht mehr so prima. Drei Meter sind ja ganz! schön! hoch! Könnte es nicht ein bisschen weniger sein? Und eine Tür in der Mauer wäre doch auch sehr nett. Nur von der Grundstücksseite aus zu öffnen, versteht sich. Darüber würden die Eigentümer gerne mal mit dem Bezirk reden.  

Wie bitte? War der Bau exakt dieser Mauer nicht die Forderung eben jener Eigentümer? Jahrelang haben sie dafür gestritten, dass sie wieder errichtet wird. „Der Bezirk hat die Mauer auf unserem Grundstück damals einfach eigenmächtig eingerissen“, sagt Joachim Seiler, einer der Beiräte der Eigentümergemeinschaft. Er glaubt, dass der Bezirk dadurch einen Zugang vom Spielplatz an der Oderberger Straße auf das Grundstück der Kastanienalle 10 schaffen wollte. 

 

Ein Hof mit Stasi-Akte

 

Seit die Häuser an der Kastanienallee nach der Wende verkauft worden waren, hatten der Bezirk und die neuen Eigentümer über die Nutzung der zugehörigen Höfe gestritten. Die Eigentümer waren der Ansicht, diese seien durch den Erweb der Häuser zu Privatgrundstücken geworden, während der Bezirk sie für die Öffentlichkeit erhalten wollte.

Der Bezirk berief sich auf die Geschichte des Hirschhofes, der über Jahrzehnte frei zugänglich war und Künstlern und Mitgliedern der DDR-Opposition in Prenzlauer Berg als Treffpunkt diente. Die Anwohner nutzten die Höfe zwischen Kastanienallee und Oderberger Straße gemeinsam, bauten sogar ein Amphitheater, in dem Konzerte und Theateraufführungen stattfanden. Der Ort war so bekannt für sein subkulturelles Treiben, dass er eine eigene Stasi-Akte hatte. Der namensgebende Hirsch, eine fast drei Meter hohe Skulptur aus Draht, stand ebenfalls im Innenhof.

 

 „Diese Mauer ist ein Monstrum“

 

Doch die historische Bedeutung des Areals und seine Nutzungsgeschichte waren nicht ausreichend dokumentiert, um vor Gericht eine Nutzung als „öffentliche Grünfläche“ durchzusetzen. Schließlich wurde im April 2014 gerichtlich entschieden, dass die Höfe der Häuser an der Kastanienallee 10-12 nicht öffentlich zugänglich bleiben müssen. Es folgte der Vergleich zwischen Eigentümern und Bezirk, in dem auch der Neubau der Mauer festgelegt wurde. 

Wieso die Eigentümer jetzt trotz Mauerbaus nicht glücklich sind, kann Seiler auch nicht so richtig erklären. Er sagt, im Streit mit dem Bezirk sei es immer um den Neubau einer Mauer „in der Höhe der alten“ gegangen. Wie hoch die eigentlich war, hat anscheinend niemanden interessiert. 

Die jetzt errichtete Mauer misst etwas über drei Meter. Für Seiler ist sie ein „Monstrum“, das schleunigst auf maximal 2,50 Meter Höhe zurückgebaut werden soll. Er hoffe da auf ein kooperatives Gespräch mit dem Bezirk, sagt er. 

 

 Der Bezirksstadtrat amüsiert sich 

 

Der für Stadtentwicklung zuständige Bezirksstadtrat Jens-Holger Kirchner (Grüne) hat gerade einen Brief vom Rechtsanwalt der Eigentümergemeinschaft erhalten, in dem es um den Rückbau der Mauer geht. Kirchner wirkt so verständnislos wie belustigt. „Anscheinend haben die Eigentümer jetzt auch gemerkt, dass ihre Kinder gar nicht mehr auf den Spielplatz können, wenn dort eine Mauer steht“, meint er. 

Redebedarf sieht Kirchner allerdings nicht. „Wir haben unsere Auflage erfüllt, die Mauer ist fertig, und damit ist das Thema für den Bezirk erledigt“, sagt er. Was die Eigentümer jetzt mit der Mauer machten, sei dem Bezirk völlig egal: „Die Mauer gehört jetzt denen.“ 

 

Graffiti am neuen Hirschhof (Foto: Susanne Grautmann) 

 

Der neue Hirschhof soll größer werden

 

Der Bezirk kümmert sich lieber darum, den neuen Hirschhof zu erweitern. Er würde dem 2012 als Ausweichgelände angelegten Spielplatz an der Oderberger Straße gerne noch ein weiteres Grundstück im rückwärtigen Bereich der Eberswalder Straße 14/15 zuschlagen. Das gehört allerdings nicht dem Bezirk, sondern dem Land.  

Ob die Übertragung des Grundstücks gelingt, ist noch nicht klar. „Darüber muss der Vermögensausschuss des Abgeordnetenhauses entscheiden“, sagt Katja Cwejn, Sprecherin der Berliner Immobilienmanagement Gesellschaft (BIM). Der Antrag des Bezirks liege vor, aber einen Termin für die Entscheidung gebe es noch nicht. 

 

Der Hirsch steckt im Werkhof

 

Kirchner glaubt, dass die Chancen gut stehen. Dafür sprechen aus seiner Sicht das öffentliche Interesse und der Infrastrukturbedarf. Dauern werde das aber in jedem Fall noch einige Jahre. „Wir müssen ja auch noch ein bisschen Geld einsammeln“, meint er. 

Wenn alles klappt, soll auch der Hirsch wieder in seinen Heimatkiez zurückkehren. Zwischenzeitlich ist er in einen Werkhof an der Kniprodestraße eingelagert worden. Ist die Mauer bis dahin tieferlegt, kann er wenigstens in seinen alten Hof rüberschauen.  

 

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