Ein Comic-Abenteurer mit Mission

von Brigitte Preissler 7. April 2011

In der Rodenbergstraße sitzt einer der renommiertesten deutschen Verlage für anspruchsvolle Graphic Novels: Johann Ulrichs kleiner, feiner Avant-Verlag. 2011 feiert er sein zehnjähriges Bestehen. Zeit für ein Porträt. 

Johann Ulrich kann es selbst kaum fassen. „Wenn mir das vor ein paar Jahren jemand erzählt hätte – ich hätte ihm einen Vogel gezeigt“, sagt er. Was ihn so erstaunt, ist der Erfolg seines eigenen Verlages. Allein im vergangenen Jahr muss er sich geradezu mit Preisen beworfen gefühlt haben: Beim Erlanger Comicsalon zum Beispiel, dem wichtigsten Wettbewerb in Deutschland, erhielten Avant-Titel 2010 insgesamt vier Auszeichnungen. Und beim Festival von Angoulême, wo die bedeutendsten europäischen Comicpreise vergeben werden, sahnte er 2011 ebenfalls ab. Die Avant-Autorin Ulli Lust wurde dort für „Heute ist der letzte Tag vom Rest deines Lebens” mit dem Prix Revelation geehrt, der für das erste große Werk eines Künstlers vergeben wird (wir berichteten). Und Manuele Fiors „Fünftausend Kilometer in der Sekunde“, das im Mai 2011 im Avant-Verlag erscheint, wurde sogar mit der höchsten Auszeichnung des Festivals bedacht, dem Fauve d’Or für das „Beste Album 2011.“ Besser kann es eigentlich gar nicht kommen, das ist gewissermaßen der „Oscar“ der Comicbranche. 

 Aber für den Avant-Verlag reicht ein Oscar nicht. „Manueles Buch ist ja – nach der Klassikeradaption ,Pinocchio‘ von Winshluss und Gipis ,Aufzeichnungen für eine Kriegsgeschichte‘ – schon der dritte Avant-Titel, der diese Auszeichnung bekommt,“ so Ulrich, der Stolz ist ihm anzuhören. „Der diesjährige Preis ist allerdings besonders erfreulich, weil das eine echte Avant Verlag-Entdeckung ist. Manuele wurde das erste Mal überhaupt bei uns publiziert. Aber auch das Buch von Ulli Lust ist international eine der wichtigsten Graphic Novels der letzten fünf, sechs Jahre. Es gibt kaum etwas Vergleichbares.“ 

An so viel Ruhm und Ehre war natürlich erst einmal nicht zu denken, als Ulrich 2001 den Verlag gründete. Ein bisschen Erspartes und ein gutes Gespür für spannende Autorencomics, das war das Startkapital seines Ein-Mann-Unternehmens. Die Jahrtausendwende war indes keineswegs die ideale Zeit, um in Deutschland neue Comics unters Volk zu bringen. Kein Mensch interessierte sich mehr für die damals gängigen Alben und Endlosserien, der Markt war übersättigt. 

 

Eine folgenreiche Powerpoint-Präsentation

 

Ulrich aber hatte eine Mission. Spätestens im Jahr 2000, bei einem Besuch der Frankfurter Buchmesse, war ihm durch eine Powerpoint-Präsentation des französischen Comic-Theoretikers Thierry Groensteen bewusst geworden, wie schlecht es damals um das Genre in Deutschland bestellt war. Groensteen hatte über „Neue Tendenzen im französischen Autorencomic“ referiert. Und von den rund vierzig Büchern, die Groensteen erwähnte, war nur eines auf Deutsch erhältlich. „Die ganzen spannenden, neuen Sachen, die in Frankreich, aber auch anderswo passiert sind, gab es in den deutschen Verlagsprogrammen einfach nicht,“ erzählt Ulrich. Das aber sollte sich nun ändern.

Vor allem solche Werke, die man heute als Graphic Novels bezeichnen würde, interessierten Ulrich, allerdings hatte sich dieser Begriff damals noch nicht durchgesetzt. Der frisch gebackene Verleger nannte seine Lieblingsbücher deshalb erst einmal „Comicromane.“ Einer davon, nämlich „Berlin 1931“ der Spanier Felipe Cava und Raul, bescherte seinem jungen Verlag 2001 gleich einen ordentlichen Erfolg. Für Teenagergeschichten oder Coming-of-Age-Stories hat Ulrich, im Gegensatz zu vielen anderen Comic-Verlegern, dagegen bis heute relativ wenig übrig; Künstlerbiografien in Comicform findet er interessanter. Demnächst wird etwa der Franzose Golo eine über den Autor B. Traven vorlegen, im Herbst folgt eine Chagall-Darstellung von Joann Sfar. Auch Judaica sind im Avant-Programm stark vertreten, etwa mit Sfars „Die Katze des Rabbiners“, oder Ben Katchors „Der Jude von New York“. 

 

Prenzlauer Berg – ein angesagtes Pflaster für Comiczeichner


In Prenzlauer Berg ließ sich der gebürtige Bayer damals nieder, weil der Kiez eben auch für Comiczeichner ein angesagtes Pflaster war. Auch wenn es die Jüngeren nun zusehends nach Neukölln zieht, so leben und arbeiten doch nach wie vor viele erfolgreiche Zeichner hier: Von Jens Harder über Ulli Lust bis Atak und Fil, Reinhard Kleist oder Mawil. „Und es ist doch ganz schön, sich auch mal persönlich sehen zu können,“ so Ulrich. Auch den diesjährigen Angoulême-Sieger Manule Fior lernte er übrigens hier kennen. „Er wohnt jetzt in Paris, hat davor aber lange hier in Prenzlauer Berg gelebt. Damals arbeitete er in einem Architektenbüro und zeichnete Comics nur nebenbei.“

Nun hat der Avant-Verlag zwar nicht immer schwarze Zahlen geschrieben, aber nach den Erfolgen der letzten Zeit trägt er sich zumindest im Jubiläumsjahr selbst. „Es gibt heute sehr viele schöne Titel in Deutschland, auf denen ‚Avant-Verlag‘ drauf steht. Ich glaube, da habe ich schon was geleistet,“ resümiert Ulrich. Das aber glaubt nun, weiß Gott, nicht nur er. Vom französischen Kultusministerium etwa wurde er 2008 als „Aventurier de la culture“ geehrt. Und auch wir, die Prenzlauer Berg Nachrichten, ernennen ihn hiermit zum – konkurrenzlos –verdientesten Verleger-Abenteurer, den die lokale Comicszene in den letzten Jahren hervorgebracht hat. 

 

Der Avant-Verlag im Netz: 

http://www.avant-verlag.de/ oder 

http://www.youtube.com/user/avantverlag

Das könnte Dich auch interessieren

Hinterlasse einen Kommentar