Die Winzer vom Prenzlauer Berg, Teil I

von Cosima Lutz 14. Oktober 2016

Franken und Rheinländer pflanzten hier einst die ersten Rebstöcke. Die Tradition starb vor 100 Jahren aus. Jetzt gedeiht wieder der Wein. Besuch beim Hobbywinzer.

Diesen Sonntag, am 16. Oktober, ist wieder Weinlese im Volkspark Prenzlauer Berg. Seit dort 2003 der erste Wein geernet wurde, lädt der Verein Weingarten Berlin traditionell jedes Jahr im Herbst zum gemeinsamen Ernten mit Weinverkostung. Vor längerer Zeit waren wir schon einmal im Weinberg zu Besuch. Dabei entstand dieser Artikel, den wir Euch aus aktuellem Anlass nochmals empfehlen.

 

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ARTIKEL vom 10.06.2011

Wenn sich Frank Pietsch, gelernter Landwirt mit Doktortitel, zu den Rosen am Rande des Volksparks Prenzlauer Berg beugt, mag das ja recht romantisch aussehen. Aber Pietsch denkt da nur an das eine: Mehltau. „Bevor der Mehltau den Wein befällt, ist er an den Rosen, dann können wir noch rechtzeitig die Reben retten.“ Mehltau war heuer noch kein Problem, aber der Frost im späten Frühjahr. Er ist jetzt schon ein rarer Tropfen, der 2011er Berliner Riesling aus Prenzlauer Berg, ein zartes, junges Großstadtpflänzchen, das erst vor ein paar Jahren aus dem deutschsprachigen Süden hierher gezogen ist.

Pietsch ist Vorsitzender des 2003 gegründeten Fördervereins Weingarten Berlin e. V. und hat uns bei sengender Vormittagshitze zu einem kleinen Rundgang durch den Weingarten in der Nähe des Syringenplatzes/ Ecke Sigridstraße eingeladen. Denn ja, bei uns wächst Wein. Nicht nur zum Anschauen und zur unfreiwilligen Vogelfütterung wie im Schau-Garten am Wasserturm, der übrigens ebenfalls vom Verein betreut wird; sondern so richtig mit Ergebnissen, die in Flaschen abgefüllt und ernsthaft getrunken werden können.

 

Prenzlauer Berg führte einst die Weintraube im Wappen

 

Um es gleich vorweg zu sagen: Zur recherchemäßigen Weinverkostung wird es vorerst nicht kommen, die wenigen Flaschen sind für Ereignisse wie etwa den Langen Tag der Stadtnatur reserviert. Und am Ende der Führung wird sowieso eher die Lust vorherrschen, hier einmal selbst zu jäten, zu „gipfeln“ und: Wein wirklich zu lesen. Weinberge kennen wir hier ja fast nur in Gestalt von Nachbarkiez-Straßennamen wie Weinbergsweg und Weinmeisterstraße. Wobei man sich schon früher einmal hätte fragen können, warum diese Straßen wohl so heißen. Und warum das alte Wappen Prenzlauer Bergs vor der Bezirksreform außer der Hopfendolde auch die Weintraube im Schilde führte.

Ein paar Schritte noch an hohen Bäumen vorbei, Frank Pietsch öffnet ein Gartentor, und da ist er: ein überraschend großer, tatsächlich nach Weinberg aussehender Garten. Die hellgrünen Blätter des Rieslings glänzen, als seien sie sehr einverstanden mit den hochsommerlichen Temperaturen, insgesamt wirken die Rebstöcke aber etwas kahl. „Der Frost hat uns vier Wochen zurückgeworfen“, sagt Pietsch. Nur an geschützten Stellen am Rande des Gartens sieht man kräftige Reben, wie sie um diese Jahreszeit aussehen sollen: mit wacker belaubten Trieben.

Von einem kleinen, aufgeschütteten Hügel aus hat man den besten und zugleich seltsamsten Blick auf den gerade mal zwölfjährigen Weingarten: Hinter den Rosen, dort, wo bis 1999 eine Brache war, erstreckt sich ein 2500 Quadratmeter großes Areal mit knapp 500 Weinstöcken, dahinter leuchten fast unwirklich die blitzblank renovierten Mehrfamilienhäuser aus der jüngsten Vergangenheit. Bacchus-Idyll auf Prenzlauer Berger Art.  

Der Wein hat es hier oft nicht leicht gehabt, abgesehen von einer heftigen Blütezeit im 15. und 16. Jahrhundert. Seine Geschichte in der Mark Brandenburg und in Berlin reicht bis ins 12. Jahrhundert zurück. Das schreibt unser Weinbergs-Führer Frank Pietsch in der sehr ausführlichen „Weinkarte“ (Edition Terra, 4 Euro und in der Vereins-Broschüre „Berliner Weine“). Mit dem jüngsten Klimawandel hat der aktuelle Boom der etwa 8000 Jahre alten Kulturpflanze in unseren Breiten (man denke an die Saale-Unstrut-Region) also gar nicht so viel zu tun, eher mit dem Anbrechen friedlicherer, wirtschaftlich relativ stabiler Zeiten.

 

Der erste märkische Wein zersägte noch den Gaumen

 

Schuld am ersten Auftauchen des Weinbaus in Berlin sind Franken und Rheinländer, die nach dem Sieg Albrechts des Bären über slawische Stämme hier angesiedelt wurden und nicht auf ihr Lieblingsgetränk verzichten wollten. Der Weintransport über holprige und unsichere Wege war zu riskant, also beschlossen sie, die Rebstöcke in der neuen Heimat zu kultivieren. Für die weitere Verbreitung sorgten dann Mönche, die wiederum ursprünglich aus Frankreich und dem Rheinland kamen und auch gleich ihr Know-how in Sachen Weinbau mitbrachten. Trotzdem: Richtig lecker war der Wein wohl eher nicht, Studenten spotteten mit hörbar verkanteter Zunge: „Märkischer Erde Weinerträge gehen durch die Kehle wie ’ne Säge“. Der Gerechtigkeit halber sei erwähnt, dass Chronisten auch lobende Worte für das Getränk übrig hatten: „Märkische Weine, so sie aus recht reif gewordenen (…) Beeren gepresst worden sind, haben dieses an sich, dass sie sich mit zunehmendem Alter sehr verbessern und öfters vor Rhein-, Neckar- und Frankenweinen getrunken worden sind.“

Wie auch immer: Am Geschmack lag es wohl nicht, als der Berliner Weinbau 1912 scheinbar endgültig zum Erliegen kam – bis er eines Tages von Kreuzberg aus als Teil der Stadtkultur wiederentdeckt und seit der Jahrtausendwende auch in Prenzlauer Berg wieder heimisch gemacht wurde.

Lesen Sie im zweiten Teil, warum der Rebensaft an der Spree einst ein Grundnahrungsmittel war, warum zu Beginn des 20. Jahrhunderts die letzten Weinstöcke gerodet wurden und wie es schließlich zum Neuanfang auch in Prenzlauer Berg kam.

Der Artikel ist ursprünglich am 10.06.2011 erschienen.

 

Aktuelle Termine: Am 16. Oktober 2016 lädt der Verein Weingarten Berlin e.V. zur öffentlichen Weinlese in den Volkspark Prenzlauer Berg. Die nächste Führung  „Wasser und Wein“ am Wasserturm findet am 29. Oktober 2016 statt. Informationen unter  030/ 44 09 276 (Weingarten Berlin) und www.berliner-riesling.de .

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