Die Kings und Queens von Prenzlauer Berg

von Brigitte Preissler 1. Juni 2011

Über New York, Paris oder Berlin sind berühmte Songs geschrieben worden. Es gibt aber auch Lieder, die den Lebensstil von Prenzlauer Berg besingen. Wir haben mal reingehört. 

 

Schön ist es ja an vielen Orten. Vermutlich hat sogar fast jede Gegend auf dieser Welt einen Song verdient. Einige Metropolen scheinen allerdings besonders inspirierend auf Musiker zu wirken. Berlin etwa wurde schon tausendfach besungen – von Marlene Dietrich und Hilde Knef, von der Band Ideal, von Bushido, Seeed und vielen anderen. Für Herbert Grönemeyer war Bochum ein songfähiger Ort, für die Ärzte sogar Westerland. Dschinghis Khan sangen über Moskau, Bruce Springsteen über die „Streets of Philadelphia“. Und Randy Newman bewies Anfang der 80er Jahre mit „I love L. A.“, dass seine Geburtsstadt das Mekka der Vokuhilas und Hawaiihemdenträger war. 

Für die Naturschönheiten oder die Rathausarchitektur des jeweils titelgebenden Ortes hat sich indes kaum je ein Interpret interessiert. Eher für die Menschen, die dort leben; für ihre Kultur, ihren Habitus, ihre Sorgen, ihren Alltag. Seitdem zum Beispiel Scott McKenzie 1967 seinen Mega-Hit „San Francisco“ aufnahm, weiß jeder, wo die Blumenkinder herkommen. Von dort ging die Hippie-Bewegung einst aus, ohne Florales im Haar konnte man sich nicht blicken lassen. Mit der Realität des Hippie-Milieus hatte McKenzies weichgespülter Mainstream-Song zwar wenig zu tun, trotzdem wurde er auch unter Räucherstäbchen-Afficionados populär, die Lichtjahre von San Franciso entfernt lebten. Das Lied wurde weltweit zur Hymne der Ungekämmten und Barbusigen, und es wird das Bild dieser Stadt wohl prägen und mitbestimmen, so lange es auf dieser Welt noch Tonträger und Filmabspielgeräte gibt. 

Weil solche ortsbezogenen Lieder oft die Sitten und Gebräuche der jeweiligen Bewohner glorifizieren, werden sie bisweilen für touristische Zwecke genutzt. So wird jeder Paris-Besucher, dem die französische Lebensart vermittelt werden soll, mit Edith Piafs „Sous le ciel de Paris“ berieselt. Ähnlich wie Nationalhymnen dienen solche Lokalballaden eben der Selbstvergewisserung der Ansässigen, manchmal präsentieren sich Städte sogar bei offiziellen Anlässen mit entsprechenden Liedern. Als zum Beispiel 1986 die amerikanische Freiheitsstatue nach dreijährigen Renovierungsarbeiten wiedereröffnet wurde, entfesselte Liza Minelli mit „New York, New York“ bei der Feier patriotische Gefühle. Es soll nicht ihr schlechtester Auftritt gewesen sein. 

 

Satirische Stadtteilsoziologie

 

Das derzeit bekannteste Lied über Prenzlauer Berg – Rainald Grebes „Ho-Ho-Holzspielzeug“-Ballade – trägt dagegen nicht gerade zur Steigerung lokalen Selbstbewusstseins bei, sein Wort vom „schönen Bezirk“ ist bekanntlich ironisch gemeint. Die bionadesüchtigen Anwohner des von ihm besungenen Schnösel-Ghettos haben längst vergessen, wie es hier vor zwanzig Jahren ausgesehen hat; ihre Welt ist in Ordnung, so lange alle Schnauzbart-Türken im Wedding bleiben, wo sie hingehören. Grebes satirische Stadtteilsoziologie erinnert an einen Song von Thomas D.: Dieser besingt in „Killesberg Baby“ eine Stuttgarterin, die am „Dach der Stadt“ lebt; sie kriegt „nen Scheck ab und zu von ihrem Dad/ der ist richtig fat.“ Mit einem jungen Mann aus Heslach mag sie sich nicht recht einlassen, weil das nicht standesgemäß wäre. Wir lernen daraus, dass es in Stuttgart offenbar dasselbe demografische Phänomen gibt wie in Berlin: Die Reichen wohnen alle „am Berg.“ 

In die gleiche stereotype Kerbe wie Grebe schlagen Patrouille mit „Und am Prenzlauer Berg herrscht die Angst vorm Versagen“ sowie auch der Hiphopper und Ex-“Freundeskreis“-Sänger Max Herre. Letzterer coverte 2004 das Lied „Der King vom Prenzlauer Berg“, es erschien erstmals 1978 auf einer Platte der Ostrock-Band „City“. Herre behielt zwar Titel und Refrain des Songs bei. Doch während City über einen dem Alkohol nicht abgeneigten Lehrling namens Noby sangen, der gern mal zuschlägt, wenn ihn abends im Klub einer ärgert, rappte Herre über einen „Designer-Punk“ und „homo grafikus Ostberliner Prägung“ namens Theo. Dieser Theo ist zugezogen, natürlich aus Stuttgart, und natürlich macht er irgendwas mit Kunst und Medien. Er ist, kurz gesagt, genau die Sorte von dünkelhaftem Szene-Depp, die gewisse kiezansässige Sprayer und Hauswand-Verzierer vermutlich mit ihren „Tötet Schwaben“-Parolen meinen. 

Für all jene Prenzlauer Berger, denen nichts an Selbsthass und musikalischen Klischee-Reproduktionen liegt, liefert also auch dieser Song nicht das passende Identifikationsangebot. Ihnen hilft es vielleicht, sich mit Hilfe von Stefan Diestelmanns „Hof vom Prenzlauer Berg“ in die 80er Jahre zurückzuversetzen – bekanntlich eine Zeit, als es in Ost-Berlin weder Schwaben noch Schwabenhasser gab. Wie es sich für einen echten Blues gehört, hebt allerdings auch dieses Lied nicht unbedingt die Stimmung. Diestelmann, der „Blueskönig der DDR“ machte sich mit seinen Songs damals beim SED-Regime unbeliebt, weil er den Staat nicht angemessen darstellte. Kohlemänner, die nachts um vier einen Höllenkrach machten, und kaputte Häuser, hinter deren Eingangstüren dubiose Haufen vor sich hin stanken – das durfte es in der DDR einfach nicht geben

 

Musik für sibirische Karnevalspartys

 

Eins der wohl schönsten Lieder, die dem Prenzlauer Berg je gewidmet wurden, findet sich auf dem 2005 erschienenem Debütalbum „Gulag Orkestar“ der amerikanischen Folkband Beirut. Warum das Stück „Prenzlauerberg“ heißt, bleibt allerdings ein Rätsel, von dem impressionistischen Genuschel des Sängers Zach Condon versteht man nämlich so gut wie nichts. Doch wie bei vielen Beirut-Stücken liegt die Stärke des Songs ohnehin weniger im Text als in der überraschend schunkelfähigen Melancholie: „Prenzlauerberg“ heißt hier Traurigsein im Dreivierteltakt, hört sich vage osteuropäisch an und ist die perfekte Musik für einsame Wodka-Besäufnisse und sibirische Karnevalspartys. Erstaunlich, wie hübsch es klingt, wenn ein junger Amerikaner nachträglich versucht, europäische Folklore zu erfinden. 

Noch erbaulicher ist Barbara Thalheims Lied über den „Frühling in der Schönhauser“; die „Katja Ebstein des Ostens“ sang es 1971. 2004 wurde ihr damaliger Hit von der Band „Nylon“ neu aufgelegt. Es ist eine Liebeserklärung an eine Straße, die anscheinend mal echtes Flair besaß. Thalheim zufolge jedenfalls muss man sich, wenn man damals auf der Schönhauser einen Minirock trug, ungefähr so gefühlt haben, als würde man heute in Manolo Blahniks über die Fifth Avenue spazieren. Auch zu den Bandoneon-Klängen von Nylon klingt das Stück eher nach erster Liebe in Paris als nach der heutigen Baustellen-Krachmacherstraße: „Der Frühlingswind fegt den Himmel glatt/ und Regen wäscht den Morgen nebelblau.“ 

Wem das nun wieder zu kitschig ist, der kann sich ja immer noch mit textfreien Songs behelfen. Instrumentalstücke von miimo oder Pjotr G vs. Jay Rico liefern eine prächtige elektronische Atmo, zu der sich jeder selbst nach Belieben seine Blumenkinder und Berg-Babes herbeiprojizieren kann. Das kiezbezogene Musikangebot bleibt derweil so vielfältig wie unsere untenstehende Auswahl weiterer Prenzlauer Berg-Lieder, für deren ausführlichere Würdigung im Text leider kein Platz mehr war. Sie beweist, dass der Scott McKenzie des Prenzlauer Berg, der das Bild des Stadtteils bis in alle Ewigkeit musikalisch festschriebe, wohl erst noch geboren werden muss. 

 

Julia Axen, Heinz Schultze: Wenn in der Schönhauser die Lichter glüh‘n (1958)

Beirut: Prenzlauerberg (2005)

Tommi Bass: Prenzlauer Berg Shuffle (2010)

City: Der King vom Prenzlauer Berg (1978)

Stefan Diestelmann: Hof vom Prenzlauer Berg (1980)

Pjotr G vs. Jay Rico: Prenzlauer Berg (2011)

Rainald Grebe: Prenzlauer Berg (2011)

Max Herre: Der King vom Prenzlauer Berg (2004)

Uwe Kropinski: The Girl from Prenzlauer Berg (2010)

miimo: Prenzlauer Berg 3.49 a.m. (2009)

Nylon: Frühling in der Schönhauser (2004)

Patrouille: Und am Prenzlauer Berg herrscht die Angst vorm Versagen (2007)

Jenz Steiner, Schönhauser Allee (2007)

Barbara Thalheim: Frühling in der Schönhauser (1971); Sehnsucht nach der Schönhauser (1985)

 

UPDATE (2015): 

Hier sind noch weitere Fundstücke unserer Leser: 

The incredible Herrengedeck: Prenzlauer Berg, Auftritt in der Wabe (2010)

Fil: Mein Kind ist geiler als Deins, Amateuraufnahme (2010), lt. einem Leser in einem Hinterhof in der Ackerstraße

Keks: Komm auf mein Schloss (1980?) Lyrics

 

Du kennst weitere Lieder (oder auch Bücher oder Film) über Prenzlauer Berg? Dann sag´und schreib uns das. Wir haben hier eine „Umfrage“ aufgesetzt, mit der wir das einfach aufnehmen können. Hier klciken, um uns einen Song-, Film- oder Buch-Tipp zu geben. 

 

UPDATE 2:

Unser Gastautor Andrej Holm stellt  in seinem Gentrification-Blog derzeit hier eine Liste von Musikstücken zusammen, die sich vornehmlich mit dem Thema Aufwertung / Gentrifizierung auseinandersetzen. Einige davon – mit Prenzlauer Berg Bezug – finden sich auch schon in unserer Liste, andere sind neu. 

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