„Das weiß doch keiner mehr, wie das hier noch vor zwanzig Jahren ausgesehen hat“

von Brigitte Preissler 20. Dezember 2010

Wie der gesamte Prenzlauer Berg hat sich auch die hier ansässige Kulturszene stark verändert. Die Serie „Vom Samisdat zu Suhrkamp“ zeichnet die Entwicklungen nach. Heute Teil 2.

(Für Neueinsteiger: Hier geht es zu Teil 1 der Serie über den Wandel der Kulturszene in Prenzlauer Berg)

 

Teil 2

Henryk Gericke hat wirklich nichts gegen Schwaben. Schon gar nicht gegen „die Schwaben.“ So bezeichnet man bekanntlich Besserverdienende unter 40, die aus den alten Bundesländern nach Prenzlauer Berg zogen, doch seiner Meinung nach sind sie durchaus nicht so schlimm wie ihr Ruf. „Die meinen’s nicht böse,“ sagt er.

Gericke lebt seit seiner Kindheit hier. Er weiß natürlich, dass auch die in den 80er Jahren hier ansässigen Künstler nicht alle aus dem Kiez stammten. Wenn sie nicht aus Friedrichshain kamen wie sein Freund Bert Papenfuß, dann eben aus Dresden, Leipzig oder Karl-Marx-Stadt.

Mit bestimmten Veränderungen der vergangenen Jahre hat er trotzdem so seine Schwierigkeiten. Unlängst eröffnete er in der Greifswalder Straße eine „Staatsgalerie Prenzlauer Berg.“ Das ist eine Art Kulturhaus, ähnlich der Papenfußschen „Rumbalotte continua“ – nur dass hier, statt des Ausschanks, eher Ausstellungen geboten werden. „Staatsgalerie Prenzlauer Berg“: Der Name sei ein klassischer Fall von Amtsanmaßung, heißt es auf Gerickes Homepage. „Er fügt sich in die Reihe von Überhöhungen, wie sie derzeit en vogue sind im ‚Prenzlberg‘. Da läutet es ‚Kolle Belle‘, da tönt es ‚Immanuelkirch Carré‘, da dröhnt es ‚Prenzlbogen‘ oder säuselt es ‚Winsgärten‘. Eine solch stolze Gemeinde braucht einen Dom. Oder, reicht der Glaube nicht, eine Staatsgalerie.“

Ihre Skepsis gegenüber allem, was staatstragend und offiziell klingt, verbindet Papenfuß und Gericke seit langem. Gericke war zu DDR-Zeiten in der Punk-Szene aktiv (die Band hieß „The Leistungsleichen“), schrieb für subversive Blätter oder gab selbst welche heraus; „Caligo“, „Autodafé“ oder „Braegen“ hießen sie. Papenfuß reüssierte als Dichter, man nannte ihn den „Johann Fischart der DDR,“ auch seine experimentelle Lyrik erschien in inoffiziellen Zeitschriften wie „ariadnefabrik“, „Schaden“ oder „Liane“. Seinen ersten Gedichtband „harm“ publizierte Papenfuß 1985 im West-Berliner KULT-uhr-Verlag – mit einem Vorwort von Ernst Jandl, der ihn als „Dichter ersten Ranges“ lobte.

 

„Es ist schade, dass das mit der Wende im Wesentlichen nicht weiter geführt wurde.“

Heute gibt es keine Diktatur mehr, der es Widerstand zu leisten gilt, doch ums bloße Dagegensein ging es anscheinend auch früher nicht. „Die Infragestellung der Herrschaftssprache war damals nicht ausschließlich auf das politische System bezogen,“ sagt jedenfalls Thomas Wohlfahrt, mit Blick auf die spielerische Sprachverwendung vieler damaliger Dichter. Wohlfahrt leitet heute die Literaturwerkstatt, eine der wichtigsten Literaturinstitutionen in Prenzlauer Berg. In den 80er Jahren wohnte er in der Erich-Weinert-Straße – bevor er 1988 in den Westen ging. „Es ging einfach darum, eigene Sachen zu machen, darüber eine eigene Sprache zu entwickeln und so der Sprache, die nicht mehr informierte, benannte, auf die kein Verlass mehr war, einen frischen Atem zu geben. Die Dinge fingen als Kunst an zu tanzen. Es ist schade, dass das mit der Wende im Wesentlichen nicht weiter geführt wurde.“

Gericke und Papenfuß finden das ebenfalls traurig. Dass sie ihre beiden lose verbundenen Etablissements nun ausgerechnet in Prenzlauer Berg eröffneten, ist deshalb kein Zufall. Gericke, Jahrgang 1964, residiert in der Greifswalder Straße, weil er sie für „die letzte vergessene, dreckige Tangente des Prenzlauer Berg“ hält. Genau hier will er die Stellung halten, sich eben nicht verdrängen lassen von teuren Mieten und einer neuen Boogaboo-Bohème. In seiner „Staatsgalerie Prenzlauer Berg“ hängen zwar nicht nur Arbeiten von alten Freunden wie Ronald Lippok, maximal ein Viertel seiner Ausstellungen hat mit den früheren Zusammenhängen zu tun. Aber wer ihn besucht, spürt schnell, was ihn umtreibt: „Wie gingen nach 1989 die Biografien derer weiter, die diesen Bezirk mal hip gemacht haben.“ Kontinuität: Das klingt auch im Namen der Papenfußschen Kneipe an, „Rumbalotte continua“. So ähnlich – nämlich „Lotta continua“ – hieß schließlich einst auch eine Bewegung der radikalen Linken in Italien. Auf Deutsch: „Der Kampf geht weiter.“

 

„Der Kampf geht weiter.“

Bleibt nur die Frage, gegen wen oder was sich dieser konsum- und kapitalismuskritische Kampf eigentlich richtet – wenn schon nicht gegen „die Schwaben“. Am ehesten wohl gegen das, was man so unter dem Stichwort Gentrifizierung zusammenfasst. Mit dem Ende der Diktatur veränderte sich eben auch die Kultur des Bezirks, viele Weggefährten zogen weg, Jan Faktor zum Beispiel. „Er wohnt heute in Pankow,“ erzählt Papenfuß, „Andreas Koziol sogar jenseits von Pankow.“ Adolf Endler, der „Tarzan am Prenzlauer Berg“ (so der Titel eines 1984 veröffentlichten Tagebuchs) starb 2009. Rainer Schedlinski und Sascha Anderson, zwei der wichtigsten Protagonisten der „Prenzlauer Berg-Connection“, hatten sich durch ihre Zusammenarbeit mit der Staatssicherheit diskreditiert. Wie die Öffnung der Archive 1991 ans Tageslicht brachte, hatten die beiden unabhängig voneinander und über Jahre hinweg ihre Führungsoffiziere mit detaillierten Informationen über ihre Kollegen und Freunde versorgt.

Wie überall in der DDR wurden nach deren „Infarkt“ (Henryk Gericke) auch in Prenzlauer Berg viele Institutionen geschlossen oder verkleinert, neue Akteure übernahmen die kulturelle Definitionsmacht. Thomas Wohlfahrt und sein Team etwa residierten zunächst in der ehemaligen Villa des ersten Ministerpräsidenten der DDR, Otto Grotewohl. Bis 1990 hatte sie als Clubhaus des Schriftstellerverbandes der DDR gedient.

Nun zeigt freilich gerade das Beispiel Literaturwerkstatt, dass sich die viel beklagte Entwicklung im Kiez nicht auf Parolen wie „West verdrängt Ost“ oder „Kommerziell verdrängt alternativ“ reduzieren lässt. Bei vielen Veranstaltungen sind auch alternative ästhetische Positionen vertreten, aus alten und neuen Bundesländern – beim letzten Poesiefestival zum Beispiel die Lyrikerin Elke Erb. Das deutsch-deutsche Thema findet seinen Platz „im Rahmen einer viel weiter gefassten Internationalität,“ so Wohlfahrt.

 

Früher Samisdat, heute Suhrkamp.

Trotzdem: Man muss kein Anarcho-Freak sein, um bestimmte Entwicklungen zu kritisieren. „Die ehemals lebendige Kulturszene ist im Schwinden begriffen,“ sagt auch Wohlfahrt, „zunehmend geht es nur noch um Lifestyle. Der Bezirk wird schicker, die Mieten teurer. Die Leute ziehen nach Friedrichshain, Neukölln oder Kreuzberg.“ Für die schlimmste denkbare Entwicklung hat er ein konkretes Beispiel vor Augen: „Charlottenburg nach ’68. Dort sieht man ganz gut, was passiert, wenn in eine einstmals lebendige Kulturszene kein frischer Wind mehr reinkommt. Irgendwann bleiben nur noch diese miteinander gealterten Verleger,- Schauspieler,- und anderen Künstler- und Intellektuellenkreise übrig, und die jungen Leute sind weg.“

Sicher: Die lokale Kulturszene hat an internationaler Ausstrahlung gewonnen, viele hier ansässige Künstler sind auch im Ausland erfolgreich. Doch während sich früher vieles im Untergrund abspielte, sieht man heute überall Gesichter, die man aus dem Fernsehen kennt, und manchen Künstlern scheint ihr materieller Erfolg tatsächlich wichtiger zu sein als unterscheidbare ästhetische Ausdrucksformen. So hat sich die Gegend seit den 80er Jahren vom Randbezirk der Diktatur zu einem der vielen Mittelpunkte des deutschen Kulturbetriebes gewandelt. Früher Samisdat, heute Suhrkamp: 2009 zog der renommierte Verlag, begleitet von beträchtlichem Mediengetöse, aus Frankfurt am Main in die Pappelallee um. Und Rainald Grebe singt über Prenzlauer Berg: „Das weiß doch keiner mehr, wie das hier noch vor 20 Jahren ausgesehen hat.“

 

Hier geht es weiter zu Teil 3 der Serie: Von Karo-Sakkos und „Jammer-Ossis“

 

Hier geht es zurück zu Teil 1 der Serie: Ein Seemann in der Metzer Straße.

 

Info zur Serie:

Als Kreativenkiez ist Prenzlauer Berg legendär: Bereits zu Vorwendezeiten siedelten sich hier viele Künstler und Literaten an, vom schwachen Abglanz damaliger Zeiten zehrt das Viertel bis heute. Doch wie der gesamte Kiez hat sich auch die hier ansässige Kulturszene seit der Wende stark verändert. Alteingesessene Institutionen machten dicht, jüngere Autoren, Maler, Galeristen, Verleger, Musiker, Fotografen und Comiczeichner siedelten sich an. Viele von ihnen sind auch im Ausland erfolgreich – die Lokalkultur gewann an internationaler Ausstrahlung. Doch Gentrifizierung, verbunden mit einer speziellen Ost-West-Thematik, ist auch in der Kultur ein Thema. Die Prenzlauer Berg Nachrichten begleiten diese Veränderungen kritisch; im Rahmen einer Artikelserie werden wir in den kommenden Wochen den anhaltenden Wandel der Kulturszene in Prenzlauer Berg nachvollziehen.

 

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