Der Plastikadler im Schriftstellernest

von Brigitte Preissler 28. April 2011

In der Senefelderstraße teilen sich neun Mieter ein Büro für „Literaturproduktion“, es heißt „Adler & Söhne“. Was machen die da eigentlich?

Die Ecke Göhrener/Senefelderstraße ist ein Ort mit hoher Schriftstellerdichte. Morgens, wenn man zur Arbeit geht, kann einem hier schon mal Tilman Rammstedt („Der Kaiser von China“, Dumont 2008) über den Weg laufen. Der Ingeborg-Bachmann-Preisträger des Jahres 2008 eilt dann meist in das Haus Nummer 31, in ein schlichtes kleines Büro mit blauen Tür- und Fensterrahmen. Manchmal sitzt er auch schon drin, vor einem Laptop, und schaut versonnen hinaus auf die Straße. Saša Stanišić ist ebenfalls gelegentlich da, ihn kennen Bachmannpreis-Gucker des Jahres 2006 aus dem Fernsehen. Sein Debütroman „Wie der Soldat das Grammofon repariert“ wurde vielfach übersetzt und ausgezeichnet, sogar auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises landete er damit. Und dann ist da noch Thomas Pletzinger, sein Debütroman „Bestattung eines Hundes“ erregte 2008 viel Aufsehen. Dozent ist er außerdem, unter anderem am Schweizerischen Literaturinstitut in Biel.

 

Es scheint demnach eine Art Schriftstellernest zu sein, dieses Büro, auf dessen Fensterscheibe „Adler & Söhne – Literaturproduktion GbR“ geschrieben steht. Oder zumindest ein guter Ort für Menschen, denen Literatur etwas bedeutet. Zum Beispiel für die Dramatikerin Katharina Adler, nach der diese „Gesellschaft bürgerlichen Rechts“ benannt ist. Oder für die Lektoren Christine Marth und Johann Maass. Für den Journalisten Jan Valk, er gibt unter anderem das Magazin „sprachgebunden“ mit heraus. Nicht nur Autoren haben sich hier also eingenistet, sondern auch Lektoren, Journalisten, Übersetzer, Dozenten, Herausgeber. Leute eben, zu deren Aufgaben eigentlich keineswegs nur die Literaturproduktion im engeren Sinne gehört – also das Schreiben – , sondern auch ihre Vermittlung und Aufbereitung. Und ja, teilweise auch: ihre Vermarktung. 

 

Seit 2008 gibt es das Büro, erzählt Patrick Hutsch, der früher Herausgeber der Leipziger Literaturzeitschrift „Edit“, später Lektor bei Knaus war und heute bei Adler & Söhne als freier Lektor und Moderator arbeitet. Von ihm erfahren wir, dass sich die Gründer des Büros – Katharina Adler, Saša Stanišic, Thomas Pletzinger und Benjamin Lauterbach – schon vom Studium her kannten. Während ihrer Zeit am Deutschen Literaturinstitut Leipzig (DLL) kam ihnen die Idee, ihren Austausch über eigene literarische Arbeiten – den sie zuvor hauptsächlich in Leipziger Cafés gepflegt hatten – fortan eben in diesem Büro in Prenzlauer Berg weiter zu führen. Einen passenderen Ort hätten sie dafür kaum finden können: Direkter Vormieter war der Tropen Verlag, und vor der Wende soll hier – zumindest einer verbreiteten Legende nach – einst das Tabakgeschäft beheimatet gewesen sein, in dem Heiner Müller seine Zigaretten kaufte. 

 

Dichten ohne Rollkragenpullover

 

Heute blickt ein unwahrscheinlich hässlicher alter Plastikadler im Schaufenster grimmig drein (siehe Foto). Er ist das Maskottchen dieser Schreib-Manufaktur, in der Literatur längst nicht mehr als genialische Erleuchtung, sondern als Beruf, ja als Brotberuf angesehen wird. Pletzinger, Rammstedt, Adler & Co. gehen ihm tagsüber, zu halbwegs festen Bürozeiten, nüchtern und ausgeschlafen nach. Ganz ohne Rotwein und schwarze Rollkragenpullover, eher in Jeans, Turnschuhen und mitunter sehr ordentlich gebügelten Hemden. Aber vor allem eben: gemeinsam. Mit dem Klischee vom eigenbrötlerischen Dichter-Nerd hat ihre Arbeit nicht das Geringste zu tun. In dem Büro mit neun Arbeitsplätzen hat man offensichtlich begriffen, dass von einsamem Gewurstel im stillen Kämmerlein noch keiner Schreiber jemals satt geworden ist. 

 

Mit ihren vereinten Autoren-, Lektoren-, Übersetzer-, und Journalistenkräften sorgen „Adler & Söhne“ nämlich auch dafür, dass schöne Texte ihre Leser tatsächlich erreichen. Zum Beispiel mit Hilfe eines „Salons“, der seit Anfang 2009 einmal im Monat in der „Soupanova“ in der Stargarder Straße stattfindet. „Das sind nicht diese klassischen, langweiligen Autorenlesungen, bei denen einer was vorliest und hinterher ein paar Fragen gestellt werden,“ erklärt Tilman Rammstedt. „Sondern Themenabende, bei denen auch mal Verleger, Übersetzer oder Lektoren zu Wort kommen.“ So ging es beim gestrigen Salon mit Peggy Mädler nicht bloß um deren neuesten Roman „Legende vom Glück des Menschen“ (Galiani 2011), in dem ein Fotoband aus dem Jahre 1968 eine zentrale Rolle spielt. Auch der Moderator Thomas von Steinaecker hielt einen kleinen Vortrag über das Erzählen mit Fotos und Texten, der Mädlers Beitrag ergänzte, vertiefte und interpretierte. 

 

Der hässliche Plastikadler saß übrigens die ganze Zeit mit auf der Bühne. Grimmig, wie immer. Aber gelangweilt wirkte er eigentlich nicht.

 

„Adler & Söhne“ im Netz: http://www.adlerundsoehne.com

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