„Am Wasserturm wird deutlich, was Faschismus bedeutet“

von Juliane Schader 15. März 2013

Ein KZ am Wasserturm, Zwangsarbeiter in der Alten Königsstadt, die Synagoge als Uniformlager – Widerstand und Naziterror gab es auch in Prenzlauer Berg. Eine Veranstaltungsreihe geht auf Spurensuche.

Mittags am Bezirksamtsgelände in der Fröbelstraße. Nirgendwo sind die Wege so akkurat von Schnee beräumt wie hier. Im Erdgeschoss des Hauses 6 in der Fröbelstraße schließt Volkmar Harnisch gerade die Tür zu seinem Büro auf. Wobei Büro etwas zu hoch gegriffen ist für den schmalen und ebenso kurzen Raum, in den außer einem langen Tisch gerade noch die Aktenschränke passen, die aus einer Zeit zu stammen scheinen, in denen Akten und Schränke noch keine digitale Konkurrenz kannten.

Harnisch ist 86 Jahre alt. Am 8. Mai 1944 wurde der damals 17-Jährige von der Gestapo verhaftet und zu einer Gefängnisstrafe auf unbekannte Zeit verurteilt, weil er in seiner thüringischen Heimat Mitglied einer antifaschistischen Jugendgruppe war. Heute ist Harnisch seit vielen Jahren Vorsitzender der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VNN-BdA) in Prenzlauer Berg.

Während ganz Berlin unter dem Motto „Zerstörte Vielfalt“ an die Folgen der Machtübernahme durch die Nationalsozialsten erinnert, organisiert die Vereinigung einige Veranstaltungen, die sich mit Naziterror und Widerstand in Prenzlauer Berg beschäftigen. „Viele wohnen hier ja erst seit kurzem und wissen gar nicht, was damals hier los war“, sagt Harnisch. „Ich meine das auch gar nicht wertend. Ich bin ja selbst erst 1954 zugezogen.“

 

Herr Harnisch, die Veranstaltungsreihe ist überschrieben mit „Auf den Spuren der Geschichte“. Welche Spuren hat der Nationalsozialismus in Prenzlauer Berg denn hinterlassen?

Zuallererst sind da der Verlust der Menschen zu nennen, die ermordet, erschlagen oder vergast wurden, weil sie Widerstand geleistet haben, Juden oder Roma waren, aber auch die Ausgebombten und Gefallenen.

Ein zentraler Ort ist das Konzentrationslager auf dem Gelände des Wasserturms. 150 Folterstätten betrieben die Nazis 1933 in Berlin, acht davon in Prenzlauer Berg, das am Wasserturm war das herausragende. Zwischen Februar oder März und Juni 1933, genaue Daten gibt es leider nicht, hielt die SA dort Oppositionelle in einem der Maschinenhäuser gefangen. Der Zweck des KZs war, die politische Opposition sofort mattzusetzen und Angst und Schrecken zu verbreiten.

 

Das Lager wurde also bewusst mitten in Prenzlauer Berg errichtet, um abzuschrecken?

Genau. Die Wohnbevölkerung hat gehört, dass es dort zu Misshandlungen kam. Außerdem konnte man aus den oberen Etagen der Häuser sogar aufs Gelände gucken.

 

Wie viele Menschen war am Wasserturm inhaftiert?

Auch da haben wir keine genauen Daten.

 

Warum wurde das KZ im Sommer 1933 aufgelöst?

Die SA, die für das KZ verantwortlich war, war eine undisziplinierte Truppe. Viele waren in Aktivitäten wie Autoschiebereien verwickelt, die auch unter den Nazis als kriminell galten. Hinzu kam die Rivalität zwischen SS und SA, was dazu führte, dass die SA entmachtet wurde. Zudem gab es zum Zeitpunkt der Auflösung des KZs bereits neue Möglichkeiten der Verfolgung der Opposition, in größeren Lagern.

Für uns ist der Wasserturm so wichtig, weil hier an Ort und Stelle deutlich wird, was Faschismus bedeutet. Nämlich blinder Terror und Ausschaltung der Opposition.

 

Wie war es denn um die Opposition in Prenzlauer Berg bestellt?

Prenzlauer Berg war damals ein Arbeiterbezirk mit einem hohen Anteil an kommunistischen und sozialdemokratischen Wählern. Als ich 1990 Vorsitzender des VNN-BdA wurde, gab es noch 30 Gedenktafeln an Häusern, deren Bewohner verhaftet worden waren, weil sie Widerstand geleistet hatten. Viele der Tafeln gibt es heute nicht mehr, weil sie nach der Sanierung nicht mehr angebracht wurden.

 

Können Sie vielleicht ein Beispiel nennen?

In der Schönhauser Allee lebte etwa Ferdinand Thomas, ein Student der Humboldt-Universität, der verhaftet und zum Tode verurteilt wurde, weil er in die Prozesse um den 20. Juni 1944 verwickelt war. Es gab aber auch viele Arbeiter, die in Betriebsgruppen Widerstand geleistet haben. Bei Askania etwa, wo unter anderem Navigationsgeräte für Flugzeuge hergestellt wurden, haben sie Diamantstaub in den zentralen Öltank gefüllt, welcher dann die Getriebe der Maschinen ausgewaschen hat.

Natürlich gab es aber auch in Prenzlauer Berg Nazis. Sie hatten hier einige Sturmlokale, wo sie ihr Bier tranken, ihre Schandtaten ausheckten, Befehle empfingen. An der alten Schneider-Brauerei im Bötzowviertel hatten SA und SS eine Niederlassung.

 

In Prenzlauer Berg gab es ja vor der Machtübernahme durch die Nazis viel jüdisches Leben…

Da fragen Sie am besten Peter.

 

Peter Kirchner ist der ehemalige Vorsitzende der jüdischen Gemeinde Berlin/Ost und hat sich mittlerweile auch in das kleine Büro gesellt. Er gibt gerne Auskunft:

 

Prenzlauer Berg war vor 1933 einer der dichter besiedelten jüdischen Bezirke. 1904 wurde die Synagoge in der Rykestraße eröffnet. Als sogenannte Hinterhofsynagoge wurde sie 1938 nicht angesteckt, sondern „nur“ geschlossen und als Lager genutzt, unter anderem für Uniformen. So konnte sie schon im Herbst 1945 wiedereröffnen.

Eine weitere Spur jüdischen Lebens ist der Friedhof an der Schönhauser Allee. Im 19. Jahrhundert wurde er genutzt; dort liegen Menschen wie Max Liebermann und Giacomo Meyerbeer beerdigt, die Berlin geprägt haben.

Mit den Nazis ist dieses Leben weitgehend aus Prenzlauer Berg verschwunden. In zwei Rundgängen und einem Vortrag begeben wir uns im Mai auf Spurensuche.

 

Damit geht das Gespräch wieder zurück an Volkmar Harnisch.

 

Zu den Opfern des 3. Reichs gehören auch Zwangsarbeiter. Ist deren Geschichte in Prenzlauer Berg bekannt?

In der Alten Königsstadtbrauerei wurden in den unterirdischen Räumen Zwangsarbeiter beschäftigt. Wir bieten dort einen Rundgang an, zum dem uns der Vorstand der Genossenschaft, der das Gelände heute gehört, eingeladen hat. Er will auch eine Gedenkstätte einrichten. Auch an anderen Orten in Prenzlauer Berg wurden Zwangsarbeiter beschäftigt, aber damit kennen wir uns nicht so gut aus. Wir haben uns vor allem um die Geschichte des Widerstands bemüht, und der ist gut erforscht.

 

Am Samstag, 16. März gibt es um 15 Uhr eine Gedenkkundgebung am Wasserturm. Es folgen bis Juni diverse Vorträge und Rundgänge, die sich mit Themen wie Zwangsarbeit, Widerstand und jüdischem Leben in Prenzlauer Berg auseinander setzen. Das genaue Programm findet sich hier.

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