Unter Strom

von Juliane Schader 30. Oktober 2012

Michi Hartmann baut E-Gitarren. Das ist eigentlich Männersache. So wie E-Gitarren generell was für Männer sind, also rein größenmäßig. Außer, Michi Hartmann hat sie gebaut. In ihrer Werkstatt in der Choriner Straße. Ein Besuch.

Pfadfinder neben Johnny-Cash-Imitatoren neben Schülerband-Frontmännern neben Religionslehrerinnen neben Hard-Rock-Fans neben musikalisch Früherzogenen – ja, es sähe ziemlich lustig aus in dem kleinen Laden in der Choriner Straße, ständen hier keine Gitarren, sondern die Menschen, die sie später einmal spielen werden.  

Michaela Hartmann hat sich auf einen kleinen Stuhl am Eingang zwischen all die Instrumente gequetscht. Sie ist ein wenig zu spät zum Termin gekommen, weil ihr Fahrrad nicht so wollte wie sie. Aber auch das hat sie schnell wieder hinbekommen. Schließlich ist sie, wie sie später sagt, „handwerklich eine eierlegende Wollmilchsau“. Wäre es nicht so, würde sie heute keine E-Gitarren bauen und müsste auch keine Interviews darüber führen.

 

Frauengitarren? Sind bestimmt pink

 

Eigentlich ist Michi, wie sie sich selbst vorstellt, diplomierte Künstlerin. An der UdK hat sie Design studiert, mit Schwerpunkt Fotografie und Plakat-Gestaltung. Nebenher spielte sie Gitarre in einer Metal-Band. „Der Sound meiner Gitarre war super“, erzählt sie. „Aber sie war mir zu groß.“ Damit fing alles an.

Denn E-Gitarren speziell für Frauen unterscheiden sich bislang von E-Gitarren für Männer nur dadurch, dass sie pink angemalt wurden. Dabei brauchen Frauen, so wie sie kleine T-Shirts tragen, kleinere Schuhe und im Idealfall auch kleinere Koffer, auch kleinere Gitarren. Hergestellt werden sie trotzdem nicht. Für die handwerklich begabte Michi ein klarer Fall: „Dann machst du das selbst.“

Das war im Jahr 2003. Hauptberuflich hat sie damals Kulissen beim Film gebaut – Planetenlampen für „Bianca – Wege zum Glück“, falsche Holzscheite und historische Münzen für „Sophie – Braut wider Willen.“ Parallel hat sie Bücher über Gitarrenbau gelesen und das Internet nach Informationen durchforstet. Nach einen Jahr hat sie sich an die praktische Arbeit gewagt, 2005 war ihre erste Gitarre dann fertig. „Die ist gut“, meinte ein gelernter Gitarrenbauer, dem sie sie vorführte. „Das ist mein Ding. Mach ich das doch, das ist viel cooler als Film und Werbeagentur“, meinte Michi.

 

Infos aus dem Internet, Übungsinstrumente von Ebay

 

Ein Praktikum hat sie dann noch gemacht, doch das meiste hat sie sich selbst beigebracht: Bei Ebay kaufte sie kaputte Gitarren und lernte daran; nebenher reparierte sie die Instrumente von Freunden. So baute sie langsam ihr Geschäft auf, wohl als Deutschlands einzige E-Gitarrenbauerin. Im vergangenen Jahr zog sie mit ihrer „Stromgitarrenwerkstatt“ aus ihre Requisiten-Atelier in der Kastanienallee in die Choriner Straße. Seit April hat sie gegenüber das kleine Ladengeschäft, wo sie auch Gitarren von der Stange verkauft.

Denn nur vom Gitarrenbau kann man nicht leben. „Der Handel ist mein zweites Standbein“, erklärt sie. „Ansonsten lebe ich von Reparaturen, Modifikationen und meine guten Ruf.“ Aus dem ganzen Land werden ihr mittlerweile Instrumente geschickt. Zwei Mitarbeiter beschäftigt sie, doch als Gelddruckmaschine kann man das Musikgeschäft dennoch nicht verstehen. „Die Hälfte des Monats arbeite ich für die Gewerbemiete.“ In Prenzlauer Berg ist auch die nicht billig.

Doch während Michi selbst längst im Wedding lebt, braucht ihr Laden die finanzstarke Laufkundschaft, die der Stadtteil mittlerweile zu bieten hat. „Neulich hat jemand spontan eine Gitarre für 1000 Euro mitgenommen“, erzählt sie. Ansonsten hat sie für den Prenzlauer Berg und seine Musikszene nicht allzu gute Worte übrig. „Die Freiräume sind weg, die frische Szene ist in Neukölln.“

 

Ergonomie für Alle!

 

Ihre Werkstatt, die sie zum Abschluss noch zeigt, passt trotzdem gut in das Haus mit der bröckelnden Fassade. Werkbänke, viel Holz, reparierte und noch kaputte Gitarren, dazu ein kleiner Übungsraum, das alles findet sich verteilt auf mehrere Räume im Erdgeschoss, mit Blick zu Hof. Ihr Schwerpunkt ist immer noch der Bau von Gitarren, deren Größe der ihrer Besitzer entspricht. Ergonomie und Spielbarkeit seien ihr Spezialgebiet. „Aber ich mache nicht nur Gitarren für Frauen, sondern für Menschen.“

Selbst spielt sie übrigens kaum noch Gitarre. Zwar hat sie jetzt endlich ein Modell in der richtigen Größe. Doch entweder man hat Künstlerhände, oder man ist Handwerker. „Du zerstörst Dir mit dem Bauen die Finger“, sagt Michi. Dafür hat sie in der Werkstatt einen Kontrabass stehen, den sie jetzt ab und zu spielt. Der ist allerdings auch viel zu groß für eine Frau. Noch ein Aufgabengebiet für die eierlegende Wollmilchsau des Handwerks.

 

 

UNSER FREUNDESKREIS: Werden Sie Mitglied im Freundeskreis der Prenzlauer Berg Nachrichten und stärken Sie damit die Unabhängigkeit Ihrer Lokalzeitung! Mehr Infos hier.



Das könnte Dich auch interessieren

Hinterlasse einen Kommentar