Klassenkampf im Falle von Schnee

von Juliane Schader 12. Januar 2012

In Prenzlauer Berg wird ab sofort der Schnee mit System geräumt – zumindest, wenn es nach der schönen, neuen Theorie geht. Und, welche Reinigungsklasse sind Sie?

Endlich ist sie wieder da, die schöne Mehrklassengesellschaft in Prenzlauer Berg. Und nein, da geht es diesmal weder um Wohnungsgrößen noch um Kinderwagenmarken, sondern um ein Merkmal, das lediglich im Winter auftritt, und das auch nur bei besonderen Witterungsverhältnissen: Die Breite der im Schnee-Falle zu räumenden und zu bestreuenden Gehwegfläche. Na, gehören sie zur Reinigungsklasse 1 oder doch eher 3? Gleich hier mal nachschauen; die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt hat das dankenswerter Weise alles in einer Karte zusammengefasst.

Natürlich sind wir, sobald der Schnee unsere Gehwege versperrt, äußerst dankbar, dass es solche Pläne gibt, und dass wir demnach nachgucken und nachmessen können, ob vor dem Nachbarhaus auch angemessen geräumt wurde. Bis dahin entbehrt es aber nicht einer gewissen Absurdität, durch die virtuelle Schneelandschaft zu stiefeln und zu bemerkten, dass das komplette Winsviertel mit Ausnahme der namensgebenden Straße nur Reinigungsklasse 3 (mindestens ein Meter, dreimal in der Woche zu räumen) hat, während Helmholtz- und Kollwitzkiez Reinigungsklasse 2 und sogar 1 haben, wo mindestens 1,5 Meter fünf oder sogar sieben Mal in der Woche freizuschaufeln sind. Und dagegen dann die armen Leute aus der Carl-Legien-Siedlung: Reinigungsklasse 4, das muss man sich mal vorstellen! Ein Meter Spurbreite, und das auch nur einmal die Woche nachzuarbeiten. Mit der Schneeräumbourgeoisie vom Helmholtzplatz können die nicht mithalten.

 

Schneeräumung, eine Frage der Nutzungsfrequenz

 

Letztendlich steckt hinter diesen Plänen der staatlichen Schneebeauftragten natürlich ein logisches System, das auf der Nutzungsfrequenz der zu räumenden Straßen basiert: Viele Menschen, breite Spuren, wenig Menschen, schmale Spuren, ganz einfach. Diese Gleichmacherei macht schließlich sonst einfach zu viel Arbeit, die Rollstuhfahrer im Kiez werden schon an den Hauptverkehrsstraßen ansässig sein.

Denn ob in die Klassifizierung die Anzahl der Anwohner mit Kinderwagen- bzw. Rollator-Bedarf eingeflossen ist, ist leider nicht überliefert. Für den Fall, dass Sie zu einer dieser Gruppen gehören, sich aber selbst als Bewohner einer Straße der Reinungsklasse 4 wiederfinden, empfehlen wir das Mitführen eines Minischneepflugs am entsprechenden Gefährt. Das kennen Sie ja sicher schon aus den vergangenen Jahren, in denen noch die Schneeräumanarchie herrschte.

Ach ja, das wäre hier fast untergegangen, dieser Plan gilt ja für Berlin, das gerade angesichts solch detaillierter Plänen immer noch Berlin bleibt. Was bedeutet, dass letztendlich vermutlich einfach wieder nirgendwo geräumt wird. So ein Glück. Denn wenn wir uns schon die Haxen brechen müssen, dann doch bitte solidarisch über alle Wohnviertel verteilt!

 

 

 

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